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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Lager glimmete, und eben ausbrechen wollte. Die Jeng-itscheri waren ver-
drießlich über die geschwinden Reisen, die sie hatten thun müssen, um den Kö-
nig in diese Enge einzuschließen, stießen aufrührische Reden aus, nicht allein
gegen ihren Feldherrn; sondern auch gegen den Kaiser selbst, und sagten öffent-
lich: es wäre das größte Unrecht, daß man sie zwänge mit Feinden und Wetter
zu streiten, da inzwischen der Sultan sich mit Jagen wilder Thiere 15 ergetzete
und noch in andern Wollüsten mehr herum wälzete; man stellete sie, da sie doch
das vornehmste Werkzeug der Grundlegung und Erweiterung des Reichs gewe-
sen seyen, itzo unter die Befehlhabung eines Seräskjers, und hielte sie solcher-
gestalt gleichsam für unwürdig, unter der Anführung des Kaisers oder Weßirs
zu fechten, wie es der alte und ordentliche Gebrauch sey. Auf der andern Seite
merkte der Chan 16 der krimischen Tatarey, daß er bey diesem Kriege mehr Ver-
lust als Vortheil habe, und ermangelte daher nicht, den Seräskjer zum Frieden
zu bereden, indem er ihm vorstellete: die Friedensbedingungen, die der König
in Polen itzo anbieten würde, müßte man nicht verachten; denn er zweifele
nicht, die Polen würden, um sich von der augenscheinlichen Gefahr zu befreyen,
in alles einwilligen, was man von ihnen begehrete. Wenn man sie aber noch
länger drängete: so sey zu besorgen, die Verzweifelung möchte ihren Muth
wieder erwecken, und verursachen, daß sie einen Durchbruch wageten; und
wenn sie auch dabey das osmanische Heer nicht gänzlich aus dem Felde schlügen:
so würden sie doch wenigstens ihren eigenen Tod mit Erlegung von ganzen Tau-
senden ihrer Feinde rächen. Er setzte noch hinzu: der Winter komme itzo her-
an; und da die osmanischen Soldaten dieser Witterung nicht gewohnt seyen:
so würde dieselbe dem Feinde den Sieg sehr erleichtern. Durch diese und noch
[Spaltenumbruch]
15 wilder Thiere] Wenn die Sultane
allzusehr der Jagd ergeben sind: so laden sie
allezeit den Haß ihres Volks und ihrer Sol-
daten auf sich. Denn die Türken glauben:
ein Gemüth, das allzustark darauf erpicht
sey, Vögel und wilde Thiere zu fangen, sey
nicht im Stande, weder sich selbst, noch das
gemeine Wesen, zu regieren, oder auch heil-
same Rathschläge anzuhören. Diese Mei-
nung gründet sich auf ein gemeines türkisches
Sprichwort, das da heißet: Kuschbaßi Ku-
marbaßi öldüren, olur Gaßi; Wer einen Lieb-
haber von Vögeln (unter welchem Namen
auch derjenige zu verstehen ist, der sich der
[Spaltenumbruch]
Jagd allzusehr ergiebt) und einen Würfelspie-
ler todt schläget, der ist für einen Helden zu
achten. Dieses war die Veranlassung aller
derer Unglücksfälle, die Muhämmed und sei-
nem Sohne Mustäfa dem II zu unsern Zeiten
begegneten, und auch die hauptsächlichste Ur-
sache, warum sie abgesetzet wurden. Denn
da dieselben, ungeachtet der wiederholten Er-
mahnungen, die ihnen gegeben wurden, sich
nicht in dem Jagen mäßigen wollten: so hö-
rete das Volk nicht auf, sie so lange zu hassen
und zu verachten, bis es ihnen das Zepter
aus den Händen gewunden hatte. Solche
Kaiser aber, welche diese Ergetzlichkeit nur selten

andere

Osmaniſche Geſchichte
Lager glimmete, und eben ausbrechen wollte. Die Jeng-itſcheri waren ver-
drießlich uͤber die geſchwinden Reiſen, die ſie hatten thun muͤſſen, um den Koͤ-
nig in dieſe Enge einzuſchließen, ſtießen aufruͤhriſche Reden aus, nicht allein
gegen ihren Feldherrn; ſondern auch gegen den Kaiſer ſelbſt, und ſagten oͤffent-
lich: es waͤre das groͤßte Unrecht, daß man ſie zwaͤnge mit Feinden und Wetter
zu ſtreiten, da inzwiſchen der Sultan ſich mit Jagen wilder Thiere 15 ergetzete
und noch in andern Wolluͤſten mehr herum waͤlzete; man ſtellete ſie, da ſie doch
das vornehmſte Werkzeug der Grundlegung und Erweiterung des Reichs gewe-
ſen ſeyen, itzo unter die Befehlhabung eines Seraͤskjers, und hielte ſie ſolcher-
geſtalt gleichſam fuͤr unwuͤrdig, unter der Anfuͤhrung des Kaiſers oder Weßirs
zu fechten, wie es der alte und ordentliche Gebrauch ſey. Auf der andern Seite
merkte der Chan 16 der krimiſchen Tatarey, daß er bey dieſem Kriege mehr Ver-
luſt als Vortheil habe, und ermangelte daher nicht, den Seraͤskjer zum Frieden
zu bereden, indem er ihm vorſtellete: die Friedensbedingungen, die der Koͤnig
in Polen itzo anbieten wuͤrde, muͤßte man nicht verachten; denn er zweifele
nicht, die Polen wuͤrden, um ſich von der augenſcheinlichen Gefahr zu befreyen,
in alles einwilligen, was man von ihnen begehrete. Wenn man ſie aber noch
laͤnger draͤngete: ſo ſey zu beſorgen, die Verzweifelung moͤchte ihren Muth
wieder erwecken, und verurſachen, daß ſie einen Durchbruch wageten; und
wenn ſie auch dabey das osmaniſche Heer nicht gaͤnzlich aus dem Felde ſchluͤgen:
ſo wuͤrden ſie doch wenigſtens ihren eigenen Tod mit Erlegung von ganzen Tau-
ſenden ihrer Feinde raͤchen. Er ſetzte noch hinzu: der Winter komme itzo her-
an; und da die osmaniſchen Soldaten dieſer Witterung nicht gewohnt ſeyen:
ſo wuͤrde dieſelbe dem Feinde den Sieg ſehr erleichtern. Durch dieſe und noch
[Spaltenumbruch]
15 wilder Thiere] Wenn die Sultane
allzuſehr der Jagd ergeben ſind: ſo laden ſie
allezeit den Haß ihres Volks und ihrer Sol-
daten auf ſich. Denn die Tuͤrken glauben:
ein Gemuͤth, das allzuſtark darauf erpicht
ſey, Voͤgel und wilde Thiere zu fangen, ſey
nicht im Stande, weder ſich ſelbſt, noch das
gemeine Weſen, zu regieren, oder auch heil-
ſame Rathſchlaͤge anzuhoͤren. Dieſe Mei-
nung gruͤndet ſich auf ein gemeines tuͤrkiſches
Sprichwort, das da heißet: Kuſchbaßi Ku-
marbaßi oͤlduͤren, olur Gaßi; Wer einen Lieb-
haber von Voͤgeln (unter welchem Namen
auch derjenige zu verſtehen iſt, der ſich der
[Spaltenumbruch]
Jagd allzuſehr ergiebt) und einen Wuͤrfelſpie-
ler todt ſchlaͤget, der iſt fuͤr einen Helden zu
achten. Dieſes war die Veranlaſſung aller
derer Ungluͤcksfaͤlle, die Muhaͤmmed und ſei-
nem Sohne Muſtaͤfa dem II zu unſern Zeiten
begegneten, und auch die hauptſaͤchlichſte Ur-
ſache, warum ſie abgeſetzet wurden. Denn
da dieſelben, ungeachtet der wiederholten Er-
mahnungen, die ihnen gegeben wurden, ſich
nicht in dem Jagen maͤßigen wollten: ſo hoͤ-
rete das Volk nicht auf, ſie ſo lange zu haſſen
und zu verachten, bis es ihnen das Zepter
aus den Haͤnden gewunden hatte. Solche
Kaiſer aber, welche dieſe Ergetzlichkeit nur ſelten

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[426/0534] Osmaniſche Geſchichte Lager glimmete, und eben ausbrechen wollte. Die Jeng-itſcheri waren ver- drießlich uͤber die geſchwinden Reiſen, die ſie hatten thun muͤſſen, um den Koͤ- nig in dieſe Enge einzuſchließen, ſtießen aufruͤhriſche Reden aus, nicht allein gegen ihren Feldherrn; ſondern auch gegen den Kaiſer ſelbſt, und ſagten oͤffent- lich: es waͤre das groͤßte Unrecht, daß man ſie zwaͤnge mit Feinden und Wetter zu ſtreiten, da inzwiſchen der Sultan ſich mit Jagen wilder Thiere ¹⁵ ergetzete und noch in andern Wolluͤſten mehr herum waͤlzete; man ſtellete ſie, da ſie doch das vornehmſte Werkzeug der Grundlegung und Erweiterung des Reichs gewe- ſen ſeyen, itzo unter die Befehlhabung eines Seraͤskjers, und hielte ſie ſolcher- geſtalt gleichſam fuͤr unwuͤrdig, unter der Anfuͤhrung des Kaiſers oder Weßirs zu fechten, wie es der alte und ordentliche Gebrauch ſey. Auf der andern Seite merkte der Chan ¹⁶ der krimiſchen Tatarey, daß er bey dieſem Kriege mehr Ver- luſt als Vortheil habe, und ermangelte daher nicht, den Seraͤskjer zum Frieden zu bereden, indem er ihm vorſtellete: die Friedensbedingungen, die der Koͤnig in Polen itzo anbieten wuͤrde, muͤßte man nicht verachten; denn er zweifele nicht, die Polen wuͤrden, um ſich von der augenſcheinlichen Gefahr zu befreyen, in alles einwilligen, was man von ihnen begehrete. Wenn man ſie aber noch laͤnger draͤngete: ſo ſey zu beſorgen, die Verzweifelung moͤchte ihren Muth wieder erwecken, und verurſachen, daß ſie einen Durchbruch wageten; und wenn ſie auch dabey das osmaniſche Heer nicht gaͤnzlich aus dem Felde ſchluͤgen: ſo wuͤrden ſie doch wenigſtens ihren eigenen Tod mit Erlegung von ganzen Tau- ſenden ihrer Feinde raͤchen. Er ſetzte noch hinzu: der Winter komme itzo her- an; und da die osmaniſchen Soldaten dieſer Witterung nicht gewohnt ſeyen: ſo wuͤrde dieſelbe dem Feinde den Sieg ſehr erleichtern. Durch dieſe und noch andere ¹⁵ wilder Thiere] Wenn die Sultane allzuſehr der Jagd ergeben ſind: ſo laden ſie allezeit den Haß ihres Volks und ihrer Sol- daten auf ſich. Denn die Tuͤrken glauben: ein Gemuͤth, das allzuſtark darauf erpicht ſey, Voͤgel und wilde Thiere zu fangen, ſey nicht im Stande, weder ſich ſelbſt, noch das gemeine Weſen, zu regieren, oder auch heil- ſame Rathſchlaͤge anzuhoͤren. Dieſe Mei- nung gruͤndet ſich auf ein gemeines tuͤrkiſches Sprichwort, das da heißet: Kuſchbaßi Ku- marbaßi oͤlduͤren, olur Gaßi; Wer einen Lieb- haber von Voͤgeln (unter welchem Namen auch derjenige zu verſtehen iſt, der ſich der Jagd allzuſehr ergiebt) und einen Wuͤrfelſpie- ler todt ſchlaͤget, der iſt fuͤr einen Helden zu achten. Dieſes war die Veranlaſſung aller derer Ungluͤcksfaͤlle, die Muhaͤmmed und ſei- nem Sohne Muſtaͤfa dem II zu unſern Zeiten begegneten, und auch die hauptſaͤchlichſte Ur- ſache, warum ſie abgeſetzet wurden. Denn da dieſelben, ungeachtet der wiederholten Er- mahnungen, die ihnen gegeben wurden, ſich nicht in dem Jagen maͤßigen wollten: ſo hoͤ- rete das Volk nicht auf, ſie ſo lange zu haſſen und zu verachten, bis es ihnen das Zepter aus den Haͤnden gewunden hatte. Solche Kaiſer aber, welche dieſe Ergetzlichkeit nur ſelten und

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/534>, abgerufen am 25.11.2024.