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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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10. Sülejman der I
und lagerte sich nicht weit von Felibe, in einer geraumen Ebene, in der Absicht,
seine europäischen Truppen daselbst zu versammeln. An diesem Orte fiel der
Müfti, ohne rechtmäßige Ursache, bey demselben in Ungnade, und wurde nach
bekommenem Verweise seines Amtes entsetzet. Allein die Unschuld dieses heili-
gen Mannes, die der Kaiser nicht einsehen konnte, wurde durch den Himmel selbst
an den Tag gebracht. Denn Gott, der an diesem Verfahren einen Misfal-
len 25 hatte, schickte noch an demselben Tage, zur Strafe dessen, einen so entsetz-
lichen und anhaltenden Regen, daß derselbe nicht allein, wie eine große Wasser-
flut, ganze Kästen 26 mit Gelde und Kostbarkeiten wegschwemmete, sondern auch
so gar den Sultan und sein ganzes Heer in Lebensgefahr setzte*.

[Spaltenumbruch]
"sondern durch Waffen und offenbaren Krieg.
"Daß aber Ungarn dereinst unter die osma-
"nische Herrschaft kommen wird: davon
"giebt dasjenige, was anitzo vorgehet, eine
"genugsame Vorbedeutung ab." Die Tür-
ken sind von Natur so fruchtbar an schönen
Reden, aber dabey so unfruchtbar an guten
Thaten, daß es zu einem gemeinen Sprich-
worte bey ihnen geworden ist: Osmanlü
ejü föjler, fena ischler; der Osmanen Worte
sind gut, aber ihre Thaten sind schlecht.
25 Misfallen] Es ist kein Volk in der
Welt, das dem Aberglauben so sehr ergeben
ist, als die Türken. Man bezeiget auch nir-
gends den Geistlichen größere Ehrerbietigkeit,
als es bey den Türken geschiehet. Der Kai-
ser kann dieselben zwar aus dem Lande bannen
und verweisen; aber keinen von ihnen um-
bringen lassen. Unter allen Sultanen ließ
der einzige Murad der IIII einen Müfti in
einem marmornen Mörser zu Tode stoßen,
und sagte dabey: "Die Köpfe, die durch
"ihre Würde von dem Schwerte befreyet
"sind, muß man mit dem Stämpfel zer-
"stoßen." Ein Beyspiel von diesem Aber-
glauben hat sich in dem letzten Kriege mit dem
[Spaltenumbruch]
Kaiser in Deutschland unter Aehmed dem II
zugetragen, das ich mit meinen Augen ange-
sehen und in dem andern Theile der gegen-
wärtigen Geschichte erzählet habe.
26 Kästen] Die Türken pflegen das Geld,
das sie in einen Feldzug mitnehmen, mitten
in dem Lager in die Gezelte des Sultans und
Weßirs niederzusetzen, und es durch die Si-
pahiler oder Reiter, die einander ablösen,
bewachen zu lassen. Die Kästen sind zwar
öfters leer: werden aber dennoch, mit Tep-
pichen bedeckt, den Soldaten zur Schau aus-
gesetzet; damit sie nicht gedenken, der Kai-
ser sey ohne Geld, und sich deswegen in einem
Treffen nachlässiger bezeigen mögen. Dieses
halte ich wahrhaftig für ein sehr wichtiges
Mittel, den Soldaten einen Muth zu machen.
Die Türken erzählen auch: als unter der Re-
gierung Egjre Sultan Muhämmeds die Feinde
in das Lager eingefallen, und so gar bis an
den Schatz gedrungen seyen; so seyen die os-
manischen Soldaten mit dem größten Eifer
zur Rettung desselben hinzu gelaufen, und
solchergestalt aus Ueberwundenen noch Ueber-
winder geworden.
16. Als
* [Es ist zu merken, daß in dieser und vielen andern Stellen, wo eines vom Himmel geschehenen Wun-
ders gedacht wird, der Verfasser sich der Worte der türkischen Geschichtschreiber bedienet, die er ge-
treulich anführet.]
2 M 3

10. Suͤlejman der I
und lagerte ſich nicht weit von Felibe, in einer geraumen Ebene, in der Abſicht,
ſeine europaͤiſchen Truppen daſelbſt zu verſammeln. An dieſem Orte fiel der
Muͤfti, ohne rechtmaͤßige Urſache, bey demſelben in Ungnade, und wurde nach
bekommenem Verweiſe ſeines Amtes entſetzet. Allein die Unſchuld dieſes heili-
gen Mannes, die der Kaiſer nicht einſehen konnte, wurde durch den Himmel ſelbſt
an den Tag gebracht. Denn Gott, der an dieſem Verfahren einen Misfal-
len 25 hatte, ſchickte noch an demſelben Tage, zur Strafe deſſen, einen ſo entſetz-
lichen und anhaltenden Regen, daß derſelbe nicht allein, wie eine große Waſſer-
flut, ganze Kaͤſten 26 mit Gelde und Koſtbarkeiten wegſchwemmete, ſondern auch
ſo gar den Sultan und ſein ganzes Heer in Lebensgefahr ſetzte*.

[Spaltenumbruch]
“ſondern durch Waffen und offenbaren Krieg.
“Daß aber Ungarn dereinſt unter die osma-
“niſche Herrſchaft kommen wird: davon
“giebt dasjenige, was anitzo vorgehet, eine
“genugſame Vorbedeutung ab.„ Die Tuͤr-
ken ſind von Natur ſo fruchtbar an ſchoͤnen
Reden, aber dabey ſo unfruchtbar an guten
Thaten, daß es zu einem gemeinen Sprich-
worte bey ihnen geworden iſt: Osmanluͤ
ejuͤ foͤjler, fena iſchler; der Osmanen Worte
ſind gut, aber ihre Thaten ſind ſchlecht.
25 Misfallen] Es iſt kein Volk in der
Welt, das dem Aberglauben ſo ſehr ergeben
iſt, als die Tuͤrken. Man bezeiget auch nir-
gends den Geiſtlichen groͤßere Ehrerbietigkeit,
als es bey den Tuͤrken geſchiehet. Der Kai-
ſer kann dieſelben zwar aus dem Lande bannen
und verweiſen; aber keinen von ihnen um-
bringen laſſen. Unter allen Sultanen ließ
der einzige Murad der IIII einen Muͤfti in
einem marmornen Moͤrſer zu Tode ſtoßen,
und ſagte dabey: “Die Koͤpfe, die durch
“ihre Wuͤrde von dem Schwerte befreyet
“ſind, muß man mit dem Staͤmpfel zer-
“ſtoßen.„ Ein Beyſpiel von dieſem Aber-
glauben hat ſich in dem letzten Kriege mit dem
[Spaltenumbruch]
Kaiſer in Deutſchland unter Aehmed dem II
zugetragen, das ich mit meinen Augen ange-
ſehen und in dem andern Theile der gegen-
waͤrtigen Geſchichte erzaͤhlet habe.
26 Kaͤſten] Die Tuͤrken pflegen das Geld,
das ſie in einen Feldzug mitnehmen, mitten
in dem Lager in die Gezelte des Sultans und
Weßirs niederzuſetzen, und es durch die Si-
pahiler oder Reiter, die einander abloͤſen,
bewachen zu laſſen. Die Kaͤſten ſind zwar
oͤfters leer: werden aber dennoch, mit Tep-
pichen bedeckt, den Soldaten zur Schau aus-
geſetzet; damit ſie nicht gedenken, der Kai-
ſer ſey ohne Geld, und ſich deswegen in einem
Treffen nachlaͤſſiger bezeigen moͤgen. Dieſes
halte ich wahrhaftig fuͤr ein ſehr wichtiges
Mittel, den Soldaten einen Muth zu machen.
Die Tuͤrken erzaͤhlen auch: als unter der Re-
gierung Egjre Sultan Muhaͤmmeds die Feinde
in das Lager eingefallen, und ſo gar bis an
den Schatz gedrungen ſeyen; ſo ſeyen die os-
maniſchen Soldaten mit dem groͤßten Eifer
zur Rettung deſſelben hinzu gelaufen, und
ſolchergeſtalt aus Ueberwundenen noch Ueber-
winder geworden.
16. Als
* [Es iſt zu merken, daß in dieſer und vielen andern Stellen, wo eines vom Himmel geſchehenen Wun-
ders gedacht wird, der Verfaſſer ſich der Worte der tuͤrkiſchen Geſchichtſchreiber bedienet, die er ge-
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[277/0367] 10. Suͤlejman der I und lagerte ſich nicht weit von Felibe, in einer geraumen Ebene, in der Abſicht, ſeine europaͤiſchen Truppen daſelbſt zu verſammeln. An dieſem Orte fiel der Muͤfti, ohne rechtmaͤßige Urſache, bey demſelben in Ungnade, und wurde nach bekommenem Verweiſe ſeines Amtes entſetzet. Allein die Unſchuld dieſes heili- gen Mannes, die der Kaiſer nicht einſehen konnte, wurde durch den Himmel ſelbſt an den Tag gebracht. Denn Gott, der an dieſem Verfahren einen Misfal- len ²⁵ hatte, ſchickte noch an demſelben Tage, zur Strafe deſſen, einen ſo entſetz- lichen und anhaltenden Regen, daß derſelbe nicht allein, wie eine große Waſſer- flut, ganze Kaͤſten ²⁶ mit Gelde und Koſtbarkeiten wegſchwemmete, ſondern auch ſo gar den Sultan und ſein ganzes Heer in Lebensgefahr ſetzte *. 16. Als “ſondern durch Waffen und offenbaren Krieg. “Daß aber Ungarn dereinſt unter die osma- “niſche Herrſchaft kommen wird: davon “giebt dasjenige, was anitzo vorgehet, eine “genugſame Vorbedeutung ab.„ Die Tuͤr- ken ſind von Natur ſo fruchtbar an ſchoͤnen Reden, aber dabey ſo unfruchtbar an guten Thaten, daß es zu einem gemeinen Sprich- worte bey ihnen geworden iſt: Osmanluͤ ejuͤ foͤjler, fena iſchler; der Osmanen Worte ſind gut, aber ihre Thaten ſind ſchlecht. ²⁵ Misfallen] Es iſt kein Volk in der Welt, das dem Aberglauben ſo ſehr ergeben iſt, als die Tuͤrken. Man bezeiget auch nir- gends den Geiſtlichen groͤßere Ehrerbietigkeit, als es bey den Tuͤrken geſchiehet. Der Kai- ſer kann dieſelben zwar aus dem Lande bannen und verweiſen; aber keinen von ihnen um- bringen laſſen. Unter allen Sultanen ließ der einzige Murad der IIII einen Muͤfti in einem marmornen Moͤrſer zu Tode ſtoßen, und ſagte dabey: “Die Koͤpfe, die durch “ihre Wuͤrde von dem Schwerte befreyet “ſind, muß man mit dem Staͤmpfel zer- “ſtoßen.„ Ein Beyſpiel von dieſem Aber- glauben hat ſich in dem letzten Kriege mit dem Kaiſer in Deutſchland unter Aehmed dem II zugetragen, das ich mit meinen Augen ange- ſehen und in dem andern Theile der gegen- waͤrtigen Geſchichte erzaͤhlet habe. ²⁶ Kaͤſten] Die Tuͤrken pflegen das Geld, das ſie in einen Feldzug mitnehmen, mitten in dem Lager in die Gezelte des Sultans und Weßirs niederzuſetzen, und es durch die Si- pahiler oder Reiter, die einander abloͤſen, bewachen zu laſſen. Die Kaͤſten ſind zwar oͤfters leer: werden aber dennoch, mit Tep- pichen bedeckt, den Soldaten zur Schau aus- geſetzet; damit ſie nicht gedenken, der Kai- ſer ſey ohne Geld, und ſich deswegen in einem Treffen nachlaͤſſiger bezeigen moͤgen. Dieſes halte ich wahrhaftig fuͤr ein ſehr wichtiges Mittel, den Soldaten einen Muth zu machen. Die Tuͤrken erzaͤhlen auch: als unter der Re- gierung Egjre Sultan Muhaͤmmeds die Feinde in das Lager eingefallen, und ſo gar bis an den Schatz gedrungen ſeyen; ſo ſeyen die os- maniſchen Soldaten mit dem groͤßten Eifer zur Rettung deſſelben hinzu gelaufen, und ſolchergeſtalt aus Ueberwundenen noch Ueber- winder geworden. * [Es iſt zu merken, daß in dieſer und vielen andern Stellen, wo eines vom Himmel geſchehenen Wun- ders gedacht wird, der Verfaſſer ſich der Worte der tuͤrkiſchen Geſchichtſchreiber bedienet, die er ge- treulich anfuͤhret.] 2 M 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/367>, abgerufen am 25.11.2024.