Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte genden um die Stadt herum: sowol um zu sehen, wo er am besten den Angriffthun könnte; als auch, den Feinden durch den Aufzug seiner Völker ein Schrec- ken einzujagen. Am dritten Tage ließ derselbe alle Kriegsbefehlhaber und an- dere, die in Kriegssachen eine lange Erfahrung hatten, zusammen kommen, und befahl, daß ein ieder seine Meinung sagen sollte, auf welche Weise die Stadt zu belagern und zu bestürmen wäre. Endlich wurde beschlossen, den rothen Thurm zu untergraben, die Wälle zu beschießen, und auf dieser Seite den ersten Angriff auf die Stadt zu thun. be, und zwingetes zur Uebergabe. 8. Daher wurden in eben demselben Jahre, gegen das Ende des Mo- 6 Panajot] [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]. Diese Sa- che wird zwar von keinem einzigen christlichen Geschichtschreiber auf diese Art erzählet; es wird aber dennoch der Mühe werth seyn, daß ich hier die Nachricht von der Eroberung von Kandia einschalte, wie ich sie von solchen Personen bekommen habe, welche zur selbigen Zeit um die Geheimnisse der Statssachen wuß- ten. Weil der Sultan die Schwierigkeiten, die sich bey der Belagerung von Kandia er- äugen würden, voraus sahe: so hatte er be- fohlen, durch das ganze Kriegesheer bekannt zu machen; daß keiner von ihnen eher wieder lebendig vor sein Angesicht kommen sollte, als bis die Stadt erobert sey. Dieses aber hätte leicht, an statt daß es die Soldaten anfrischen sollte (wie die Absicht dabey war), den Un- tergang des ganzen Reiches veranlassen kön- nen. Denn nachdem die Truppen durch so viele Arbeit, durch Hitze im Sommer und Kälte im Winter, abgemattet waren; und sahen, daß sie, nach angewendeter Mühe von neun und zwanzig Monaten, noch wenig [Spaltenumbruch] ausgerichtet hatten: so fingen sie an zu mur- ren, und sagten; es sey unrecht, daß man die Kräfte des ganzen Reiches bey der Bela- gerung einer unüberwindlichen Stadt aufop- fere, die man allem Ansehen nach aus keiner andern Ursache unternommen habe, als die Jeng-itscheri dabey völlig aufzureiben. Weil nun der Weßir, wegen erhaltener Befehle von dem Kaiser, in das Begehren der Soldaten nicht einwilligen und die Belagerung aufhe- ben konnte: so trieb er dieselben, bald durch Drohungen, bald durch Geschenke und Ver- sprechen, zu ihrer Schuldigkeit an; vornehm- lich aber besänftigte er die aufrührischen Ge- müther durch seine Beredsamkeit (darinnen er alle die andern Türken zu seiner Zeit über- traf), und sprach den übrigen durch seine Worte und sein Beyspiel einen Muth ein. Indem er also auf die Stadt mit der größten Heftigkeit stürmen ließ: so lief Zeitung ein, daß die Franzosen mit einer Flote und Trup- pen herankämen, Kandia zu entsetzen, und schon auf dem halben Wege wären. Der hungen
Osmaniſche Geſchichte genden um die Stadt herum: ſowol um zu ſehen, wo er am beſten den Angriffthun koͤnnte; als auch, den Feinden durch den Aufzug ſeiner Voͤlker ein Schrec- ken einzujagen. Am dritten Tage ließ derſelbe alle Kriegsbefehlhaber und an- dere, die in Kriegsſachen eine lange Erfahrung hatten, zuſammen kommen, und befahl, daß ein ieder ſeine Meinung ſagen ſollte, auf welche Weiſe die Stadt zu belagern und zu beſtuͤrmen waͤre. Endlich wurde beſchloſſen, den rothen Thurm zu untergraben, die Waͤlle zu beſchießen, und auf dieſer Seite den erſten Angriff auf die Stadt zu thun. be, und zwingetes zur Uebergabe. 8. Daher wurden in eben demſelben Jahre, gegen das Ende des Mo- 6 Panajot] [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]. Dieſe Sa- che wird zwar von keinem einzigen chriſtlichen Geſchichtſchreiber auf dieſe Art erzaͤhlet; es wird aber dennoch der Muͤhe werth ſeyn, daß ich hier die Nachricht von der Eroberung von Kandia einſchalte, wie ich ſie von ſolchen Perſonen bekommen habe, welche zur ſelbigen Zeit um die Geheimniſſe der Statsſachen wuß- ten. Weil der Sultan die Schwierigkeiten, die ſich bey der Belagerung von Kandia er- aͤugen wuͤrden, voraus ſahe: ſo hatte er be- fohlen, durch das ganze Kriegesheer bekannt zu machen; daß keiner von ihnen eher wieder lebendig vor ſein Angeſicht kommen ſollte, als bis die Stadt erobert ſey. Dieſes aber haͤtte leicht, an ſtatt daß es die Soldaten anfriſchen ſollte (wie die Abſicht dabey war), den Un- tergang des ganzen Reiches veranlaſſen koͤn- nen. Denn nachdem die Truppen durch ſo viele Arbeit, durch Hitze im Sommer und Kaͤlte im Winter, abgemattet waren; und ſahen, daß ſie, nach angewendeter Muͤhe von neun und zwanzig Monaten, noch wenig [Spaltenumbruch] ausgerichtet hatten: ſo fingen ſie an zu mur- ren, und ſagten; es ſey unrecht, daß man die Kraͤfte des ganzen Reiches bey der Bela- gerung einer unuͤberwindlichen Stadt aufop- fere, die man allem Anſehen nach aus keiner andern Urſache unternommen habe, als die Jeng-itſcheri dabey voͤllig aufzureiben. Weil nun der Weßir, wegen erhaltener Befehle von dem Kaiſer, in das Begehren der Soldaten nicht einwilligen und die Belagerung aufhe- ben konnte: ſo trieb er dieſelben, bald durch Drohungen, bald durch Geſchenke und Ver- ſprechen, zu ihrer Schuldigkeit an; vornehm- lich aber beſaͤnftigte er die aufruͤhriſchen Ge- muͤther durch ſeine Beredſamkeit (darinnen er alle die andern Tuͤrken zu ſeiner Zeit uͤber- traf), und ſprach den uͤbrigen durch ſeine Worte und ſein Beyſpiel einen Muth ein. Indem er alſo auf die Stadt mit der groͤßten Heftigkeit ſtuͤrmen ließ: ſo lief Zeitung ein, daß die Franzoſen mit einer Flote und Trup- pen herankaͤmen, Kandia zu entſetzen, und ſchon auf dem halben Wege waͤren. Der hungen
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Osmaniſche Geſchichte
genden um die Stadt herum: ſowol um zu ſehen, wo er am beſten den Angriff
thun koͤnnte; als auch, den Feinden durch den Aufzug ſeiner Voͤlker ein Schrec-
ken einzujagen. Am dritten Tage ließ derſelbe alle Kriegsbefehlhaber und an-
dere, die in Kriegsſachen eine lange Erfahrung hatten, zuſammen kommen, und
befahl, daß ein ieder ſeine Meinung ſagen ſollte, auf welche Weiſe die Stadt zu
belagern und zu beſtuͤrmen waͤre. Endlich wurde beſchloſſen, den rothen Thurm
zu untergraben, die Waͤlle zu beſchießen, und auf dieſer Seite den erſten Angriff
auf die Stadt zu thun.
8. Daher wurden in eben demſelben Jahre, gegen das Ende des Mo-
nats Sſuͤlhidſchdſche, die Schanzen aufgeworfen, die Stadt berennet, und
eine Belagerung angefangen, dergleichen noch nicht war geſehen worden, und
vielleicht auch niemals wird geſehen werden. Es wurden dabey die Kraͤfte des
geſammten osmaniſchen Reichs angeſpannet, die Zuruͤſtungen von vielen Jah-
ren angewendet, immer mit Ergaͤnzungen von friſchen Truppen an ſtatt der Er-
ſchlagenen nachgeſetzet, und die Soldaten, die die Gefahr ſcheueten, durch Dro-
hungen
⁶ Panajot] _ . Dieſe Sa-
che wird zwar von keinem einzigen chriſtlichen
Geſchichtſchreiber auf dieſe Art erzaͤhlet; es
wird aber dennoch der Muͤhe werth ſeyn, daß
ich hier die Nachricht von der Eroberung von
Kandia einſchalte, wie ich ſie von ſolchen
Perſonen bekommen habe, welche zur ſelbigen
Zeit um die Geheimniſſe der Statsſachen wuß-
ten. Weil der Sultan die Schwierigkeiten,
die ſich bey der Belagerung von Kandia er-
aͤugen wuͤrden, voraus ſahe: ſo hatte er be-
fohlen, durch das ganze Kriegesheer bekannt
zu machen; daß keiner von ihnen eher wieder
lebendig vor ſein Angeſicht kommen ſollte, als
bis die Stadt erobert ſey. Dieſes aber haͤtte
leicht, an ſtatt daß es die Soldaten anfriſchen
ſollte (wie die Abſicht dabey war), den Un-
tergang des ganzen Reiches veranlaſſen koͤn-
nen. Denn nachdem die Truppen durch ſo
viele Arbeit, durch Hitze im Sommer und
Kaͤlte im Winter, abgemattet waren; und
ſahen, daß ſie, nach angewendeter Muͤhe von
neun und zwanzig Monaten, noch wenig
ausgerichtet hatten: ſo fingen ſie an zu mur-
ren, und ſagten; es ſey unrecht, daß man
die Kraͤfte des ganzen Reiches bey der Bela-
gerung einer unuͤberwindlichen Stadt aufop-
fere, die man allem Anſehen nach aus keiner
andern Urſache unternommen habe, als die
Jeng-itſcheri dabey voͤllig aufzureiben. Weil
nun der Weßir, wegen erhaltener Befehle von
dem Kaiſer, in das Begehren der Soldaten
nicht einwilligen und die Belagerung aufhe-
ben konnte: ſo trieb er dieſelben, bald durch
Drohungen, bald durch Geſchenke und Ver-
ſprechen, zu ihrer Schuldigkeit an; vornehm-
lich aber beſaͤnftigte er die aufruͤhriſchen Ge-
muͤther durch ſeine Beredſamkeit (darinnen
er alle die andern Tuͤrken zu ſeiner Zeit uͤber-
traf), und ſprach den uͤbrigen durch ſeine
Worte und ſein Beyſpiel einen Muth ein.
Indem er alſo auf die Stadt mit der groͤßten
Heftigkeit ſtuͤrmen ließ: ſo lief Zeitung ein,
daß die Franzoſen mit einer Flote und Trup-
pen herankaͤmen, Kandia zu entſetzen, und
ſchon auf dem halben Wege waͤren. Der
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