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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
[Spaltenumbruch]
"meiner Religion ausschlagen möchte: so
"habe ich allen meinen Witz angestrenget;
"und kann doch kein Mittel aussinnen, die
"Gefahr, die der Christenheit drohet, abzu-
"wenden. Wenn ihr die Franzosen nicht
"in die Stadt einlasset: so werden sie, ge-
"sammter Hand mit den Türken, die Waf-
"fen gegen euch kehren, als gegen Veräch-
"ter ihrer Hülfe und offenbare Feinde;
"und so werdet ihr nicht allein die Stadt
"verlieren, sondern auch, weil ihr von ihrem
"Verrathe keinen Beweis habt, euch eine
"ewige Unehre und Schande unter den Chri-
"sten zuziehen. Wollt ihr aber im Gegen-
"theile die Feinde, die unter dem Scheine
"der Freundschaft kommen, einlassen: so
"könnet ihr leicht die Rechnung machen,
"ohne daß ich es erst anführen darf, was
"für Unglück euch alsdann und eure ganze
"Republik überfallen wird. Es befindet sich
"in dieser Stadt nicht allein der Kern des
"venetianischen Adels, sondern auch der beste
"Theil der Truppen, beysammen. Wenn
"nun diese entweder umkommen oder gefan-
"gen werden: so wird es hernach Frank-
"reich nicht schwer fallen, alle die venetia-
"nischen Länder zu überrumpeln. Noch
"mehr. Weil ich sehe, daß die Franzosen
"es für keine Schande halten, andere zu hin-
"tergehen und zu betriegen: so glaube ich
"festiglich, sie werden den Türken eben so gut,
"als euch, treulos werden; und, wann sie
"dieselben beyderseits aus dem Eylande ver-
"trieben haben, sich dieses weitläuftigen und
"berühmten Königreichs allein bemächtigen;
"und wann sie einmal davon Meister sind:
"so halte ich es hernach für unmöglich,
"ihnen dasselbe iemals wieder aus den Hän-
"den zu reißen. Da nun die Stadt sich
"nicht länger halten kann; sondern noth-
"wendig entweder in die Gewalt der Fran-
"zosen, oder der Türken, gerathen muß:
"so lasse ich es zu eurer Ueberlegung gestellet
[Spaltenumbruch]
"seyn, welches am rathsamsten ist; entwe-
"der sich der französischen Slawerey auf-
"opfern zu lassen, und nebst der Stadt viel-
"leicht die ganze Republik zu verlieren:
"oder Kandia den Türken auf rühmliche
"Bedingungen zu übergeben, denen ihr es,
"wann sie künftig in andere Kriege verwickelt
"werden, gar leicht wieder abnehmen kön-
"net. Mein Eifer für die christliche Reli-
"gion und die Wohlfahrt meiner Landes-
"leute hat mich angetrieben, euch diese Dinge
"zu offenbaren, und zwar mit Gefahr mei-
"nes Lebens und der nicht geringen Ehren-
"stelle, die ich an dem osmanischen Hofe
"bekleide. Itzo ist es euer Geschäffte, daß
"ihr zusehet, was zum Besten eures Vater-
"landes geschehen kann oder zu thun ist."
Nachdem Panajot diese Worte geredet hatte:
so kehrete er wieder in das Lager zurück.
Ungeachtet aber Morosini einen Eid geschwo-
ren hatte, niemandem zu offenbaren, was ihm
war gesaget worden: so lässet er doch noch
in derselben Nacht die obersten Kriegsbefehl-
haber zusammen berufen, nebst noch andern
vornehmen Personen, in welche er das meiste
Vertrauen setzte; leget ihnen vor, was er
von Panajot vernommen hatte, und fraget
dieselben, was bey der Sache zu thun sey.
Diese fassen nach reifer Ueberlegung der Sache
den einmüthigen Schluß, die Stadt den Tür-
ken zu übergeben, wenn sie rühmliche Bedin-
gungen erhalten könnten, und behaupten,
man müsse dieses einer langen und beschwer-
lichen Gefangenschaft vorziehen. Des andern
Morgens gehet Panajot zu dem Weßire, und
erzählet ihm, was er zu Morosini gesaget
hatte. Damit er auch der bereits verzagten
Besatzung vollends allen Muth benehmen
möge: so räth er demselben, am folgenden
Abend in der möglichsten Stille zwölf der größ-
ten Schiffe aus dem Hafen legen zu lassen,
mit Befehle, ihren Lauf gegen Cypern zu rich-
ten; wann sie aber zwanzig Meilen* gesegelt

* Leagues oder französische Meilen. Diese 20 machen 153/4 deutsche Meilen.

Osmaniſche Geſchichte
[Spaltenumbruch]
“meiner Religion ausſchlagen moͤchte: ſo
“habe ich allen meinen Witz angeſtrenget;
“und kann doch kein Mittel ausſinnen, die
“Gefahr, die der Chriſtenheit drohet, abzu-
“wenden. Wenn ihr die Franzoſen nicht
“in die Stadt einlaſſet: ſo werden ſie, ge-
“ſammter Hand mit den Tuͤrken, die Waf-
“fen gegen euch kehren, als gegen Veraͤch-
“ter ihrer Huͤlfe und offenbare Feinde;
“und ſo werdet ihr nicht allein die Stadt
“verlieren, ſondern auch, weil ihr von ihrem
“Verrathe keinen Beweis habt, euch eine
“ewige Unehre und Schande unter den Chri-
“ſten zuziehen. Wollt ihr aber im Gegen-
“theile die Feinde, die unter dem Scheine
“der Freundſchaft kommen, einlaſſen: ſo
“koͤnnet ihr leicht die Rechnung machen,
“ohne daß ich es erſt anfuͤhren darf, was
“fuͤr Ungluͤck euch alsdann und eure ganze
“Republik uͤberfallen wird. Es befindet ſich
“in dieſer Stadt nicht allein der Kern des
“venetianiſchen Adels, ſondern auch der beſte
“Theil der Truppen, beyſammen. Wenn
“nun dieſe entweder umkommen oder gefan-
“gen werden: ſo wird es hernach Frank-
“reich nicht ſchwer fallen, alle die venetia-
“niſchen Laͤnder zu uͤberrumpeln. Noch
“mehr. Weil ich ſehe, daß die Franzoſen
“es fuͤr keine Schande halten, andere zu hin-
“tergehen und zu betriegen: ſo glaube ich
“feſtiglich, ſie werden den Tuͤrken eben ſo gut,
“als euch, treulos werden; und, wann ſie
“dieſelben beyderſeits aus dem Eylande ver-
“trieben haben, ſich dieſes weitlaͤuftigen und
“beruͤhmten Koͤnigreichs allein bemaͤchtigen;
“und wann ſie einmal davon Meiſter ſind:
“ſo halte ich es hernach fuͤr unmoͤglich,
“ihnen daſſelbe iemals wieder aus den Haͤn-
“den zu reißen. Da nun die Stadt ſich
“nicht laͤnger halten kann; ſondern noth-
“wendig entweder in die Gewalt der Fran-
“zoſen, oder der Tuͤrken, gerathen muß:
“ſo laſſe ich es zu eurer Ueberlegung geſtellet
[Spaltenumbruch]
“ſeyn, welches am rathſamſten iſt; entwe-
“der ſich der franzoͤſiſchen Slawerey auf-
“opfern zu laſſen, und nebſt der Stadt viel-
“leicht die ganze Republik zu verlieren:
“oder Kandia den Tuͤrken auf ruͤhmliche
“Bedingungen zu uͤbergeben, denen ihr es,
“wann ſie kuͤnftig in andere Kriege verwickelt
“werden, gar leicht wieder abnehmen koͤn-
“net. Mein Eifer fuͤr die chriſtliche Reli-
“gion und die Wohlfahrt meiner Landes-
“leute hat mich angetrieben, euch dieſe Dinge
“zu offenbaren, und zwar mit Gefahr mei-
“nes Lebens und der nicht geringen Ehren-
“ſtelle, die ich an dem osmaniſchen Hofe
“bekleide. Itzo iſt es euer Geſchaͤffte, daß
“ihr zuſehet, was zum Beſten eures Vater-
“landes geſchehen kann oder zu thun iſt.„
Nachdem Panajot dieſe Worte geredet hatte:
ſo kehrete er wieder in das Lager zuruͤck.
Ungeachtet aber Moroſini einen Eid geſchwo-
ren hatte, niemandem zu offenbaren, was ihm
war geſaget worden: ſo laͤſſet er doch noch
in derſelben Nacht die oberſten Kriegsbefehl-
haber zuſammen berufen, nebſt noch andern
vornehmen Perſonen, in welche er das meiſte
Vertrauen ſetzte; leget ihnen vor, was er
von Panajot vernommen hatte, und fraget
dieſelben, was bey der Sache zu thun ſey.
Dieſe faſſen nach reifer Ueberlegung der Sache
den einmuͤthigen Schluß, die Stadt den Tuͤr-
ken zu uͤbergeben, wenn ſie ruͤhmliche Bedin-
gungen erhalten koͤnnten, und behaupten,
man muͤſſe dieſes einer langen und beſchwer-
lichen Gefangenſchaft vorziehen. Des andern
Morgens gehet Panajot zu dem Weßire, und
erzaͤhlet ihm, was er zu Moroſini geſaget
hatte. Damit er auch der bereits verzagten
Beſatzung vollends allen Muth benehmen
moͤge: ſo raͤth er demſelben, am folgenden
Abend in der moͤglichſten Stille zwoͤlf der groͤß-
ten Schiffe aus dem Hafen legen zu laſſen,
mit Befehle, ihren Lauf gegen Cypern zu rich-
ten; wann ſie aber zwanzig Meilen* geſegelt

* Leagues oder franzoͤſiſche Meilen. Dieſe 20 machen 15¾ deutſche Meilen.
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[398/0506] Osmaniſche Geſchichte “meiner Religion ausſchlagen moͤchte: ſo “habe ich allen meinen Witz angeſtrenget; “und kann doch kein Mittel ausſinnen, die “Gefahr, die der Chriſtenheit drohet, abzu- “wenden. Wenn ihr die Franzoſen nicht “in die Stadt einlaſſet: ſo werden ſie, ge- “ſammter Hand mit den Tuͤrken, die Waf- “fen gegen euch kehren, als gegen Veraͤch- “ter ihrer Huͤlfe und offenbare Feinde; “und ſo werdet ihr nicht allein die Stadt “verlieren, ſondern auch, weil ihr von ihrem “Verrathe keinen Beweis habt, euch eine “ewige Unehre und Schande unter den Chri- “ſten zuziehen. Wollt ihr aber im Gegen- “theile die Feinde, die unter dem Scheine “der Freundſchaft kommen, einlaſſen: ſo “koͤnnet ihr leicht die Rechnung machen, “ohne daß ich es erſt anfuͤhren darf, was “fuͤr Ungluͤck euch alsdann und eure ganze “Republik uͤberfallen wird. Es befindet ſich “in dieſer Stadt nicht allein der Kern des “venetianiſchen Adels, ſondern auch der beſte “Theil der Truppen, beyſammen. Wenn “nun dieſe entweder umkommen oder gefan- “gen werden: ſo wird es hernach Frank- “reich nicht ſchwer fallen, alle die venetia- “niſchen Laͤnder zu uͤberrumpeln. Noch “mehr. Weil ich ſehe, daß die Franzoſen “es fuͤr keine Schande halten, andere zu hin- “tergehen und zu betriegen: ſo glaube ich “feſtiglich, ſie werden den Tuͤrken eben ſo gut, “als euch, treulos werden; und, wann ſie “dieſelben beyderſeits aus dem Eylande ver- “trieben haben, ſich dieſes weitlaͤuftigen und “beruͤhmten Koͤnigreichs allein bemaͤchtigen; “und wann ſie einmal davon Meiſter ſind: “ſo halte ich es hernach fuͤr unmoͤglich, “ihnen daſſelbe iemals wieder aus den Haͤn- “den zu reißen. Da nun die Stadt ſich “nicht laͤnger halten kann; ſondern noth- “wendig entweder in die Gewalt der Fran- “zoſen, oder der Tuͤrken, gerathen muß: “ſo laſſe ich es zu eurer Ueberlegung geſtellet “ſeyn, welches am rathſamſten iſt; entwe- “der ſich der franzoͤſiſchen Slawerey auf- “opfern zu laſſen, und nebſt der Stadt viel- “leicht die ganze Republik zu verlieren: “oder Kandia den Tuͤrken auf ruͤhmliche “Bedingungen zu uͤbergeben, denen ihr es, “wann ſie kuͤnftig in andere Kriege verwickelt “werden, gar leicht wieder abnehmen koͤn- “net. Mein Eifer fuͤr die chriſtliche Reli- “gion und die Wohlfahrt meiner Landes- “leute hat mich angetrieben, euch dieſe Dinge “zu offenbaren, und zwar mit Gefahr mei- “nes Lebens und der nicht geringen Ehren- “ſtelle, die ich an dem osmaniſchen Hofe “bekleide. Itzo iſt es euer Geſchaͤffte, daß “ihr zuſehet, was zum Beſten eures Vater- “landes geſchehen kann oder zu thun iſt.„ Nachdem Panajot dieſe Worte geredet hatte: ſo kehrete er wieder in das Lager zuruͤck. Ungeachtet aber Moroſini einen Eid geſchwo- ren hatte, niemandem zu offenbaren, was ihm war geſaget worden: ſo laͤſſet er doch noch in derſelben Nacht die oberſten Kriegsbefehl- haber zuſammen berufen, nebſt noch andern vornehmen Perſonen, in welche er das meiſte Vertrauen ſetzte; leget ihnen vor, was er von Panajot vernommen hatte, und fraget dieſelben, was bey der Sache zu thun ſey. Dieſe faſſen nach reifer Ueberlegung der Sache den einmuͤthigen Schluß, die Stadt den Tuͤr- ken zu uͤbergeben, wenn ſie ruͤhmliche Bedin- gungen erhalten koͤnnten, und behaupten, man muͤſſe dieſes einer langen und beſchwer- lichen Gefangenſchaft vorziehen. Des andern Morgens gehet Panajot zu dem Weßire, und erzaͤhlet ihm, was er zu Moroſini geſaget hatte. Damit er auch der bereits verzagten Beſatzung vollends allen Muth benehmen moͤge: ſo raͤth er demſelben, am folgenden Abend in der moͤglichſten Stille zwoͤlf der groͤß- ten Schiffe aus dem Hafen legen zu laſſen, mit Befehle, ihren Lauf gegen Cypern zu rich- ten; wann ſie aber zwanzig Meilen * geſegelt waͤren, * Leagues oder franzoͤſiſche Meilen. Dieſe 20 machen 15¾ deutſche Meilen.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/506>, abgerufen am 22.11.2024.