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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Er ging oft verkleidet auf dem Markte, den Straßen, und in dem Lager, sowol
Tags als Nachts, herum: und was er gewahr wurde, das dem gemeinen Be-
sten oder seinen Gesetzen zuwider war, das bestrafte er scharf. Wo er nicht
in Person hinkommen konnte; da schickte er seine Kundschafter hin, die in der
Verschlagenheit allen andern überlegen waren: diese mischten sich in alle Gesell-
schaften, und brachten dem Sultan täglich Nachricht, was sie gehöret oder gese-
hen hatten. Durch diese Mittel erhielte er von allem, was da vorging, so voll-
ständigen Bericht, daß es zu seiner Zeit zu einem gemeinen Sprichworte wurde:
"Der Kaiser wird morgen schon wissen, was heute zwischen Mann und Frau
"in der Kammer vorgehet." Inzwischen that doch dieses Verfahren dem
Reiche so gute Dienste, daß bey so entfernten Feldzügen, die zu seinen Zeiten
unternommen wurden, kein Aufruhr sich entspann, der nicht gleich in der ersten
Geburt wäre ersticket worden. Wegen dieser Dinge würde derselbe einen im-
merwährenden Ruhm verdienet haben, wenn er nicht durch seine Geneigtheit
zum Zorne und Grausamkeit den Glanz seiner Tugenden beflecket, und zuwege
gebracht hätte, daß man ihn durch die Benennung Jawuß 58 von andern Kaisern
gleiches Namens unterscheidet. Es wird nicht undienlich seyn, ehe ich diese
ausführliche Erzählung seiner Thaten beschließe, von dieser Art ein Beyspiel
insbesondere anzuführen. Zwey Jahre vor Selims Tode ließ sich in Turko-
manien ein gewisser Freybeuter sehen, der nicht allein diese und die benachbarten
Landschaften durch seine Räubereyen beunruhigte; sondern auch, nachdem er
eine ansehnliche Bande seiner Gesellen zusammengebracht hatte, dahin trachtete,
[Spaltenumbruch]
58 Jawuß] Von diesem Beynamen sehe
man die 1 Anmerkung, 213 Seite. Es ist
ein sehr schönes Buch vorhanden, von den
Geschichten der vier Sultane, Muhämmeds
des II, Bajeßids des II, Selims und Sü-
lejmans, dessen Verfasser Ali Efendi ist, den
ich schon so oft mit Ruhme angezogen habe.
[Spaltenumbruch]
Er ist ein Schriftsteller von großem Ansehen,
der sich der Wahrheit ernstlich befleißiget,
und aller Schmeicheley feind ist. Dieses Buch
ist unter den Türken selbst sehr rar. Ich habe
mir einige Nachrichten, die zu meinem Vor-
haben dieneten, daraus abgeschrieben.
In Europa regiereten mit Selim zugleich:
In Deutschland Maximilian der I, 1493 - 1518.
Carl der V, 1518 - 58.
In England, Heinrich der VIII, 1509 - 46.
In Frankreich Ludwig der XII, 1498 - 1525.
Franciscus der I, 1525 - 47.

sich

Osmaniſche Geſchichte
Er ging oft verkleidet auf dem Markte, den Straßen, und in dem Lager, ſowol
Tags als Nachts, herum: und was er gewahr wurde, das dem gemeinen Be-
ſten oder ſeinen Geſetzen zuwider war, das beſtrafte er ſcharf. Wo er nicht
in Perſon hinkommen konnte; da ſchickte er ſeine Kundſchafter hin, die in der
Verſchlagenheit allen andern uͤberlegen waren: dieſe miſchten ſich in alle Geſell-
ſchaften, und brachten dem Sultan taͤglich Nachricht, was ſie gehoͤret oder geſe-
hen hatten. Durch dieſe Mittel erhielte er von allem, was da vorging, ſo voll-
ſtaͤndigen Bericht, daß es zu ſeiner Zeit zu einem gemeinen Sprichworte wurde:
“Der Kaiſer wird morgen ſchon wiſſen, was heute zwiſchen Mann und Frau
“in der Kammer vorgehet.„ Inzwiſchen that doch dieſes Verfahren dem
Reiche ſo gute Dienſte, daß bey ſo entfernten Feldzuͤgen, die zu ſeinen Zeiten
unternommen wurden, kein Aufruhr ſich entſpann, der nicht gleich in der erſten
Geburt waͤre erſticket worden. Wegen dieſer Dinge wuͤrde derſelbe einen im-
merwaͤhrenden Ruhm verdienet haben, wenn er nicht durch ſeine Geneigtheit
zum Zorne und Grauſamkeit den Glanz ſeiner Tugenden beflecket, und zuwege
gebracht haͤtte, daß man ihn durch die Benennung Jawuß 58 von andern Kaiſern
gleiches Namens unterſcheidet. Es wird nicht undienlich ſeyn, ehe ich dieſe
ausfuͤhrliche Erzaͤhlung ſeiner Thaten beſchließe, von dieſer Art ein Beyſpiel
insbeſondere anzufuͤhren. Zwey Jahre vor Selims Tode ließ ſich in Turko-
manien ein gewiſſer Freybeuter ſehen, der nicht allein dieſe und die benachbarten
Landſchaften durch ſeine Raͤubereyen beunruhigte; ſondern auch, nachdem er
eine anſehnliche Bande ſeiner Geſellen zuſammengebracht hatte, dahin trachtete,
[Spaltenumbruch]
58 Jawuß] Von dieſem Beynamen ſehe
man die 1 Anmerkung, 213 Seite. Es iſt
ein ſehr ſchoͤnes Buch vorhanden, von den
Geſchichten der vier Sultane, Muhaͤmmeds
des II‚ Bajeßids des II‚ Selims und Suͤ-
lejmans, deſſen Verfaſſer Ali Efendi iſt, den
ich ſchon ſo oft mit Ruhme angezogen habe.
[Spaltenumbruch]
Er iſt ein Schriftſteller von großem Anſehen,
der ſich der Wahrheit ernſtlich befleißiget,
und aller Schmeicheley feind iſt. Dieſes Buch
iſt unter den Tuͤrken ſelbſt ſehr rar. Ich habe
mir einige Nachrichten, die zu meinem Vor-
haben dieneten, daraus abgeſchrieben.
In Europa regiereten mit Selim zugleich:
In Deutſchland Maximilian der I‚ 1493 - 1518.
Carl der V‚ 1518 - 58.
In England, Heinrich der VIII‚ 1509 - 46.
In Frankreich Ludwig der XII‚ 1498 - 1525.
Franciſcus der I‚ 1525 - 47.

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[258/0346] Osmaniſche Geſchichte Er ging oft verkleidet auf dem Markte, den Straßen, und in dem Lager, ſowol Tags als Nachts, herum: und was er gewahr wurde, das dem gemeinen Be- ſten oder ſeinen Geſetzen zuwider war, das beſtrafte er ſcharf. Wo er nicht in Perſon hinkommen konnte; da ſchickte er ſeine Kundſchafter hin, die in der Verſchlagenheit allen andern uͤberlegen waren: dieſe miſchten ſich in alle Geſell- ſchaften, und brachten dem Sultan taͤglich Nachricht, was ſie gehoͤret oder geſe- hen hatten. Durch dieſe Mittel erhielte er von allem, was da vorging, ſo voll- ſtaͤndigen Bericht, daß es zu ſeiner Zeit zu einem gemeinen Sprichworte wurde: “Der Kaiſer wird morgen ſchon wiſſen, was heute zwiſchen Mann und Frau “in der Kammer vorgehet.„ Inzwiſchen that doch dieſes Verfahren dem Reiche ſo gute Dienſte, daß bey ſo entfernten Feldzuͤgen, die zu ſeinen Zeiten unternommen wurden, kein Aufruhr ſich entſpann, der nicht gleich in der erſten Geburt waͤre erſticket worden. Wegen dieſer Dinge wuͤrde derſelbe einen im- merwaͤhrenden Ruhm verdienet haben, wenn er nicht durch ſeine Geneigtheit zum Zorne und Grauſamkeit den Glanz ſeiner Tugenden beflecket, und zuwege gebracht haͤtte, daß man ihn durch die Benennung Jawuß ⁵⁸ von andern Kaiſern gleiches Namens unterſcheidet. Es wird nicht undienlich ſeyn, ehe ich dieſe ausfuͤhrliche Erzaͤhlung ſeiner Thaten beſchließe, von dieſer Art ein Beyſpiel insbeſondere anzufuͤhren. Zwey Jahre vor Selims Tode ließ ſich in Turko- manien ein gewiſſer Freybeuter ſehen, der nicht allein dieſe und die benachbarten Landſchaften durch ſeine Raͤubereyen beunruhigte; ſondern auch, nachdem er eine anſehnliche Bande ſeiner Geſellen zuſammengebracht hatte, dahin trachtete, ſich ⁵⁸ Jawuß] Von dieſem Beynamen ſehe man die 1 Anmerkung, 213 Seite. Es iſt ein ſehr ſchoͤnes Buch vorhanden, von den Geſchichten der vier Sultane, Muhaͤmmeds des II‚ Bajeßids des II‚ Selims und Suͤ- lejmans, deſſen Verfaſſer Ali Efendi iſt, den ich ſchon ſo oft mit Ruhme angezogen habe. Er iſt ein Schriftſteller von großem Anſehen, der ſich der Wahrheit ernſtlich befleißiget, und aller Schmeicheley feind iſt. Dieſes Buch iſt unter den Tuͤrken ſelbſt ſehr rar. Ich habe mir einige Nachrichten, die zu meinem Vor- haben dieneten, daraus abgeſchrieben. In Europa regiereten mit Selim zugleich: In Deutſchland Maximilian der I‚ 1493 - 1518. Carl der V‚ 1518 - 58. In England, Heinrich der VIII‚ 1509 - 46. In Frankreich Ludwig der XII‚ 1498 - 1525. Franciſcus der I‚ 1525 - 47.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/346>, abgerufen am 22.11.2024.