rete nicht eher zurück, als bis er einige unglückliche Personen, um schlechter, oder auch gar keiner Ursache willen umgebracht hatte. Solchergestalt erfüllete er die ganze Stadt mit solchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal seinen Namen innerhalb seiner Mauren zu nennen. Viele schwächliche Perso- nen, sonderlich diejenigen, die Opium zu essen gewohnt waren, fielen in eine Ohnmacht, wann sie nur den Namen Murad nennen höreten. Denn derglei- chen Leute schonete er niemals; sondern brachte sie entweder alle um, oder zwang dieselben, an statt des Opium, Wein zu trinken. Auf diese Weise soll er wäh- rend der siebenzehen Jahre seiner Regierung über vierzehen tausend Menschen ums Leben gebracht haben, unter denen sich viele Feldherren vom höchsten Range befanden.
Seine Leibes- und Gemüths-gaben.
21.
Außer diesen Lastern war derselbe mit großen Gaben, sowol des Lei- bes als des Gemüths, ausgezieret; so daß es schiene, die Natur habe an ihm ein Muster eines Menschen hervorbringen wollen, der sowol in Lastern als in Tu- genden vortrefflich seyn sollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol- daten erfordert werden, traf man bey demselben an. In der Kunst mit dem Bogen zu schießen hatte er seines Gleichen nicht unter dem ganzen türkischen Volke, ausgenommen den berühmten Kämpfer Toßkoparan. Es sind noch heutiges Tages zwo marmorne Säulen zu sehen, funfzehen hundert Ellen von einander stehend, über die er einen Pfeil soll weggeschossen haben. Unter allen Osmanen war er der beste Reiter, und warf den Dschirid mit solcher Geschick- lichkeit, daß kein Tatar mit seinem Pfeile so weit oder so gewiß treffen konnte. Man erzählet auch von ihm, er sey so behend zu Fuße gewesen, daß das schnel- leste arabische Pferd ihm kaum zuvorkommen können. Es fehlete ihm aber auch nicht an besondern Gemüthsgaben. Erstlich war derselbe standhaft in Ausführung seiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab, als bis dieselbe ausgeführet, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor- fallenheiten unerschrocken, so daß, wenn seine Lebenszeit der Größe seines Ge- müths gleich gewesen wäre, derselbe ohne viele Schwierigkeit die Herrschaft über die ganze Welt würde an sich gerissen haben. Die Wunden aber, damit andern das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die densel- ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegrissen.
Geschichte
Osmaniſche Geſchichte
rete nicht eher zuruͤck, als bis er einige ungluͤckliche Perſonen, um ſchlechter, oder auch gar keiner Urſache willen umgebracht hatte. Solchergeſtalt erfuͤllete er die ganze Stadt mit ſolchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal ſeinen Namen innerhalb ſeiner Mauren zu nennen. Viele ſchwaͤchliche Perſo- nen, ſonderlich diejenigen, die Opium zu eſſen gewohnt waren, fielen in eine Ohnmacht, wann ſie nur den Namen Murad nennen hoͤreten. Denn derglei- chen Leute ſchonete er niemals; ſondern brachte ſie entweder alle um, oder zwang dieſelben, an ſtatt des Opium, Wein zu trinken. Auf dieſe Weiſe ſoll er waͤh- rend der ſiebenzehen Jahre ſeiner Regierung uͤber vierzehen tauſend Menſchen ums Leben gebracht haben, unter denen ſich viele Feldherren vom hoͤchſten Range befanden.
Seine Leibes- und Gemuͤths-gaben.
21.
Außer dieſen Laſtern war derſelbe mit großen Gaben, ſowol des Lei- bes als des Gemuͤths, ausgezieret; ſo daß es ſchiene, die Natur habe an ihm ein Muſter eines Menſchen hervorbringen wollen, der ſowol in Laſtern als in Tu- genden vortrefflich ſeyn ſollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol- daten erfordert werden, traf man bey demſelben an. In der Kunſt mit dem Bogen zu ſchießen hatte er ſeines Gleichen nicht unter dem ganzen tuͤrkiſchen Volke, ausgenommen den beruͤhmten Kaͤmpfer Toßkoparan. Es ſind noch heutiges Tages zwo marmorne Saͤulen zu ſehen, funfzehen hundert Ellen von einander ſtehend, uͤber die er einen Pfeil ſoll weggeſchoſſen haben. Unter allen Osmanen war er der beſte Reiter, und warf den Dſchirid mit ſolcher Geſchick- lichkeit, daß kein Tatar mit ſeinem Pfeile ſo weit oder ſo gewiß treffen konnte. Man erzaͤhlet auch von ihm, er ſey ſo behend zu Fuße geweſen, daß das ſchnel- leſte arabiſche Pferd ihm kaum zuvorkommen koͤnnen. Es fehlete ihm aber auch nicht an beſondern Gemuͤthsgaben. Erſtlich war derſelbe ſtandhaft in Ausfuͤhrung ſeiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab, als bis dieſelbe ausgefuͤhret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor- fallenheiten unerſchrocken, ſo daß, wenn ſeine Lebenszeit der Groͤße ſeines Ge- muͤths gleich geweſen waͤre, derſelbe ohne viele Schwierigkeit die Herrſchaft uͤber die ganze Welt wuͤrde an ſich geriſſen haben. Die Wunden aber, damit andern das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die denſel- ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegriſſen.
Geſchichte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0484"n="380"/><fwplace="top"type="header">Osmaniſche Geſchichte</fw><lb/>
rete nicht eher zuruͤck, als bis er einige ungluͤckliche Perſonen, um ſchlechter,<lb/>
oder auch gar keiner Urſache willen umgebracht hatte. Solchergeſtalt erfuͤllete<lb/>
er die ganze Stadt mit ſolchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal<lb/>ſeinen Namen innerhalb ſeiner Mauren zu nennen. Viele ſchwaͤchliche Perſo-<lb/>
nen, ſonderlich diejenigen, die Opium zu eſſen gewohnt waren, fielen in eine<lb/>
Ohnmacht, wann ſie nur den Namen Murad nennen hoͤreten. Denn derglei-<lb/>
chen Leute ſchonete er niemals; ſondern brachte ſie entweder alle um, oder zwang<lb/>
dieſelben, an ſtatt des Opium, Wein zu trinken. Auf dieſe Weiſe ſoll er waͤh-<lb/>
rend der ſiebenzehen Jahre ſeiner Regierung uͤber vierzehen tauſend Menſchen<lb/>
ums Leben gebracht haben, unter denen ſich viele Feldherren vom hoͤchſten Range<lb/>
befanden.</p><lb/><noteplace="left">Seine Leibes-<lb/>
und Gemuͤths-gaben.</note></div><lb/><divn="3"><head>21.</head><p>Außer dieſen Laſtern war derſelbe mit großen Gaben, ſowol des Lei-<lb/>
bes als des Gemuͤths, ausgezieret; ſo daß es ſchiene, die Natur habe an ihm ein<lb/>
Muſter eines Menſchen hervorbringen wollen, der ſowol in Laſtern als in Tu-<lb/>
genden vortrefflich ſeyn ſollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol-<lb/>
daten erfordert werden, traf man bey demſelben an. In der Kunſt mit dem<lb/>
Bogen zu ſchießen hatte er ſeines Gleichen nicht unter dem ganzen tuͤrkiſchen<lb/>
Volke, ausgenommen den beruͤhmten Kaͤmpfer Toßkoparan. Es ſind noch<lb/>
heutiges Tages zwo marmorne Saͤulen zu ſehen, funfzehen hundert Ellen von<lb/>
einander ſtehend, uͤber die er einen Pfeil ſoll weggeſchoſſen haben. Unter allen<lb/>
Osmanen war er der beſte Reiter, und warf den Dſchirid mit ſolcher Geſchick-<lb/>
lichkeit, daß kein Tatar mit ſeinem Pfeile ſo weit oder ſo gewiß treffen konnte.<lb/>
Man erzaͤhlet auch von ihm, er ſey ſo behend zu Fuße geweſen, daß das ſchnel-<lb/>
leſte arabiſche Pferd ihm kaum zuvorkommen koͤnnen. Es fehlete ihm aber<lb/>
auch nicht an beſondern Gemuͤthsgaben. Erſtlich war derſelbe ſtandhaft in<lb/>
Ausfuͤhrung ſeiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab,<lb/>
als bis dieſelbe ausgefuͤhret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor-<lb/>
fallenheiten unerſchrocken, ſo daß, wenn ſeine Lebenszeit der Groͤße ſeines Ge-<lb/>
muͤths gleich geweſen waͤre, derſelbe ohne viele Schwierigkeit die Herrſchaft uͤber<lb/>
die ganze Welt wuͤrde an ſich geriſſen haben. Die Wunden aber, damit andern<lb/>
das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die denſel-<lb/>
ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegriſſen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Geſchichte</fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[380/0484]
Osmaniſche Geſchichte
rete nicht eher zuruͤck, als bis er einige ungluͤckliche Perſonen, um ſchlechter,
oder auch gar keiner Urſache willen umgebracht hatte. Solchergeſtalt erfuͤllete
er die ganze Stadt mit ſolchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal
ſeinen Namen innerhalb ſeiner Mauren zu nennen. Viele ſchwaͤchliche Perſo-
nen, ſonderlich diejenigen, die Opium zu eſſen gewohnt waren, fielen in eine
Ohnmacht, wann ſie nur den Namen Murad nennen hoͤreten. Denn derglei-
chen Leute ſchonete er niemals; ſondern brachte ſie entweder alle um, oder zwang
dieſelben, an ſtatt des Opium, Wein zu trinken. Auf dieſe Weiſe ſoll er waͤh-
rend der ſiebenzehen Jahre ſeiner Regierung uͤber vierzehen tauſend Menſchen
ums Leben gebracht haben, unter denen ſich viele Feldherren vom hoͤchſten Range
befanden.
21. Außer dieſen Laſtern war derſelbe mit großen Gaben, ſowol des Lei-
bes als des Gemuͤths, ausgezieret; ſo daß es ſchiene, die Natur habe an ihm ein
Muſter eines Menſchen hervorbringen wollen, der ſowol in Laſtern als in Tu-
genden vortrefflich ſeyn ſollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol-
daten erfordert werden, traf man bey demſelben an. In der Kunſt mit dem
Bogen zu ſchießen hatte er ſeines Gleichen nicht unter dem ganzen tuͤrkiſchen
Volke, ausgenommen den beruͤhmten Kaͤmpfer Toßkoparan. Es ſind noch
heutiges Tages zwo marmorne Saͤulen zu ſehen, funfzehen hundert Ellen von
einander ſtehend, uͤber die er einen Pfeil ſoll weggeſchoſſen haben. Unter allen
Osmanen war er der beſte Reiter, und warf den Dſchirid mit ſolcher Geſchick-
lichkeit, daß kein Tatar mit ſeinem Pfeile ſo weit oder ſo gewiß treffen konnte.
Man erzaͤhlet auch von ihm, er ſey ſo behend zu Fuße geweſen, daß das ſchnel-
leſte arabiſche Pferd ihm kaum zuvorkommen koͤnnen. Es fehlete ihm aber
auch nicht an beſondern Gemuͤthsgaben. Erſtlich war derſelbe ſtandhaft in
Ausfuͤhrung ſeiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab,
als bis dieſelbe ausgefuͤhret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor-
fallenheiten unerſchrocken, ſo daß, wenn ſeine Lebenszeit der Groͤße ſeines Ge-
muͤths gleich geweſen waͤre, derſelbe ohne viele Schwierigkeit die Herrſchaft uͤber
die ganze Welt wuͤrde an ſich geriſſen haben. Die Wunden aber, damit andern
das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die denſel-
ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegriſſen.
Geſchichte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/484>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.