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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
reten sie nach Hause, und führeten große Beute und viele Gefangenen mit
sich dahin.

Der König
nimmt auf dem
Rückwege die Fe-
stung Nemes
ein, und hieraufauch Sotschawa.
153.

Weil nun der König von Polen solchergestalt von den Tatarn be-
freyet war (denn die Türken waren nicht über den Prut gekommen); und da-
mit es nicht das Ansehen haben möchte, als wenn er des Pabstes Gelder verge-
bens durchgebracht hätte: so nahm er auf dem Rückwege die Festung Ne-
mes 81 ein, die von ihren Einwohnern verlassen war; wiewol dieses nicht ohne
Schwierigkeit geschahe. Denn es waren zufälliger Weise neunzehen moldauische
Jäger in der Festung zurückgeblieben: diese schlossen die Thore zu, zogen die
Zugbrücken auf, und weigerten sich, den König einzulassen. Der König, der
nicht weis, was für eine geringe Besatzung darinnen ist, beschießet die Stadt
vier Tage lang mit Stücken und Bomben. Die Jäger wehren sich, und tödten
ungefähr funfzig Polen nebst ihrem Feldzeugmeister. Endlich am fünften Tage,
da sie sehen, daß zehen von ihren Mitbrüdern umgebracht sind, übergeben sie die
Stadt mit der Bedingung, daß die Besatzung ziehen könnte, wohin es ihr be-
liebte. Als der König siehet, daß nicht mehr als sechs Jäger herausgegangen
kommen, die drey andere verwundete auf dem Rücken tragen: so geräth er
darüber in Verwunderung, Zorn und Scham, und befiehlet anfangs, dieselben
aufzuhenken. Nachdem aber Jablonowski ihm zu Gemüthe geführet, daß er
ihnen doch die Freyheit versprochen habe: so lässet er sie gehen. Hierauf leget
derselbe zwey hundert auserlesene Reiter in die Stadt, und ziehet alsdann nach
Sotschawa, dem alten Sitze der Fürsten von Moldau. Weil er es nun sowol
von Soldaten, als von Einwohnern, leer findet: so nimmt er dasselbe ein und
besetzet es mit seinen Truppen.

Die Tatarn
kommen zurück,
und matten die
Polen grausamab.
154.

Durch diese glücklichen Unternehmungen der Polen wurden die
Tatarn, die ihre vorige Beute nunmehr nach Hause gebracht hatten, zurück
gerufen. Nach ihrer Ankunft renneten sie, wie die raubbegierigen Wölfe, allent-
halben umher, und fingen diejenigen Polen auf, die von dem Heere einigermaßen
entfernet waren. Bey diesen Streifereyen begegnete ihnen am sechszehenten des
Monats Ssülkäde* der Großschatzmeister, den der König mit acht tausend Polen
voraus geschickt hatte, und von diesem wurden sie geschlagen und erlitten eine große
Niederlage. Aber auch dieser Sieg brachte den Polen keinen Vortheil. Denn
weil die Truppen, ihren Hunger zu stillen, genöthiget waren, sich von Baum-
[Spaltenumbruch]

81 Nemes] Eine sehr alte Stadt in
[Spaltenumbruch]
Niedermoldau, die auf einem hohen Berge

früch-
* am drey und zwanzigsten September.

Osmaniſche Geſchichte
reten ſie nach Hauſe, und fuͤhreten große Beute und viele Gefangenen mit
ſich dahin.

Der Koͤnig
nimmt auf dem
Ruͤckwege die Fe-
ſtung Nemes
ein, und hieraufauch Sotſchawa.
153.

Weil nun der Koͤnig von Polen ſolchergeſtalt von den Tatarn be-
freyet war (denn die Tuͤrken waren nicht uͤber den Prut gekommen); und da-
mit es nicht das Anſehen haben moͤchte, als wenn er des Pabſtes Gelder verge-
bens durchgebracht haͤtte: ſo nahm er auf dem Ruͤckwege die Feſtung Ne-
mes 81 ein, die von ihren Einwohnern verlaſſen war; wiewol dieſes nicht ohne
Schwierigkeit geſchahe. Denn es waren zufaͤlliger Weiſe neunzehen moldauiſche
Jaͤger in der Feſtung zuruͤckgeblieben: dieſe ſchloſſen die Thore zu, zogen die
Zugbruͤcken auf, und weigerten ſich, den Koͤnig einzulaſſen. Der Koͤnig, der
nicht weis, was fuͤr eine geringe Beſatzung darinnen iſt, beſchießet die Stadt
vier Tage lang mit Stuͤcken und Bomben. Die Jaͤger wehren ſich, und toͤdten
ungefaͤhr funfzig Polen nebſt ihrem Feldzeugmeiſter. Endlich am fuͤnften Tage,
da ſie ſehen, daß zehen von ihren Mitbruͤdern umgebracht ſind, uͤbergeben ſie die
Stadt mit der Bedingung, daß die Beſatzung ziehen koͤnnte, wohin es ihr be-
liebte. Als der Koͤnig ſiehet, daß nicht mehr als ſechs Jaͤger herausgegangen
kommen, die drey andere verwundete auf dem Ruͤcken tragen: ſo geraͤth er
daruͤber in Verwunderung, Zorn und Scham, und befiehlet anfangs, dieſelben
aufzuhenken. Nachdem aber Jablonowſki ihm zu Gemuͤthe gefuͤhret, daß er
ihnen doch die Freyheit verſprochen habe: ſo laͤſſet er ſie gehen. Hierauf leget
derſelbe zwey hundert auserleſene Reiter in die Stadt, und ziehet alsdann nach
Sotſchawa, dem alten Sitze der Fuͤrſten von Moldau. Weil er es nun ſowol
von Soldaten, als von Einwohnern, leer findet: ſo nimmt er daſſelbe ein und
beſetzet es mit ſeinen Truppen.

Die Tatarn
kommen zuruͤck,
und matten die
Polen grauſamab.
154.

Durch dieſe gluͤcklichen Unternehmungen der Polen wurden die
Tatarn, die ihre vorige Beute nunmehr nach Hauſe gebracht hatten, zuruͤck
gerufen. Nach ihrer Ankunft renneten ſie, wie die raubbegierigen Woͤlfe, allent-
halben umher, und fingen diejenigen Polen auf, die von dem Heere einigermaßen
entfernet waren. Bey dieſen Streifereyen begegnete ihnen am ſechszehenten des
Monats Sſuͤlkaͤde* der Großſchatzmeiſter, den der Koͤnig mit acht tauſend Polen
voraus geſchickt hatte, und von dieſem wurden ſie geſchlagen und erlitten eine große
Niederlage. Aber auch dieſer Sieg brachte den Polen keinen Vortheil. Denn
weil die Truppen, ihren Hunger zu ſtillen, genoͤthiget waren, ſich von Baum-
[Spaltenumbruch]

81 Nemes] Eine ſehr alte Stadt in
[Spaltenumbruch]
Niedermoldau, die auf einem hohen Berge

fruͤch-
* am drey und zwanzigſten September.
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[534/0642] Osmaniſche Geſchichte reten ſie nach Hauſe, und fuͤhreten große Beute und viele Gefangenen mit ſich dahin. 153. Weil nun der Koͤnig von Polen ſolchergeſtalt von den Tatarn be- freyet war (denn die Tuͤrken waren nicht uͤber den Prut gekommen); und da- mit es nicht das Anſehen haben moͤchte, als wenn er des Pabſtes Gelder verge- bens durchgebracht haͤtte: ſo nahm er auf dem Ruͤckwege die Feſtung Ne- mes ⁸¹ ein, die von ihren Einwohnern verlaſſen war; wiewol dieſes nicht ohne Schwierigkeit geſchahe. Denn es waren zufaͤlliger Weiſe neunzehen moldauiſche Jaͤger in der Feſtung zuruͤckgeblieben: dieſe ſchloſſen die Thore zu, zogen die Zugbruͤcken auf, und weigerten ſich, den Koͤnig einzulaſſen. Der Koͤnig, der nicht weis, was fuͤr eine geringe Beſatzung darinnen iſt, beſchießet die Stadt vier Tage lang mit Stuͤcken und Bomben. Die Jaͤger wehren ſich, und toͤdten ungefaͤhr funfzig Polen nebſt ihrem Feldzeugmeiſter. Endlich am fuͤnften Tage, da ſie ſehen, daß zehen von ihren Mitbruͤdern umgebracht ſind, uͤbergeben ſie die Stadt mit der Bedingung, daß die Beſatzung ziehen koͤnnte, wohin es ihr be- liebte. Als der Koͤnig ſiehet, daß nicht mehr als ſechs Jaͤger herausgegangen kommen, die drey andere verwundete auf dem Ruͤcken tragen: ſo geraͤth er daruͤber in Verwunderung, Zorn und Scham, und befiehlet anfangs, dieſelben aufzuhenken. Nachdem aber Jablonowſki ihm zu Gemuͤthe gefuͤhret, daß er ihnen doch die Freyheit verſprochen habe: ſo laͤſſet er ſie gehen. Hierauf leget derſelbe zwey hundert auserleſene Reiter in die Stadt, und ziehet alsdann nach Sotſchawa, dem alten Sitze der Fuͤrſten von Moldau. Weil er es nun ſowol von Soldaten, als von Einwohnern, leer findet: ſo nimmt er daſſelbe ein und beſetzet es mit ſeinen Truppen. 154. Durch dieſe gluͤcklichen Unternehmungen der Polen wurden die Tatarn, die ihre vorige Beute nunmehr nach Hauſe gebracht hatten, zuruͤck gerufen. Nach ihrer Ankunft renneten ſie, wie die raubbegierigen Woͤlfe, allent- halben umher, und fingen diejenigen Polen auf, die von dem Heere einigermaßen entfernet waren. Bey dieſen Streifereyen begegnete ihnen am ſechszehenten des Monats Sſuͤlkaͤde * der Großſchatzmeiſter, den der Koͤnig mit acht tauſend Polen voraus geſchickt hatte, und von dieſem wurden ſie geſchlagen und erlitten eine große Niederlage. Aber auch dieſer Sieg brachte den Polen keinen Vortheil. Denn weil die Truppen, ihren Hunger zu ſtillen, genoͤthiget waren, ſich von Baum- fruͤch- ⁸¹ Nemes] Eine ſehr alte Stadt in Niedermoldau, die auf einem hohen Berge jen- * am drey und zwanzigſten September.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/642>, abgerufen am 22.11.2024.