Selims spitzige Antwort, die er dem Abgesand- ten seines Va-ters giebt.
28.
Bajeßid wird bey Vernehmung dieser unerwarteten Begebenheiten unruhig; und weil er merket, daß er hier nichts mit Gewalt ausrichten könne: so suchet er seinen Sohn durch freundliche Worte zu besänftigen. Er lässet also am achten Tage, da er glaubte, daß die heftigste Hitze desselben sich geleget habe, seinen obersten Weßir, Kodscha Mustäfa Pascha 52, zu sich kommen, und be- fiehlet ihm, in seinem Namen seinem Sohne folgendes zu sagen. "Wenn "mein Sohn Verlangen träget, mich zu besuchen und meinen Segen zu em- "pfangen; warum verziehet derselbe, dieses zu thun? wenn er aber unter "diesem Verfahren seine Gottlosigkeit verbirget; warum lässet er die Zeit ver- "gebens verstreichen?" Der Weßir richtet sein obhabendes Geschäffte aus, und hinterbringet demselben, nach bezeigter gehörigen Ehrerbietigkeit, des Sul- tans ihm anbefohlene Worte. Selim merket seines Vaters List, und giebt demselben eine eben so zweydeutige und spitzfündige Antwort zurück. "Brin- "get meinem Vater," sagte er zu dem Weßire, "diese Antwort. Ich bin "nicht im geringsten willens, den Befehlen desselben ungehorsam zu seyn, son- "dern vielmehr bereit, hinzugehen, wo er mich hinsenden will: wenn es ihm "nur belieben wird, mir einige Zweifel aufzulösen, die mir bey der gegenwärti- "gen Verwaltung der Sachen ins Gemüthe gekommen sind. Sofi Ogli 53, "ein nichtsbedeutender Mensch, ist in Osten aufgestanden, und hat in großer "Geschwindigkeit und mit einem plötzlichen Fortgange das osmanische Reich "verwüstet, und seine Eroberungen bis nach Cäsarea getrieben: da ihr indes- "sen, anstatt diese Länder zu beschützen, ein müßiger Zuschauer von seinen Sie- "gen gewesen seyd. Auf der andern Seite hat ein Tscherkassier 54 von gerin- "ger Herkunft und schlechtem Rufe, der sich unter das Schwert der Osmanen "hätte schmiegen müssen, sich nicht allein von Aegypten, sondern auch noch von "vielen andern Ländern in Syrien, die ehedem unter unserer Herrschaft stun- "den, Meister gemacht, und behält dieselben noch bis auf den heutigen Tag, [Spaltenumbruch]
sprünglichen Bedeutung nach, ein neuer Gar- ten. Es ist ein Platz, beynahe von einer Meile* im Umfange: itzo aber ist es eine Wiese, darauf Pferde geweidet werden, und wird bey ihnen Tschair genennet.
52 Kodscha Mustäfa Pascha] oder der alte Mustäfa. Ein großes steinernes Wechselhaus zur Bequemlichkeit der Kauf- leute, das derselbe zu Constantinopel hat [Spaltenumbruch] bauen lassen, führet noch heutiges Tages von ihm den Namen.
53 Sofi Ogli] Ismäil, der König in Persien.
54 ein Tscherkassier] Der König in Aegypten.
55 durch ihre Einwilligung] Der treu-
"als
* einer halben Stunde Weges.
Osmaniſche Geſchichte
Selims ſpitzige Antwort, die er dem Abgeſand- ten ſeines Va-ters giebt.
28.
Bajeßid wird bey Vernehmung dieſer unerwarteten Begebenheiten unruhig; und weil er merket, daß er hier nichts mit Gewalt ausrichten koͤnne: ſo ſuchet er ſeinen Sohn durch freundliche Worte zu beſaͤnftigen. Er laͤſſet alſo am achten Tage, da er glaubte, daß die heftigſte Hitze deſſelben ſich geleget habe, ſeinen oberſten Weßir, Kodſcha Muſtaͤfa Paſcha 52, zu ſich kommen, und be- fiehlet ihm, in ſeinem Namen ſeinem Sohne folgendes zu ſagen. “Wenn “mein Sohn Verlangen traͤget, mich zu beſuchen und meinen Segen zu em- “pfangen; warum verziehet derſelbe, dieſes zu thun? wenn er aber unter “dieſem Verfahren ſeine Gottloſigkeit verbirget; warum laͤſſet er die Zeit ver- “gebens verſtreichen?„ Der Weßir richtet ſein obhabendes Geſchaͤffte aus, und hinterbringet demſelben, nach bezeigter gehoͤrigen Ehrerbietigkeit, des Sul- tans ihm anbefohlene Worte. Selim merket ſeines Vaters Liſt, und giebt demſelben eine eben ſo zweydeutige und ſpitzfuͤndige Antwort zuruͤck. “Brin- “get meinem Vater,„ ſagte er zu dem Weßire, “dieſe Antwort. Ich bin “nicht im geringſten willens, den Befehlen deſſelben ungehorſam zu ſeyn, ſon- “dern vielmehr bereit, hinzugehen, wo er mich hinſenden will: wenn es ihm “nur belieben wird, mir einige Zweifel aufzuloͤſen, die mir bey der gegenwaͤrti- “gen Verwaltung der Sachen ins Gemuͤthe gekommen ſind. Sofi Ogli 53, “ein nichtsbedeutender Menſch, iſt in Oſten aufgeſtanden, und hat in großer “Geſchwindigkeit und mit einem ploͤtzlichen Fortgange das osmaniſche Reich “verwuͤſtet, und ſeine Eroberungen bis nach Caͤſarea getrieben: da ihr indeſ- “ſen, anſtatt dieſe Laͤnder zu beſchuͤtzen, ein muͤßiger Zuſchauer von ſeinen Sie- “gen geweſen ſeyd. Auf der andern Seite hat ein Tſcherkaſſier 54 von gerin- “ger Herkunft und ſchlechtem Rufe, der ſich unter das Schwert der Osmanen “haͤtte ſchmiegen muͤſſen, ſich nicht allein von Aegypten, ſondern auch noch von “vielen andern Laͤndern in Syrien, die ehedem unter unſerer Herrſchaft ſtun- “den, Meiſter gemacht, und behaͤlt dieſelben noch bis auf den heutigen Tag, [Spaltenumbruch]
ſpruͤnglichen Bedeutung nach, ein neuer Gar- ten. Es iſt ein Platz, beynahe von einer Meile* im Umfange: itzo aber iſt es eine Wieſe, darauf Pferde geweidet werden, und wird bey ihnen Tſchair genennet.
52 Kodſcha Muſtaͤfa Paſcha] oder der alte Muſtaͤfa. Ein großes ſteinernes Wechſelhaus zur Bequemlichkeit der Kauf- leute, das derſelbe zu Conſtantinopel hat [Spaltenumbruch] bauen laſſen, fuͤhret noch heutiges Tages von ihm den Namen.
53 Sofi Ogli] Ismaͤil, der Koͤnig in Perſien.
54 ein Tſcherkaſſier] Der Koͤnig in Aegypten.
55 durch ihre Einwilligung] Der treu-
“als
* einer halben Stunde Weges.
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Osmaniſche Geſchichte
28. Bajeßid wird bey Vernehmung dieſer unerwarteten Begebenheiten
unruhig; und weil er merket, daß er hier nichts mit Gewalt ausrichten koͤnne:
ſo ſuchet er ſeinen Sohn durch freundliche Worte zu beſaͤnftigen. Er laͤſſet alſo
am achten Tage, da er glaubte, daß die heftigſte Hitze deſſelben ſich geleget habe,
ſeinen oberſten Weßir, Kodſcha Muſtaͤfa Paſcha
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fiehlet ihm, in ſeinem Namen ſeinem Sohne folgendes zu ſagen. “Wenn
“mein Sohn Verlangen traͤget, mich zu beſuchen und meinen Segen zu em-
“pfangen; warum verziehet derſelbe, dieſes zu thun? wenn er aber unter
“dieſem Verfahren ſeine Gottloſigkeit verbirget; warum laͤſſet er die Zeit ver-
“gebens verſtreichen?„ Der Weßir richtet ſein obhabendes Geſchaͤffte aus,
und hinterbringet demſelben, nach bezeigter gehoͤrigen Ehrerbietigkeit, des Sul-
tans ihm anbefohlene Worte. Selim merket ſeines Vaters Liſt, und giebt
demſelben eine eben ſo zweydeutige und ſpitzfuͤndige Antwort zuruͤck. “Brin-
“get meinem Vater,„ ſagte er zu dem Weßire, “dieſe Antwort. Ich bin
“nicht im geringſten willens, den Befehlen deſſelben ungehorſam zu ſeyn, ſon-
“dern vielmehr bereit, hinzugehen, wo er mich hinſenden will: wenn es ihm
“nur belieben wird, mir einige Zweifel aufzuloͤſen, die mir bey der gegenwaͤrti-
“gen Verwaltung der Sachen ins Gemuͤthe gekommen ſind. Sofi Ogli
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“ein nichtsbedeutender Menſch, iſt in Oſten aufgeſtanden, und hat in großer
“Geſchwindigkeit und mit einem ploͤtzlichen Fortgange das osmaniſche Reich
“verwuͤſtet, und ſeine Eroberungen bis nach Caͤſarea getrieben: da ihr indeſ-
“ſen, anſtatt dieſe Laͤnder zu beſchuͤtzen, ein muͤßiger Zuſchauer von ſeinen Sie-
“gen geweſen ſeyd. Auf der andern Seite hat ein Tſcherkaſſier
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“ger Herkunft und ſchlechtem Rufe, der ſich unter das Schwert der Osmanen
“haͤtte ſchmiegen muͤſſen, ſich nicht allein von Aegypten, ſondern auch noch von
“vielen andern Laͤndern in Syrien, die ehedem unter unſerer Herrſchaft ſtun-
“den, Meiſter gemacht, und behaͤlt dieſelben noch bis auf den heutigen Tag,
“als
ſpruͤnglichen Bedeutung nach, ein neuer Gar-
ten. Es iſt ein Platz, beynahe von einer
Meile * im Umfange: itzo aber iſt es eine
Wieſe, darauf Pferde geweidet werden, und
wird bey ihnen Tſchair genennet.
⁵² Kodſcha Muſtaͤfa Paſcha] oder
der alte Muſtaͤfa. Ein großes ſteinernes
Wechſelhaus zur Bequemlichkeit der Kauf-
leute, das derſelbe zu Conſtantinopel hat
bauen laſſen, fuͤhret noch heutiges Tages von
ihm den Namen.
⁵³ Sofi Ogli] Ismaͤil, der Koͤnig in
Perſien.
⁵⁴ ein Tſcherkaſſier] Der Koͤnig in
Aegypten.
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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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