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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
kommt Jusüf Kißlar Aga 74 hinter die Sache, die der Weßir dem Sultane vor-
getragen hatte, und fasset gleich einen Argwohn (wie er dann ein Mann von
großer Statsklugheit und in Hofstreichen wohl erfahren war), daß eine gewisse
verborgene Schlinge unter diesem scheinbaren Vorwande versteckt seyn müsse;
weil er wußte, daß der Weßir Sülejmans abgesagter Feind war. Er giebt
daher durch einen von seinen Freunden Sülejman Pascha Nachricht davon,
und ermahnet ihn, sich vor dem Weßire in Acht zu nehmen. So bald Sülej-
man Pascha des Sultans Befehl erhält: so begiebt er sich unverzüglich nach
Constantinopel, und machet, ehe er noch zu dem Sultane kommt, dem Weßire
seine Aufwartung; als wenn er begierig wäre, von ihm seine Befehle zu em-
pfangen. Dabey stellet er sich an, als wenn er besonders große Hochachtung
und Ehrerbietigkeit gegen denselben trüge; so daß der Weßir sich einbildet, er
hätte den Fuchs bereits im Garne, und ihm als ein Freund eröffnet: der Sul-
tan habe aus Achtung für seine Klugheit und Herzhaftigkeit befohlen, ihn hie-
her zu berufen, um wegen Herstellung der Wohlfahrt des Reiches und der Wahl
eines Seräskjers von Ungarn dessen Meinung zu vernehmen. Als derselbe
hierauf nach Hofe kommt: so rühmet ihn der Sultan gar sehr wegen seines
Sieges über die Polen, und wegen seiner tapfern Vertheidigung des Reiches
auf derselben Seite; träget ihm den Posten eines Seräskjers in Ungarn auf,
und füget hinzu: er hoffe, die Erinnerung seines über die Polen erhaltenen
Sieges werde den osmanischen Soldaten einen Muth einflößen, und machen,
daß sie unter ihm, als einem siegreichen Seräskjer, mit größerer Herzhaftigkeit
und Glücke föchten, als sonst unter einem andern Befehlhaber. Sülejman
Pascha antwortet darauf: er sey schuldig, sein Leben und Vermögen für den
Sultan aufzuopfern; und erkühne sich daher nicht, den Befehlen desselben, es
seyen welche es wollten, sich zu widersetzen. Indessen könne er nicht umhin,
anzumerken, daß der verwirrte Zustand der öffentlichen Sachen, und der
Schrecken, der dem Heere durch die Niederlage bey Wien ins Gemüth geprä-
get worden, die Gegenwart, wo nicht des Sultans selbst, doch wenigstens des
obersten Weßirs, in dem Lager erfordere; denn das Ansehen eines Seräskjers
[Spaltenumbruch]
und bat den Sultan, er möchte ihn doch nicht
noch einmal in diese Gefahr setzen: denn er
achte es für eine der größten Glückseligkeiten
in seinem Leben, daß er daraus entronnen sey.
74 Jusüf Kißlar Aga] Bey der Ero-
berung von Kamjenjez war derselbe Chäßine-
[Spaltenumbruch]
dar Baschi oder Oberschatzmeister des Frauen-
zimmers in dem Seraj; und noch in dem-
selben Jahre wurde er zu der Würde des Kiß-
lar Agas erhoben. Er stund bey dem Sultan
Muhämmed in solcher Hochachtung, daß der
Sultan nichts ohne sein Mitwissen vorneh-
men wollte; daher die Weßire sich mehr vor

sey

Osmaniſche Geſchichte
kommt Juſuͤf Kißlar Aga 74 hinter die Sache, die der Weßir dem Sultane vor-
getragen hatte, und faſſet gleich einen Argwohn (wie er dann ein Mann von
großer Statsklugheit und in Hofſtreichen wohl erfahren war), daß eine gewiſſe
verborgene Schlinge unter dieſem ſcheinbaren Vorwande verſteckt ſeyn muͤſſe;
weil er wußte, daß der Weßir Suͤlejmans abgeſagter Feind war. Er giebt
daher durch einen von ſeinen Freunden Suͤlejman Paſcha Nachricht davon,
und ermahnet ihn, ſich vor dem Weßire in Acht zu nehmen. So bald Suͤlej-
man Paſcha des Sultans Befehl erhaͤlt: ſo begiebt er ſich unverzuͤglich nach
Conſtantinopel, und machet, ehe er noch zu dem Sultane kommt, dem Weßire
ſeine Aufwartung; als wenn er begierig waͤre, von ihm ſeine Befehle zu em-
pfangen. Dabey ſtellet er ſich an, als wenn er beſonders große Hochachtung
und Ehrerbietigkeit gegen denſelben truͤge; ſo daß der Weßir ſich einbildet, er
haͤtte den Fuchs bereits im Garne, und ihm als ein Freund eroͤffnet: der Sul-
tan habe aus Achtung fuͤr ſeine Klugheit und Herzhaftigkeit befohlen, ihn hie-
her zu berufen, um wegen Herſtellung der Wohlfahrt des Reiches und der Wahl
eines Seraͤskjers von Ungarn deſſen Meinung zu vernehmen. Als derſelbe
hierauf nach Hofe kommt: ſo ruͤhmet ihn der Sultan gar ſehr wegen ſeines
Sieges uͤber die Polen, und wegen ſeiner tapfern Vertheidigung des Reiches
auf derſelben Seite; traͤget ihm den Poſten eines Seraͤskjers in Ungarn auf,
und fuͤget hinzu: er hoffe, die Erinnerung ſeines uͤber die Polen erhaltenen
Sieges werde den osmaniſchen Soldaten einen Muth einfloͤßen, und machen,
daß ſie unter ihm, als einem ſiegreichen Seraͤskjer, mit groͤßerer Herzhaftigkeit
und Gluͤcke foͤchten, als ſonſt unter einem andern Befehlhaber. Suͤlejman
Paſcha antwortet darauf: er ſey ſchuldig, ſein Leben und Vermoͤgen fuͤr den
Sultan aufzuopfern; und erkuͤhne ſich daher nicht, den Befehlen deſſelben, es
ſeyen welche es wollten, ſich zu widerſetzen. Indeſſen koͤnne er nicht umhin,
anzumerken, daß der verwirrte Zuſtand der oͤffentlichen Sachen, und der
Schrecken, der dem Heere durch die Niederlage bey Wien ins Gemuͤth gepraͤ-
get worden, die Gegenwart, wo nicht des Sultans ſelbſt, doch wenigſtens des
oberſten Weßirs, in dem Lager erfordere; denn das Anſehen eines Seraͤskjers
[Spaltenumbruch]
und bat den Sultan, er moͤchte ihn doch nicht
noch einmal in dieſe Gefahr ſetzen: denn er
achte es fuͤr eine der groͤßten Gluͤckſeligkeiten
in ſeinem Leben, daß er daraus entronnen ſey.
74 Juſuͤf Kißlar Aga] Bey der Ero-
berung von Kamjenjez war derſelbe Chaͤßine-
[Spaltenumbruch]
dar Baſchi oder Oberſchatzmeiſter des Frauen-
zimmers in dem Seraj; und noch in dem-
ſelben Jahre wurde er zu der Wuͤrde des Kiß-
lar Agas erhoben. Er ſtund bey dem Sultan
Muhaͤmmed in ſolcher Hochachtung, daß der
Sultan nichts ohne ſein Mitwiſſen vorneh-
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[518/0626] Osmaniſche Geſchichte kommt Juſuͤf Kißlar Aga ⁷⁴ hinter die Sache, die der Weßir dem Sultane vor- getragen hatte, und faſſet gleich einen Argwohn (wie er dann ein Mann von großer Statsklugheit und in Hofſtreichen wohl erfahren war), daß eine gewiſſe verborgene Schlinge unter dieſem ſcheinbaren Vorwande verſteckt ſeyn muͤſſe; weil er wußte, daß der Weßir Suͤlejmans abgeſagter Feind war. Er giebt daher durch einen von ſeinen Freunden Suͤlejman Paſcha Nachricht davon, und ermahnet ihn, ſich vor dem Weßire in Acht zu nehmen. So bald Suͤlej- man Paſcha des Sultans Befehl erhaͤlt: ſo begiebt er ſich unverzuͤglich nach Conſtantinopel, und machet, ehe er noch zu dem Sultane kommt, dem Weßire ſeine Aufwartung; als wenn er begierig waͤre, von ihm ſeine Befehle zu em- pfangen. Dabey ſtellet er ſich an, als wenn er beſonders große Hochachtung und Ehrerbietigkeit gegen denſelben truͤge; ſo daß der Weßir ſich einbildet, er haͤtte den Fuchs bereits im Garne, und ihm als ein Freund eroͤffnet: der Sul- tan habe aus Achtung fuͤr ſeine Klugheit und Herzhaftigkeit befohlen, ihn hie- her zu berufen, um wegen Herſtellung der Wohlfahrt des Reiches und der Wahl eines Seraͤskjers von Ungarn deſſen Meinung zu vernehmen. Als derſelbe hierauf nach Hofe kommt: ſo ruͤhmet ihn der Sultan gar ſehr wegen ſeines Sieges uͤber die Polen, und wegen ſeiner tapfern Vertheidigung des Reiches auf derſelben Seite; traͤget ihm den Poſten eines Seraͤskjers in Ungarn auf, und fuͤget hinzu: er hoffe, die Erinnerung ſeines uͤber die Polen erhaltenen Sieges werde den osmaniſchen Soldaten einen Muth einfloͤßen, und machen, daß ſie unter ihm, als einem ſiegreichen Seraͤskjer, mit groͤßerer Herzhaftigkeit und Gluͤcke foͤchten, als ſonſt unter einem andern Befehlhaber. Suͤlejman Paſcha antwortet darauf: er ſey ſchuldig, ſein Leben und Vermoͤgen fuͤr den Sultan aufzuopfern; und erkuͤhne ſich daher nicht, den Befehlen deſſelben, es ſeyen welche es wollten, ſich zu widerſetzen. Indeſſen koͤnne er nicht umhin, anzumerken, daß der verwirrte Zuſtand der oͤffentlichen Sachen, und der Schrecken, der dem Heere durch die Niederlage bey Wien ins Gemuͤth gepraͤ- get worden, die Gegenwart, wo nicht des Sultans ſelbſt, doch wenigſtens des oberſten Weßirs, in dem Lager erfordere; denn das Anſehen eines Seraͤskjers ſey und bat den Sultan, er moͤchte ihn doch nicht noch einmal in dieſe Gefahr ſetzen: denn er achte es fuͤr eine der groͤßten Gluͤckſeligkeiten in ſeinem Leben, daß er daraus entronnen ſey. ⁷⁴ Juſuͤf Kißlar Aga] Bey der Ero- berung von Kamjenjez war derſelbe Chaͤßine- dar Baſchi oder Oberſchatzmeiſter des Frauen- zimmers in dem Seraj; und noch in dem- ſelben Jahre wurde er zu der Wuͤrde des Kiß- lar Agas erhoben. Er ſtund bey dem Sultan Muhaͤmmed in ſolcher Hochachtung, daß der Sultan nichts ohne ſein Mitwiſſen vorneh- men wollte; daher die Weßire ſich mehr vor ihm

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/626>, abgerufen am 22.11.2024.