Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite

Osmanische Geschichte
rete nicht eher zurück, als bis er einige unglückliche Personen, um schlechter,
oder auch gar keiner Ursache willen umgebracht hatte. Solchergestalt erfüllete
er die ganze Stadt mit solchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal
seinen Namen innerhalb seiner Mauren zu nennen. Viele schwächliche Perso-
nen, sonderlich diejenigen, die Opium zu essen gewohnt waren, fielen in eine
Ohnmacht, wann sie nur den Namen Murad nennen höreten. Denn derglei-
chen Leute schonete er niemals; sondern brachte sie entweder alle um, oder zwang
dieselben, an statt des Opium, Wein zu trinken. Auf diese Weise soll er wäh-
rend der siebenzehen Jahre seiner Regierung über vierzehen tausend Menschen
ums Leben gebracht haben, unter denen sich viele Feldherren vom höchsten Range
befanden.

Seine Leibes-
und Gemüths-gaben.
21.

Außer diesen Lastern war derselbe mit großen Gaben, sowol des Lei-
bes als des Gemüths, ausgezieret; so daß es schiene, die Natur habe an ihm ein
Muster eines Menschen hervorbringen wollen, der sowol in Lastern als in Tu-
genden vortrefflich seyn sollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol-
daten erfordert werden, traf man bey demselben an. In der Kunst mit dem
Bogen zu schießen hatte er seines Gleichen nicht unter dem ganzen türkischen
Volke, ausgenommen den berühmten Kämpfer Toßkoparan. Es sind noch
heutiges Tages zwo marmorne Säulen zu sehen, funfzehen hundert Ellen von
einander stehend, über die er einen Pfeil soll weggeschossen haben. Unter allen
Osmanen war er der beste Reiter, und warf den Dschirid mit solcher Geschick-
lichkeit, daß kein Tatar mit seinem Pfeile so weit oder so gewiß treffen konnte.
Man erzählet auch von ihm, er sey so behend zu Fuße gewesen, daß das schnel-
leste arabische Pferd ihm kaum zuvorkommen können. Es fehlete ihm aber
auch nicht an besondern Gemüthsgaben. Erstlich war derselbe standhaft in
Ausführung seiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab,
als bis dieselbe ausgeführet, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor-
fallenheiten unerschrocken, so daß, wenn seine Lebenszeit der Größe seines Ge-
müths gleich gewesen wäre, derselbe ohne viele Schwierigkeit die Herrschaft über
die ganze Welt würde an sich gerissen haben. Die Wunden aber, damit andern
das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die densel-
ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegrissen.



Geschichte

Osmaniſche Geſchichte
rete nicht eher zuruͤck, als bis er einige ungluͤckliche Perſonen, um ſchlechter,
oder auch gar keiner Urſache willen umgebracht hatte. Solchergeſtalt erfuͤllete
er die ganze Stadt mit ſolchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal
ſeinen Namen innerhalb ſeiner Mauren zu nennen. Viele ſchwaͤchliche Perſo-
nen, ſonderlich diejenigen, die Opium zu eſſen gewohnt waren, fielen in eine
Ohnmacht, wann ſie nur den Namen Murad nennen hoͤreten. Denn derglei-
chen Leute ſchonete er niemals; ſondern brachte ſie entweder alle um, oder zwang
dieſelben, an ſtatt des Opium, Wein zu trinken. Auf dieſe Weiſe ſoll er waͤh-
rend der ſiebenzehen Jahre ſeiner Regierung uͤber vierzehen tauſend Menſchen
ums Leben gebracht haben, unter denen ſich viele Feldherren vom hoͤchſten Range
befanden.

Seine Leibes-
und Gemuͤths-gaben.
21.

Außer dieſen Laſtern war derſelbe mit großen Gaben, ſowol des Lei-
bes als des Gemuͤths, ausgezieret; ſo daß es ſchiene, die Natur habe an ihm ein
Muſter eines Menſchen hervorbringen wollen, der ſowol in Laſtern als in Tu-
genden vortrefflich ſeyn ſollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol-
daten erfordert werden, traf man bey demſelben an. In der Kunſt mit dem
Bogen zu ſchießen hatte er ſeines Gleichen nicht unter dem ganzen tuͤrkiſchen
Volke, ausgenommen den beruͤhmten Kaͤmpfer Toßkoparan. Es ſind noch
heutiges Tages zwo marmorne Saͤulen zu ſehen, funfzehen hundert Ellen von
einander ſtehend, uͤber die er einen Pfeil ſoll weggeſchoſſen haben. Unter allen
Osmanen war er der beſte Reiter, und warf den Dſchirid mit ſolcher Geſchick-
lichkeit, daß kein Tatar mit ſeinem Pfeile ſo weit oder ſo gewiß treffen konnte.
Man erzaͤhlet auch von ihm, er ſey ſo behend zu Fuße geweſen, daß das ſchnel-
leſte arabiſche Pferd ihm kaum zuvorkommen koͤnnen. Es fehlete ihm aber
auch nicht an beſondern Gemuͤthsgaben. Erſtlich war derſelbe ſtandhaft in
Ausfuͤhrung ſeiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab,
als bis dieſelbe ausgefuͤhret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor-
fallenheiten unerſchrocken, ſo daß, wenn ſeine Lebenszeit der Groͤße ſeines Ge-
muͤths gleich geweſen waͤre, derſelbe ohne viele Schwierigkeit die Herrſchaft uͤber
die ganze Welt wuͤrde an ſich geriſſen haben. Die Wunden aber, damit andern
das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die denſel-
ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegriſſen.



Geſchichte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0484" n="380"/><fw place="top" type="header">Osmani&#x017F;che Ge&#x017F;chichte</fw><lb/>
rete nicht eher zuru&#x0364;ck, als bis er einige unglu&#x0364;ckliche Per&#x017F;onen, um &#x017F;chlechter,<lb/>
oder auch gar keiner Ur&#x017F;ache willen umgebracht hatte. Solcherge&#x017F;talt erfu&#x0364;llete<lb/>
er die ganze Stadt mit &#x017F;olchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal<lb/>
&#x017F;einen Namen innerhalb &#x017F;einer Mauren zu nennen. Viele &#x017F;chwa&#x0364;chliche Per&#x017F;o-<lb/>
nen, &#x017F;onderlich diejenigen, die Opium zu e&#x017F;&#x017F;en gewohnt waren, fielen in eine<lb/>
Ohnmacht, wann &#x017F;ie nur den Namen Murad nennen ho&#x0364;reten. Denn derglei-<lb/>
chen Leute &#x017F;chonete er niemals; &#x017F;ondern brachte &#x017F;ie entweder alle um, oder zwang<lb/>
die&#x017F;elben, an &#x017F;tatt des Opium, Wein zu trinken. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e &#x017F;oll er wa&#x0364;h-<lb/>
rend der &#x017F;iebenzehen Jahre &#x017F;einer Regierung u&#x0364;ber vierzehen tau&#x017F;end Men&#x017F;chen<lb/>
ums Leben gebracht haben, unter denen &#x017F;ich viele Feldherren vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten Range<lb/>
befanden.</p><lb/>
            <note place="left">Seine Leibes-<lb/>
und Gemu&#x0364;ths-gaben.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>21.</head>
            <p>Außer die&#x017F;en La&#x017F;tern war der&#x017F;elbe mit großen Gaben, &#x017F;owol des Lei-<lb/>
bes als des Gemu&#x0364;ths, ausgezieret; &#x017F;o daß es &#x017F;chiene, die Natur habe an ihm ein<lb/>
Mu&#x017F;ter eines Men&#x017F;chen hervorbringen wollen, der &#x017F;owol in La&#x017F;tern als in Tu-<lb/>
genden vortrefflich &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol-<lb/>
daten erfordert werden, traf man bey dem&#x017F;elben an. In der Kun&#x017F;t mit dem<lb/>
Bogen zu &#x017F;chießen hatte er &#x017F;eines Gleichen nicht unter dem ganzen tu&#x0364;rki&#x017F;chen<lb/>
Volke, ausgenommen den beru&#x0364;hmten Ka&#x0364;mpfer Toßkoparan. Es &#x017F;ind noch<lb/>
heutiges Tages zwo marmorne Sa&#x0364;ulen zu &#x017F;ehen, funfzehen hundert Ellen von<lb/>
einander &#x017F;tehend, u&#x0364;ber die er einen Pfeil &#x017F;oll wegge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en haben. Unter allen<lb/>
Osmanen war er der be&#x017F;te Reiter, und warf den D&#x017F;chirid mit &#x017F;olcher Ge&#x017F;chick-<lb/>
lichkeit, daß kein Tatar mit &#x017F;einem Pfeile &#x017F;o weit oder &#x017F;o gewiß treffen konnte.<lb/>
Man erza&#x0364;hlet auch von ihm, er &#x017F;ey &#x017F;o behend zu Fuße gewe&#x017F;en, daß das &#x017F;chnel-<lb/>
le&#x017F;te arabi&#x017F;che Pferd ihm kaum zuvorkommen ko&#x0364;nnen. Es fehlete ihm aber<lb/>
auch nicht an be&#x017F;ondern Gemu&#x0364;thsgaben. Er&#x017F;tlich war der&#x017F;elbe &#x017F;tandhaft in<lb/>
Ausfu&#x0364;hrung &#x017F;einer Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab,<lb/>
als bis die&#x017F;elbe ausgefu&#x0364;hret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor-<lb/>
fallenheiten uner&#x017F;chrocken, &#x017F;o daß, wenn &#x017F;eine Lebenszeit der Gro&#x0364;ße &#x017F;eines Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths gleich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, der&#x017F;elbe ohne viele Schwierigkeit die Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber<lb/>
die ganze Welt wu&#x0364;rde an &#x017F;ich geri&#x017F;&#x017F;en haben. Die Wunden aber, damit andern<lb/>
das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die den&#x017F;el-<lb/>
ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegri&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ge&#x017F;chichte</fw><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0484] Osmaniſche Geſchichte rete nicht eher zuruͤck, als bis er einige ungluͤckliche Perſonen, um ſchlechter, oder auch gar keiner Urſache willen umgebracht hatte. Solchergeſtalt erfuͤllete er die ganze Stadt mit ſolchem Schrecken, daß niemand das Herz hatte, einmal ſeinen Namen innerhalb ſeiner Mauren zu nennen. Viele ſchwaͤchliche Perſo- nen, ſonderlich diejenigen, die Opium zu eſſen gewohnt waren, fielen in eine Ohnmacht, wann ſie nur den Namen Murad nennen hoͤreten. Denn derglei- chen Leute ſchonete er niemals; ſondern brachte ſie entweder alle um, oder zwang dieſelben, an ſtatt des Opium, Wein zu trinken. Auf dieſe Weiſe ſoll er waͤh- rend der ſiebenzehen Jahre ſeiner Regierung uͤber vierzehen tauſend Menſchen ums Leben gebracht haben, unter denen ſich viele Feldherren vom hoͤchſten Range befanden. 21. Außer dieſen Laſtern war derſelbe mit großen Gaben, ſowol des Lei- bes als des Gemuͤths, ausgezieret; ſo daß es ſchiene, die Natur habe an ihm ein Muſter eines Menſchen hervorbringen wollen, der ſowol in Laſtern als in Tu- genden vortrefflich ſeyn ſollte. Alle Uebungen des Leibes, die bey einem Sol- daten erfordert werden, traf man bey demſelben an. In der Kunſt mit dem Bogen zu ſchießen hatte er ſeines Gleichen nicht unter dem ganzen tuͤrkiſchen Volke, ausgenommen den beruͤhmten Kaͤmpfer Toßkoparan. Es ſind noch heutiges Tages zwo marmorne Saͤulen zu ſehen, funfzehen hundert Ellen von einander ſtehend, uͤber die er einen Pfeil ſoll weggeſchoſſen haben. Unter allen Osmanen war er der beſte Reiter, und warf den Dſchirid mit ſolcher Geſchick- lichkeit, daß kein Tatar mit ſeinem Pfeile ſo weit oder ſo gewiß treffen konnte. Man erzaͤhlet auch von ihm, er ſey ſo behend zu Fuße geweſen, daß das ſchnel- leſte arabiſche Pferd ihm kaum zuvorkommen koͤnnen. Es fehlete ihm aber auch nicht an beſondern Gemuͤthsgaben. Erſtlich war derſelbe ſtandhaft in Ausfuͤhrung ſeiner Sachen, und ließ nicht eher von einer Unternehmung ab, als bis dieſelbe ausgefuͤhret, oder aber zernichtet war. Er war bey allen Vor- fallenheiten unerſchrocken, ſo daß, wenn ſeine Lebenszeit der Groͤße ſeines Ge- muͤths gleich geweſen waͤre, derſelbe ohne viele Schwierigkeit die Herrſchaft uͤber die ganze Welt wuͤrde an ſich geriſſen haben. Die Wunden aber, damit andern das Schwert drohet, wurden ihm von der Trunkenheit beygebracht, die denſel- ben von der Welt, deren Schrecken er war, wegriſſen. Geſchichte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/484
Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/484>, abgerufen am 25.11.2024.