dem er des Sultans Befehl empfangen, alle ersinnliche Wege versucht, die Sol- daten von der Anrückung gegen den kaiserlichen Sitz abzuhalten; es sey ihm aber unmöglich gewesen, ihrem einhälligen Schlusse, nach dem sie nichts als Feuer und Schwert begehret, zu widerstreben. Indessen wolle er doch alle Mittel anwenden, dem Aufruhre Einhalt zu thun, und seines eigenen Lebens nicht schonen, damit nur der Sultan auf seinem Throne beglückt und unerschüttert bleiben möge.
Nach geschwor- ner Treue wird derselbe von dem Sultane entlas- sen, und bemü- het sich, dem Auf- ruhre Einhaltzu thun.
186.
Nachdem er dieses Versprechen mit einem Eide bekräftiget hatte: so wurde er von dem Sultane entlassen. Um sich nun ein Vertrauen zu erwer- ben und seine Worte geltend zu machen, schickte er, so bald er in seine Hofhal- tung zurück kam, nach den Häuptern der Aufrührer, und ließ dieselben zu sich kommen. Diesen that er die Vorstellung: "Der Sultan habe ihnen die "Hälfte ihres rückständigen Soldes bereits auszahlen lassen, und wolle das "Uebrige in wenigen Tagen nachsenden. Es habe derselbe, nach dem Verlangen "des Heeres, die Räuber und Verräther des Reichs am Leben gestrafet, und "nichts unterlassen, ihr Begehren zu erfüllen. Itzo aber müsse man überlegen, "auf was für Art die Soldaten, die einen Aufruhr im Sinne haben, besänfti- "get und dahin gebracht werden könnten, daß sie dem besten Kaiser von der "Welt den gebührenden Dank abstatteten. Es sey ihm zwar wohl bekannt, "daß einige der Verschwornen damit umgingen, den Sultan selbst abzusetzen: "allein, er könne nicht begreifen, wie ein vernünftiger Mensch sich einfallen "lassen könne, einen so gottseligen und gnädigen Fürsten, der durch seine Siege "einen solchen Ruhm erlanget habe und ein Vater seiner Länder sey, so erschreck- "lich zu beleidigen; und dieses zur Vergeltung für seine letztere Gewogenheit, "die er nicht allein den Soldaten, sondern dem ganzen osmanischen Reiche er- "zeiget habe. Es sey wahr, die Sachen seyen einige Jahre her gegen die Deut- "schen und Venetianer unglücklich geführet worden: dieses aber sey von dem "übeln Verhalten nicht des Sultans, sondern des Weßirs und der Vorsteher "bey dem Heere und der Schatzkammer hergekommen; und das göttliche "Wesen, das durch die unmäßige Schinderey dieser Räuber zu gerechtem Zorne "gereizet worden, habe nothwendig sowol diese, als sie selbst, dafür züchtigen "müssen. Gesetzt aber auch, daß der Sultan selbst die Veranlassung zu die- "sem Unglücke gegeben hätte, und daher abzusetzen wäre: so sey doch keine [Spaltenumbruch]
92 Orta Dschami*] Ein Tempel, der in der Mitte der Kammern der Jeng-itscheri stehet, darinnen sie sich versammeln, ihr Ge- [Spaltenumbruch] bet zu verrichten, oder sich über eine Sache mit einander zu berathschlagen: oder auch, wann sie gemüssiget sind, dem Sultane eine
"Per-
* auf deutsch, der mittlere Tempel.
Osmaniſche Geſchichte
dem er des Sultans Befehl empfangen, alle erſinnliche Wege verſucht, die Sol- daten von der Anruͤckung gegen den kaiſerlichen Sitz abzuhalten; es ſey ihm aber unmoͤglich geweſen, ihrem einhaͤlligen Schluſſe, nach dem ſie nichts als Feuer und Schwert begehret, zu widerſtreben. Indeſſen wolle er doch alle Mittel anwenden, dem Aufruhre Einhalt zu thun, und ſeines eigenen Lebens nicht ſchonen, damit nur der Sultan auf ſeinem Throne begluͤckt und unerſchuͤttert bleiben moͤge.
Nach geſchwor- ner Treue wird derſelbe von dem Sultane entlaſ- ſen, und bemuͤ- het ſich, dem Auf- ruhre Einhaltzu thun.
186.
Nachdem er dieſes Verſprechen mit einem Eide bekraͤftiget hatte: ſo wurde er von dem Sultane entlaſſen. Um ſich nun ein Vertrauen zu erwer- ben und ſeine Worte geltend zu machen, ſchickte er, ſo bald er in ſeine Hofhal- tung zuruͤck kam, nach den Haͤuptern der Aufruͤhrer, und ließ dieſelben zu ſich kommen. Dieſen that er die Vorſtellung: “Der Sultan habe ihnen die “Haͤlfte ihres ruͤckſtaͤndigen Soldes bereits auszahlen laſſen, und wolle das “Uebrige in wenigen Tagen nachſenden. Es habe derſelbe, nach dem Verlangen “des Heeres, die Raͤuber und Verraͤther des Reichs am Leben geſtrafet, und “nichts unterlaſſen, ihr Begehren zu erfuͤllen. Itzo aber muͤſſe man uͤberlegen, “auf was fuͤr Art die Soldaten, die einen Aufruhr im Sinne haben, beſaͤnfti- “get und dahin gebracht werden koͤnnten, daß ſie dem beſten Kaiſer von der “Welt den gebuͤhrenden Dank abſtatteten. Es ſey ihm zwar wohl bekannt, “daß einige der Verſchwornen damit umgingen, den Sultan ſelbſt abzuſetzen: “allein, er koͤnne nicht begreifen, wie ein vernuͤnftiger Menſch ſich einfallen “laſſen koͤnne, einen ſo gottſeligen und gnaͤdigen Fuͤrſten, der durch ſeine Siege “einen ſolchen Ruhm erlanget habe und ein Vater ſeiner Laͤnder ſey, ſo erſchreck- “lich zu beleidigen; und dieſes zur Vergeltung fuͤr ſeine letztere Gewogenheit, “die er nicht allein den Soldaten, ſondern dem ganzen osmaniſchen Reiche er- “zeiget habe. Es ſey wahr, die Sachen ſeyen einige Jahre her gegen die Deut- “ſchen und Venetianer ungluͤcklich gefuͤhret worden: dieſes aber ſey von dem “uͤbeln Verhalten nicht des Sultans, ſondern des Weßirs und der Vorſteher “bey dem Heere und der Schatzkammer hergekommen; und das goͤttliche “Weſen, das durch die unmaͤßige Schinderey dieſer Raͤuber zu gerechtem Zorne “gereizet worden, habe nothwendig ſowol dieſe, als ſie ſelbſt, dafuͤr zuͤchtigen “muͤſſen. Geſetzt aber auch, daß der Sultan ſelbſt die Veranlaſſung zu die- “ſem Ungluͤcke gegeben haͤtte, und daher abzuſetzen waͤre: ſo ſey doch keine [Spaltenumbruch]
92 Orta Dſchami*] Ein Tempel, der in der Mitte der Kammern der Jeng-itſcheri ſtehet, darinnen ſie ſich verſammeln, ihr Ge- [Spaltenumbruch] bet zu verrichten, oder ſich uͤber eine Sache mit einander zu berathſchlagen: oder auch, wann ſie gemuͤſſiget ſind, dem Sultane eine
“Per-
* auf deutſch, der mittlere Tempel.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0662"n="554"/><fwplace="top"type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/>
dem er des Sultans Befehl empfangen, alle erſinnliche Wege verſucht, die Sol-<lb/>
daten von der Anruͤckung gegen den kaiſerlichen Sitz abzuhalten; es ſey ihm aber<lb/>
unmoͤglich geweſen, ihrem einhaͤlligen Schluſſe, nach dem ſie nichts als Feuer und<lb/>
Schwert begehret, zu widerſtreben. Indeſſen wolle er doch alle Mittel anwenden,<lb/>
dem Aufruhre Einhalt zu thun, und ſeines eigenen Lebens nicht ſchonen, damit nur<lb/>
der Sultan auf ſeinem Throne begluͤckt und unerſchuͤttert bleiben moͤge.</p><lb/><noteplace="left">Nach geſchwor-<lb/>
ner Treue wird<lb/>
derſelbe von dem<lb/>
Sultane entlaſ-<lb/>ſen, und bemuͤ-<lb/>
het ſich, dem Auf-<lb/>
ruhre Einhaltzu thun.</note></div><lb/><divn="3"><head>186.</head><p>Nachdem er dieſes Verſprechen mit einem Eide bekraͤftiget hatte:<lb/>ſo wurde er von dem Sultane entlaſſen. Um ſich nun ein Vertrauen zu erwer-<lb/>
ben und ſeine Worte geltend zu machen, ſchickte er, ſo bald er in ſeine Hofhal-<lb/>
tung zuruͤck kam, nach den Haͤuptern der Aufruͤhrer, und ließ dieſelben zu ſich<lb/>
kommen. Dieſen that er die Vorſtellung: “Der Sultan habe ihnen die<lb/>“Haͤlfte ihres ruͤckſtaͤndigen Soldes bereits auszahlen laſſen, und wolle das<lb/>“Uebrige in wenigen Tagen nachſenden. Es habe derſelbe, nach dem Verlangen<lb/>“des Heeres, die Raͤuber und Verraͤther des Reichs am Leben geſtrafet, und<lb/>“nichts unterlaſſen, ihr Begehren zu erfuͤllen. Itzo aber muͤſſe man uͤberlegen,<lb/>“auf was fuͤr Art die Soldaten, die einen Aufruhr im Sinne haben, beſaͤnfti-<lb/>“get und dahin gebracht werden koͤnnten, daß ſie dem beſten Kaiſer von der<lb/>“Welt den gebuͤhrenden Dank abſtatteten. Es ſey ihm zwar wohl bekannt,<lb/>“daß einige der Verſchwornen damit umgingen, den Sultan ſelbſt abzuſetzen:<lb/>“allein, er koͤnne nicht begreifen, wie ein vernuͤnftiger Menſch ſich einfallen<lb/>“laſſen koͤnne, einen ſo gottſeligen und gnaͤdigen Fuͤrſten, der durch ſeine Siege<lb/>“einen ſolchen Ruhm erlanget habe und ein Vater ſeiner Laͤnder ſey, ſo erſchreck-<lb/>“lich zu beleidigen; und dieſes zur Vergeltung fuͤr ſeine letztere Gewogenheit,<lb/>“die er nicht allein den Soldaten, ſondern dem ganzen osmaniſchen Reiche er-<lb/>“zeiget habe. Es ſey wahr, die Sachen ſeyen einige Jahre her gegen die Deut-<lb/>“ſchen und Venetianer ungluͤcklich gefuͤhret worden: dieſes aber ſey von dem<lb/>“uͤbeln Verhalten nicht des Sultans, ſondern des Weßirs und der Vorſteher<lb/>“bey dem Heere und der Schatzkammer hergekommen; und das goͤttliche<lb/>“Weſen, das durch die unmaͤßige Schinderey dieſer Raͤuber zu gerechtem Zorne<lb/>“gereizet worden, habe nothwendig ſowol dieſe, als ſie ſelbſt, dafuͤr zuͤchtigen<lb/>“muͤſſen. Geſetzt aber auch, daß der Sultan ſelbſt die Veranlaſſung zu die-<lb/>“ſem Ungluͤcke gegeben haͤtte, und daher abzuſetzen waͤre: ſo ſey doch keine<lb/><fwplace="bottom"type="catch">“Per-</fw><lb/><cbn="1"/><lb/><notexml:id="W662"next="#W663"place="end"n="92">Orta Dſchami<noteplace="foot"n="*">auf deutſch, der mittlere Tempel.</note>] Ein Tempel, der<lb/>
in der Mitte der Kammern der Jeng-itſcheri<lb/>ſtehet, darinnen ſie ſich verſammeln, ihr Ge-<lb/><cbn="2"/><lb/>
bet zu verrichten, oder ſich uͤber eine Sache<lb/>
mit einander zu berathſchlagen: oder auch,<lb/>
wann ſie gemuͤſſiget ſind, dem Sultane eine<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Bitt-</fw></note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[554/0662]
Osmaniſche Geſchichte
dem er des Sultans Befehl empfangen, alle erſinnliche Wege verſucht, die Sol-
daten von der Anruͤckung gegen den kaiſerlichen Sitz abzuhalten; es ſey ihm aber
unmoͤglich geweſen, ihrem einhaͤlligen Schluſſe, nach dem ſie nichts als Feuer und
Schwert begehret, zu widerſtreben. Indeſſen wolle er doch alle Mittel anwenden,
dem Aufruhre Einhalt zu thun, und ſeines eigenen Lebens nicht ſchonen, damit nur
der Sultan auf ſeinem Throne begluͤckt und unerſchuͤttert bleiben moͤge.
186. Nachdem er dieſes Verſprechen mit einem Eide bekraͤftiget hatte:
ſo wurde er von dem Sultane entlaſſen. Um ſich nun ein Vertrauen zu erwer-
ben und ſeine Worte geltend zu machen, ſchickte er, ſo bald er in ſeine Hofhal-
tung zuruͤck kam, nach den Haͤuptern der Aufruͤhrer, und ließ dieſelben zu ſich
kommen. Dieſen that er die Vorſtellung: “Der Sultan habe ihnen die
“Haͤlfte ihres ruͤckſtaͤndigen Soldes bereits auszahlen laſſen, und wolle das
“Uebrige in wenigen Tagen nachſenden. Es habe derſelbe, nach dem Verlangen
“des Heeres, die Raͤuber und Verraͤther des Reichs am Leben geſtrafet, und
“nichts unterlaſſen, ihr Begehren zu erfuͤllen. Itzo aber muͤſſe man uͤberlegen,
“auf was fuͤr Art die Soldaten, die einen Aufruhr im Sinne haben, beſaͤnfti-
“get und dahin gebracht werden koͤnnten, daß ſie dem beſten Kaiſer von der
“Welt den gebuͤhrenden Dank abſtatteten. Es ſey ihm zwar wohl bekannt,
“daß einige der Verſchwornen damit umgingen, den Sultan ſelbſt abzuſetzen:
“allein, er koͤnne nicht begreifen, wie ein vernuͤnftiger Menſch ſich einfallen
“laſſen koͤnne, einen ſo gottſeligen und gnaͤdigen Fuͤrſten, der durch ſeine Siege
“einen ſolchen Ruhm erlanget habe und ein Vater ſeiner Laͤnder ſey, ſo erſchreck-
“lich zu beleidigen; und dieſes zur Vergeltung fuͤr ſeine letztere Gewogenheit,
“die er nicht allein den Soldaten, ſondern dem ganzen osmaniſchen Reiche er-
“zeiget habe. Es ſey wahr, die Sachen ſeyen einige Jahre her gegen die Deut-
“ſchen und Venetianer ungluͤcklich gefuͤhret worden: dieſes aber ſey von dem
“uͤbeln Verhalten nicht des Sultans, ſondern des Weßirs und der Vorſteher
“bey dem Heere und der Schatzkammer hergekommen; und das goͤttliche
“Weſen, das durch die unmaͤßige Schinderey dieſer Raͤuber zu gerechtem Zorne
“gereizet worden, habe nothwendig ſowol dieſe, als ſie ſelbſt, dafuͤr zuͤchtigen
“muͤſſen. Geſetzt aber auch, daß der Sultan ſelbſt die Veranlaſſung zu die-
“ſem Ungluͤcke gegeben haͤtte, und daher abzuſetzen waͤre: ſo ſey doch keine
“Per-
⁹² Orta Dſchami *] Ein Tempel, der
in der Mitte der Kammern der Jeng-itſcheri
ſtehet, darinnen ſie ſich verſammeln, ihr Ge-
bet zu verrichten, oder ſich uͤber eine Sache
mit einander zu berathſchlagen: oder auch,
wann ſie gemuͤſſiget ſind, dem Sultane eine
Bitt-
* auf deutſch, der mittlere Tempel.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/662>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.