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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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20. Sülejman der II
"Nachdem sie nun ihre Absichten erreichet hatten: so verkündigten sie bey ih-
"rem Abschiede den Soldaten aus dem Gesetze; die Gjawr würden von un-
"sern Grenzen vertrieben werden. Sie erwägeten aber nicht, daß die Ver-
"heißung unsers Propheten, von dem unfehlbaren Glücke der Müsülmanen,
"auf gewissen Bedingungen beruhet. Es wird zum Beyspiele dazu erfordert
"ein festes Vertrauen auf Gott, die Ausübung guter Werke, Reinigkeit der
"Seele bey denen Soldaten, die gegen die Gjawr fechten sollen, und die Ge-
"rechtigkeit der regierenden Personen gegen ihre Untergebenen. Da nun diese
"Tugenden bisher gemangelt haben: was ist es denn Wunder, daß Gott selbst
"den müsülmanischen Truppen seinen Beystand entzogen hat, und daß ihre
"Tapferkeit den Kunstgriffen der Gjawr hat unterliegen müssen? Ich für
"meinen Theil verlange, um die Wahrheit dessen, was ich gesaget habe, dar-
"zuthun, nicht mehr als zwölf tausend wahre Nachfolger des Kurons, das ist,
"Leute von reinem Herzen und reiner Seele. Mit diesen getraue ich mir nicht
"allein gegen unzählbare Truppen der Gjawr tapfer zu fechten; sondern auch,
"dieselben durch Gottes Beystand so sehr zu demüthigen, daß sie gezwungen
"werden sollen, alles, was sie uns bisher abgenommen haben, wieder heraus
"zu geben." Auf diese Rede versetzte der Müfti: der Weßir habe zwar mit
großer Scharfsinnigkeit die Ursachen der Verderbnisse und des darauf erfolgten
Unglücks des osmanischen Reiches entdecket; es würden aber dieselben schwer-
lich auf die von ihm vorgeschlagene Weise verbessert werden können: denn dem
Heere fehle es an Muth, und der Schatzkammer an Geld; darinnen doch
die Kräfte zum Kriege bestehen. Außer dem sey alles Volk mit der Hoffnung
eines herannahenden Friedens eingenommen, die durch die letztern von den Ab-
gesandten zu Wien eingelaufenen Briefe erreget worden sey. Der Weßir fragte
hierauf: wer diese Abgesandten seyen, und was für einen Frieden dieselben
zu schließen Befehl haben. Als ihm nun der Müfti die ganze Beschaffenheit
der Sache erzählete: so gerieth er in den heftigsten Unmuth, und zeigte in einer
langen Rede, wie sehr die Urheber dieser Gesandtschaft, darunter er seinen Vor-
fahrer für den vornehmsten hielte, gegen die Wohlfahrt des Reichs gehandelt
hätten. Zuletzt rief derselbe mit erhabener Stimme aus: "Ich halte die Ab-
"gesandten, und diejenigen, die sie abgeschicket haben, für Gjawr; und glaube,
"daß sie in dem göttlichen Gerichte dafür werden gehalten werden. Denn kein
"wahrer Müsülman, der in den Gesetzen des Kurons erfahren ist, hätte den
"Sultan, einen Fürsten von großer Gelindigkeit und redlicher Einfalt, in ein
"so abscheuliches und entsetzliches Verbrechen stürzen können."

Es wird be-
schlossen, den
Krieg fortzuset-
zen; und der
Weßir leugnet
es, daß der Sul-
tan Abgesandten
an den Kaiser
geschicket habe.
42.

Der Weßir, der schon so sehr zum Kriege geneigt war, wurde von
dem französischen Abgesandten, Herrn Chateauneuf, noch mehr angehetzet, sein

Vorha-

20. Suͤlejman der II
“Nachdem ſie nun ihre Abſichten erreichet hatten: ſo verkuͤndigten ſie bey ih-
“rem Abſchiede den Soldaten aus dem Geſetze; die Gjawr wuͤrden von un-
“ſern Grenzen vertrieben werden. Sie erwaͤgeten aber nicht, daß die Ver-
“heißung unſers Propheten, von dem unfehlbaren Gluͤcke der Muͤſuͤlmanen,
“auf gewiſſen Bedingungen beruhet. Es wird zum Beyſpiele dazu erfordert
“ein feſtes Vertrauen auf Gott, die Ausuͤbung guter Werke, Reinigkeit der
“Seele bey denen Soldaten, die gegen die Gjawr fechten ſollen, und die Ge-
“rechtigkeit der regierenden Perſonen gegen ihre Untergebenen. Da nun dieſe
“Tugenden bisher gemangelt haben: was iſt es denn Wunder, daß Gott ſelbſt
“den muͤſuͤlmaniſchen Truppen ſeinen Beyſtand entzogen hat, und daß ihre
“Tapferkeit den Kunſtgriffen der Gjawr hat unterliegen muͤſſen? Ich fuͤr
“meinen Theil verlange, um die Wahrheit deſſen, was ich geſaget habe, dar-
“zuthun, nicht mehr als zwoͤlf tauſend wahre Nachfolger des Kurons, das iſt,
“Leute von reinem Herzen und reiner Seele. Mit dieſen getraue ich mir nicht
“allein gegen unzaͤhlbare Truppen der Gjawr tapfer zu fechten; ſondern auch,
“dieſelben durch Gottes Beyſtand ſo ſehr zu demuͤthigen, daß ſie gezwungen
“werden ſollen, alles, was ſie uns bisher abgenommen haben, wieder heraus
“zu geben.„ Auf dieſe Rede verſetzte der Muͤfti: der Weßir habe zwar mit
großer Scharfſinnigkeit die Urſachen der Verderbniſſe und des darauf erfolgten
Ungluͤcks des osmaniſchen Reiches entdecket; es wuͤrden aber dieſelben ſchwer-
lich auf die von ihm vorgeſchlagene Weiſe verbeſſert werden koͤnnen: denn dem
Heere fehle es an Muth, und der Schatzkammer an Geld; darinnen doch
die Kraͤfte zum Kriege beſtehen. Außer dem ſey alles Volk mit der Hoffnung
eines herannahenden Friedens eingenommen, die durch die letztern von den Ab-
geſandten zu Wien eingelaufenen Briefe erreget worden ſey. Der Weßir fragte
hierauf: wer dieſe Abgeſandten ſeyen, und was fuͤr einen Frieden dieſelben
zu ſchließen Befehl haben. Als ihm nun der Muͤfti die ganze Beſchaffenheit
der Sache erzaͤhlete: ſo gerieth er in den heftigſten Unmuth, und zeigte in einer
langen Rede, wie ſehr die Urheber dieſer Geſandtſchaft, darunter er ſeinen Vor-
fahrer fuͤr den vornehmſten hielte, gegen die Wohlfahrt des Reichs gehandelt
haͤtten. Zuletzt rief derſelbe mit erhabener Stimme aus: “Ich halte die Ab-
“geſandten, und diejenigen, die ſie abgeſchicket haben, fuͤr Gjawr; und glaube,
“daß ſie in dem goͤttlichen Gerichte dafuͤr werden gehalten werden. Denn kein
“wahrer Muͤſuͤlman, der in den Geſetzen des Kurons erfahren iſt, haͤtte den
“Sultan, einen Fuͤrſten von großer Gelindigkeit und redlicher Einfalt, in ein
“ſo abſcheuliches und entſetzliches Verbrechen ſtuͤrzen koͤnnen.„

Es wird be-
ſchloſſen, den
Krieg fortzuſet-
zen; und der
Weßir leugnet
es, daß der Sul-
tan Abgeſandten
an den Kaiſer
geſchicket habe.
42.

Der Weßir, der ſchon ſo ſehr zum Kriege geneigt war, wurde von
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[591/0701] 20. Suͤlejman der II “Nachdem ſie nun ihre Abſichten erreichet hatten: ſo verkuͤndigten ſie bey ih- “rem Abſchiede den Soldaten aus dem Geſetze; die Gjawr wuͤrden von un- “ſern Grenzen vertrieben werden. Sie erwaͤgeten aber nicht, daß die Ver- “heißung unſers Propheten, von dem unfehlbaren Gluͤcke der Muͤſuͤlmanen, “auf gewiſſen Bedingungen beruhet. Es wird zum Beyſpiele dazu erfordert “ein feſtes Vertrauen auf Gott, die Ausuͤbung guter Werke, Reinigkeit der “Seele bey denen Soldaten, die gegen die Gjawr fechten ſollen, und die Ge- “rechtigkeit der regierenden Perſonen gegen ihre Untergebenen. Da nun dieſe “Tugenden bisher gemangelt haben: was iſt es denn Wunder, daß Gott ſelbſt “den muͤſuͤlmaniſchen Truppen ſeinen Beyſtand entzogen hat, und daß ihre “Tapferkeit den Kunſtgriffen der Gjawr hat unterliegen muͤſſen? Ich fuͤr “meinen Theil verlange, um die Wahrheit deſſen, was ich geſaget habe, dar- “zuthun, nicht mehr als zwoͤlf tauſend wahre Nachfolger des Kurons, das iſt, “Leute von reinem Herzen und reiner Seele. Mit dieſen getraue ich mir nicht “allein gegen unzaͤhlbare Truppen der Gjawr tapfer zu fechten; ſondern auch, “dieſelben durch Gottes Beyſtand ſo ſehr zu demuͤthigen, daß ſie gezwungen “werden ſollen, alles, was ſie uns bisher abgenommen haben, wieder heraus “zu geben.„ Auf dieſe Rede verſetzte der Muͤfti: der Weßir habe zwar mit großer Scharfſinnigkeit die Urſachen der Verderbniſſe und des darauf erfolgten Ungluͤcks des osmaniſchen Reiches entdecket; es wuͤrden aber dieſelben ſchwer- lich auf die von ihm vorgeſchlagene Weiſe verbeſſert werden koͤnnen: denn dem Heere fehle es an Muth, und der Schatzkammer an Geld; darinnen doch die Kraͤfte zum Kriege beſtehen. Außer dem ſey alles Volk mit der Hoffnung eines herannahenden Friedens eingenommen, die durch die letztern von den Ab- geſandten zu Wien eingelaufenen Briefe erreget worden ſey. Der Weßir fragte hierauf: wer dieſe Abgeſandten ſeyen, und was fuͤr einen Frieden dieſelben zu ſchließen Befehl haben. Als ihm nun der Muͤfti die ganze Beſchaffenheit der Sache erzaͤhlete: ſo gerieth er in den heftigſten Unmuth, und zeigte in einer langen Rede, wie ſehr die Urheber dieſer Geſandtſchaft, darunter er ſeinen Vor- fahrer fuͤr den vornehmſten hielte, gegen die Wohlfahrt des Reichs gehandelt haͤtten. Zuletzt rief derſelbe mit erhabener Stimme aus: “Ich halte die Ab- “geſandten, und diejenigen, die ſie abgeſchicket haben, fuͤr Gjawr; und glaube, “daß ſie in dem goͤttlichen Gerichte dafuͤr werden gehalten werden. Denn kein “wahrer Muͤſuͤlman, der in den Geſetzen des Kurons erfahren iſt, haͤtte den “Sultan, einen Fuͤrſten von großer Gelindigkeit und redlicher Einfalt, in ein “ſo abſcheuliches und entſetzliches Verbrechen ſtuͤrzen koͤnnen.„ 42. Der Weßir, der ſchon ſo ſehr zum Kriege geneigt war, wurde von dem franzoͤſiſchen Abgeſandten, Herrn Chateauneuf, noch mehr angehetzet, ſein Vorha-

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/701>, abgerufen am 25.11.2024.