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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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20. Sülejman der II
flucht in seinen Palast, lässet das Thor zusperren, und entschließet sich, mit dem
Säbel in der Faust zu sterben. Kurz darauf kommen die Aufrührer angezo-
gen, umringen den Palast, und rufen: man sollte ihnen das Thor öffnen; sie
hätten dem Weßire etwas zu hinterbringen. Sijawusch Pascha aber, der von
ihrem Vorhaben versichert ist, verweigert ihnen den Eingang; und da sie ver-
suchen, das Thor mit Gewalt aufzubrechen: so treibet er dieselben mit denen
Waffen zurück, die er zu allem Glücke in dem Palaste gefunden hatte, und
tödtet ungefähr zwanzig Jeng-itscheri. Die Soldaten gerathen durch den Tod
ihrer Mitbrüder noch in größere Wut, rennen mit ihrer ganzen Macht auf das
Thor hinein, brechen es auf, und dringen in den Palast. Der Weßir schießet
von seinem Zimmer aus, das gerade gegen dem Thore über war, mit Pfeilen
auf sie herunter. Seine Bedienten, ungefähr hundert an der Zahl, widersetzen
sich den Aufrührern mit gewaffneter Hand, daß sie nicht hinauf kommen sollen,
und treiben sie in das Diwanchane 5 hinein; und weil sie keine Pfeile haben:
[Spaltenumbruch]
und dieses, um den Uebelgesinnten, die durch
eine Belohnung zur Empörung angereizet
wurden, die mindeste Gelegenheit zu beneh-
men, in den Handlungen des Kaisers einen
Tadel zu finden; imgleichen, damit durch
diese Veranstaltung die schlauen Soldaten,
die über die öffentlichen Verderbnisse ein wach-
sames Auge haben, aus Begierde nach Ge-
winste, dem State kluge Regierer verschaffen
möchten, indem diesen bewußt wäre, daß
durch den geringsten Misbrauch ihrer Gewalt
sie sich in Gefahr setzeten, derselben beraubet
zu werden.
5 Diwanchane] Das Gerichtshaus
oder derjenige Ort, da die Klagen des Volks
angehöret werden. In dem andern Stock-
werke des Palastes des Weßirs ist ein sehr
großer Sal, der an dreyen Seiten mit Wän-
den eingeschlossen ist: die vierte Seite aber,
da sich das Treppengehäuse befindet, ist mit
Säulen besetzet; und dieses ist mit Fleiß also
eingerichtet, damit die Kläger desto besser ge-
höret und desto leichter können eingelassen
werden: diejenigen aber, die auf den Stuffen
[Spaltenumbruch]
stehen, vernehmen können, was oben verhan-
delt wird. In der Mitte der Wand, die
gegen den Eingang zu siehet, ist eine Bogen-
stellung, und oben an derselben ist die Be-
kenntniß des muhämmedischen Glaubens, de-
ren ich schon so oft erwähnet habe, mit göl-
denen Buchstaben geschrieben. Unter dersel-
ben ist ein Stuhl für den Weßir gesetzet, darauf
derselbe nach europäischer Weise sitzet, näm-
lich also, daß die Füße unterwärts hängen.
An der Wand gegen Süden ist eine Lampe
gemalet, die ein Zeichen eines Mihrab oder
Altares ist, gegen den die Türken ihre Ange-
sichter wenden müssen, wann sie ihr Gebet
verrichten. Denn weil die streitenden Par-
teyen öfters verhindert werden, nach einem
Dschami zu gehen und da das Nemaß zu der
gewöhnlichen Zeit herzusagen; indem diesel-
ben auf den Ausgang ihrer Sache warten:
so hat man dieses Zeichen zu ihrer Bequem-
lichkeit erfunden, damit nichts sie hindern
möchte, auf die Anzeige des Rufers ihr Ge-
bet zu thun, selbst mitten unter allem dem
Geräusche, das in dem Palaste gemacht wird.
Viermal in der Woche, nämlich des Freytags,

so

20. Suͤlejman der II
flucht in ſeinen Palaſt, laͤſſet das Thor zuſperren, und entſchließet ſich, mit dem
Saͤbel in der Fauſt zu ſterben. Kurz darauf kommen die Aufruͤhrer angezo-
gen, umringen den Palaſt, und rufen: man ſollte ihnen das Thor oͤffnen; ſie
haͤtten dem Weßire etwas zu hinterbringen. Sijawuſch Paſcha aber, der von
ihrem Vorhaben verſichert iſt, verweigert ihnen den Eingang; und da ſie ver-
ſuchen, das Thor mit Gewalt aufzubrechen: ſo treibet er dieſelben mit denen
Waffen zuruͤck, die er zu allem Gluͤcke in dem Palaſte gefunden hatte, und
toͤdtet ungefaͤhr zwanzig Jeng-itſcheri. Die Soldaten gerathen durch den Tod
ihrer Mitbruͤder noch in groͤßere Wut, rennen mit ihrer ganzen Macht auf das
Thor hinein, brechen es auf, und dringen in den Palaſt. Der Weßir ſchießet
von ſeinem Zimmer aus, das gerade gegen dem Thore uͤber war, mit Pfeilen
auf ſie herunter. Seine Bedienten, ungefaͤhr hundert an der Zahl, widerſetzen
ſich den Aufruͤhrern mit gewaffneter Hand, daß ſie nicht hinauf kommen ſollen,
und treiben ſie in das Diwanchane 5 hinein; und weil ſie keine Pfeile haben:
[Spaltenumbruch]
und dieſes, um den Uebelgeſinnten, die durch
eine Belohnung zur Empoͤrung angereizet
wurden, die mindeſte Gelegenheit zu beneh-
men, in den Handlungen des Kaiſers einen
Tadel zu finden; imgleichen, damit durch
dieſe Veranſtaltung die ſchlauen Soldaten,
die uͤber die oͤffentlichen Verderbniſſe ein wach-
ſames Auge haben, aus Begierde nach Ge-
winſte, dem State kluge Regierer verſchaffen
moͤchten, indem dieſen bewußt waͤre, daß
durch den geringſten Misbrauch ihrer Gewalt
ſie ſich in Gefahr ſetzeten, derſelben beraubet
zu werden.
5 Diwanchane] Das Gerichtshaus
oder derjenige Ort, da die Klagen des Volks
angehoͤret werden. In dem andern Stock-
werke des Palaſtes des Weßirs iſt ein ſehr
großer Sal, der an dreyen Seiten mit Waͤn-
den eingeſchloſſen iſt: die vierte Seite aber,
da ſich das Treppengehaͤuſe befindet, iſt mit
Saͤulen beſetzet; und dieſes iſt mit Fleiß alſo
eingerichtet, damit die Klaͤger deſto beſſer ge-
hoͤret und deſto leichter koͤnnen eingelaſſen
werden: diejenigen aber, die auf den Stuffen
[Spaltenumbruch]
ſtehen, vernehmen koͤnnen, was oben verhan-
delt wird. In der Mitte der Wand, die
gegen den Eingang zu ſiehet, iſt eine Bogen-
ſtellung, und oben an derſelben iſt die Be-
kenntniß des muhaͤmmediſchen Glaubens, de-
ren ich ſchon ſo oft erwaͤhnet habe, mit goͤl-
denen Buchſtaben geſchrieben. Unter derſel-
ben iſt ein Stuhl fuͤr den Weßir geſetzet, darauf
derſelbe nach europaͤiſcher Weiſe ſitzet, naͤm-
lich alſo, daß die Fuͤße unterwaͤrts haͤngen.
An der Wand gegen Suͤden iſt eine Lampe
gemalet, die ein Zeichen eines Mihrab oder
Altares iſt, gegen den die Tuͤrken ihre Ange-
ſichter wenden muͤſſen, wann ſie ihr Gebet
verrichten. Denn weil die ſtreitenden Par-
teyen oͤfters verhindert werden, nach einem
Dſchami zu gehen und da das Nemaß zu der
gewoͤhnlichen Zeit herzuſagen; indem dieſel-
ben auf den Ausgang ihrer Sache warten:
ſo hat man dieſes Zeichen zu ihrer Bequem-
lichkeit erfunden, damit nichts ſie hindern
moͤchte, auf die Anzeige des Rufers ihr Ge-
bet zu thun, ſelbſt mitten unter allem dem
Geraͤuſche, das in dem Palaſte gemacht wird.
Viermal in der Woche, naͤmlich des Freytags,

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[567/0677] 20. Suͤlejman der II flucht in ſeinen Palaſt, laͤſſet das Thor zuſperren, und entſchließet ſich, mit dem Saͤbel in der Fauſt zu ſterben. Kurz darauf kommen die Aufruͤhrer angezo- gen, umringen den Palaſt, und rufen: man ſollte ihnen das Thor oͤffnen; ſie haͤtten dem Weßire etwas zu hinterbringen. Sijawuſch Paſcha aber, der von ihrem Vorhaben verſichert iſt, verweigert ihnen den Eingang; und da ſie ver- ſuchen, das Thor mit Gewalt aufzubrechen: ſo treibet er dieſelben mit denen Waffen zuruͤck, die er zu allem Gluͤcke in dem Palaſte gefunden hatte, und toͤdtet ungefaͤhr zwanzig Jeng-itſcheri. Die Soldaten gerathen durch den Tod ihrer Mitbruͤder noch in groͤßere Wut, rennen mit ihrer ganzen Macht auf das Thor hinein, brechen es auf, und dringen in den Palaſt. Der Weßir ſchießet von ſeinem Zimmer aus, das gerade gegen dem Thore uͤber war, mit Pfeilen auf ſie herunter. Seine Bedienten, ungefaͤhr hundert an der Zahl, widerſetzen ſich den Aufruͤhrern mit gewaffneter Hand, daß ſie nicht hinauf kommen ſollen, und treiben ſie in das Diwanchane ⁵ hinein; und weil ſie keine Pfeile haben: ſo und dieſes, um den Uebelgeſinnten, die durch eine Belohnung zur Empoͤrung angereizet wurden, die mindeſte Gelegenheit zu beneh- men, in den Handlungen des Kaiſers einen Tadel zu finden; imgleichen, damit durch dieſe Veranſtaltung die ſchlauen Soldaten, die uͤber die oͤffentlichen Verderbniſſe ein wach- ſames Auge haben, aus Begierde nach Ge- winſte, dem State kluge Regierer verſchaffen moͤchten, indem dieſen bewußt waͤre, daß durch den geringſten Misbrauch ihrer Gewalt ſie ſich in Gefahr ſetzeten, derſelben beraubet zu werden. ⁵ Diwanchane] Das Gerichtshaus oder derjenige Ort, da die Klagen des Volks angehoͤret werden. In dem andern Stock- werke des Palaſtes des Weßirs iſt ein ſehr großer Sal, der an dreyen Seiten mit Waͤn- den eingeſchloſſen iſt: die vierte Seite aber, da ſich das Treppengehaͤuſe befindet, iſt mit Saͤulen beſetzet; und dieſes iſt mit Fleiß alſo eingerichtet, damit die Klaͤger deſto beſſer ge- hoͤret und deſto leichter koͤnnen eingelaſſen werden: diejenigen aber, die auf den Stuffen ſtehen, vernehmen koͤnnen, was oben verhan- delt wird. In der Mitte der Wand, die gegen den Eingang zu ſiehet, iſt eine Bogen- ſtellung, und oben an derſelben iſt die Be- kenntniß des muhaͤmmediſchen Glaubens, de- ren ich ſchon ſo oft erwaͤhnet habe, mit goͤl- denen Buchſtaben geſchrieben. Unter derſel- ben iſt ein Stuhl fuͤr den Weßir geſetzet, darauf derſelbe nach europaͤiſcher Weiſe ſitzet, naͤm- lich alſo, daß die Fuͤße unterwaͤrts haͤngen. An der Wand gegen Suͤden iſt eine Lampe gemalet, die ein Zeichen eines Mihrab oder Altares iſt, gegen den die Tuͤrken ihre Ange- ſichter wenden muͤſſen, wann ſie ihr Gebet verrichten. Denn weil die ſtreitenden Par- teyen oͤfters verhindert werden, nach einem Dſchami zu gehen und da das Nemaß zu der gewoͤhnlichen Zeit herzuſagen; indem dieſel- ben auf den Ausgang ihrer Sache warten: ſo hat man dieſes Zeichen zu ihrer Bequem- lichkeit erfunden, damit nichts ſie hindern moͤchte, auf die Anzeige des Rufers ihr Ge- bet zu thun, ſelbſt mitten unter allem dem Geraͤuſche, das in dem Palaſte gemacht wird. Viermal in der Woche, naͤmlich des Freytags, Sonn-

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/677>, abgerufen am 22.11.2024.