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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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8. Bajeßid der II
guten Eigenschaften dergestalt eingenommen worden, daß er von der Zeit an ihn
nicht wieder von sich lassen wollte. Zur selbigen Zeit, als der Sultan starb,
befand er sich bey dem Kriegsheere. Dieser Sohn sollte, nach Bajeßids Vor-
satze, seine Stelle versehen, in Hoffnung, daß die Klugheit der Räthe den Ab-
gang seiner Jugend ersetzen werde. Er überschrieb daher dem Weßire folgendes
zur Antwort. "Es stehe nicht in seiner Gewalt, seine hochheilige Wallfahrt
"beyseite zu setzen, und er würde eher die Herrschaft der ganzen Welt verscher-
"zen, als sein Gelübde unerfüllet lassen. Damit aber doch der osmanische
"Stat keinen Nachtheil davon haben möge: so sey sein Rath, daß sie seinen
"Sohn Korkud bis zu seiner Wiederkunft für ihren Oberherrn erkennen und
"verehren sollten." Hierauf trat derselbe sogleich, ohne auf eine Antwort
zu warten, seine Reise nach Mekka an, um von Gott einen beglückten Anfang
seiner Regierung zu erbitten. Die Großen setzten also seinen Sohn in die Re-
gierung ein, und dieser verwaltete auch dieselbe neun Monate lang recht glücklich,
während welcher Zeit er seinen Namen in das öffentliche Gebet setzen und auf
die Münzen prägen ließ.

3.

Nach Verfließung dieser Zeit kommt Bajeßid von seiner WallfahrtDer Weßir beru-
fet den Sultan
nach dessen Rück-
kunft zu der Re-
gierung.

zurück, und sendet Briefe an seinen Sohn und die Großen, darinnen er jenen
ersuchet, die Regierung zu behalten, und diese, demselben Gehorsam zu leisten;
[Spaltenumbruch]

ihre Söhne niemals eher, als bis sie sieben
Jahre alt sind: denn sie glauben, daß ein
Kind, das vor diesen Jahren unbeschnitten
verstirbet, nichts desto weniger in das Para-
dies könne aufgenommen werden. So,
wenn iemand, an statt des fünfmaligen Nie-
derfallens bey dem Mittagsgebete, nur drey-
mal niederfället, das das Färß oder der un-
mittelbare göttliche Befehl ist; und die an-
[Spaltenumbruch]
dern zweene Niederfälle, die bloß von dem
Propheten verordnet und durch die Gewohn-
heit der Kirche bestätiget sind, unterlässet: so
ist diese Unterlassung zwar eine Sünde, aber
keine Todsünde. Wer aber keines von bey-
den verrichtet: der muß sein Verbrechen bü-
ßen, und viele Jahre lang im Fegefeuer* da-
für Qual leiden.

ihm
* [Aeraf genennet, das die mehrere Zahl des arabischen Wortes Urf ist: beyde bedeuten einen Ort zwi-
schen dem muhämmedischen Himmel und der Hölle. Die Müsülmanen sind unter sich nicht einig in Be-
stimmung der Eigenschaften derjenigen, die sich an diesem Orte befinden. Insgemein setzen sie dieje-
nigen Müsülmanen darein, deren gute und böse Handlungen einander so gleich sind, daß sie weder
verdienen in das Paradies einzugehen, noch in die Hölle geworfen zu werden. Eine von ihren Strafen
bestehet in dem Anschauen der Seligen, und dem ernstlichen Verlangen, bey ihnen zu seyn; das aber
nicht eher geschehen kann, als an dem Tage des Gerichts. Alsdann werden sie sich vor dem Angesichte
ihres Schöpfers niederwerfen; welche That der Anbetung machen wird, daß ihre guten Werke die bö-
sen überwiegen: und da wird zu ihnen gesagt werden; "Gehet ein in das Paradies, da eure Furcht
"und Sorgen ein Ende nehmen werden." Sädi saget von dem Aeraf: es komme den Seligen als
eine Hölle, und den Verdammten als ein Paradies vor.]
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8. Bajeßid der II
guten Eigenſchaften dergeſtalt eingenommen worden, daß er von der Zeit an ihn
nicht wieder von ſich laſſen wollte. Zur ſelbigen Zeit, als der Sultan ſtarb,
befand er ſich bey dem Kriegsheere. Dieſer Sohn ſollte, nach Bajeßids Vor-
ſatze, ſeine Stelle verſehen, in Hoffnung, daß die Klugheit der Raͤthe den Ab-
gang ſeiner Jugend erſetzen werde. Er uͤberſchrieb daher dem Weßire folgendes
zur Antwort. “Es ſtehe nicht in ſeiner Gewalt, ſeine hochheilige Wallfahrt
“beyſeite zu ſetzen, und er wuͤrde eher die Herrſchaft der ganzen Welt verſcher-
“zen, als ſein Geluͤbde unerfuͤllet laſſen. Damit aber doch der osmaniſche
“Stat keinen Nachtheil davon haben moͤge: ſo ſey ſein Rath, daß ſie ſeinen
“Sohn Korkud bis zu ſeiner Wiederkunft fuͤr ihren Oberherrn erkennen und
“verehren ſollten.„ Hierauf trat derſelbe ſogleich, ohne auf eine Antwort
zu warten, ſeine Reiſe nach Mekka an, um von Gott einen begluͤckten Anfang
ſeiner Regierung zu erbitten. Die Großen ſetzten alſo ſeinen Sohn in die Re-
gierung ein, und dieſer verwaltete auch dieſelbe neun Monate lang recht gluͤcklich,
waͤhrend welcher Zeit er ſeinen Namen in das oͤffentliche Gebet ſetzen und auf
die Muͤnzen praͤgen ließ.

3.

Nach Verfließung dieſer Zeit kommt Bajeßid von ſeiner WallfahrtDer Weßir beru-
fet den Sultan
nach deſſen Ruͤck-
kunft zu der Re-
gierung.

zuruͤck, und ſendet Briefe an ſeinen Sohn und die Großen, darinnen er jenen
erſuchet, die Regierung zu behalten, und dieſe, demſelben Gehorſam zu leiſten;
[Spaltenumbruch]

ihre Soͤhne niemals eher, als bis ſie ſieben
Jahre alt ſind: denn ſie glauben, daß ein
Kind, das vor dieſen Jahren unbeſchnitten
verſtirbet, nichts deſto weniger in das Para-
dies koͤnne aufgenommen werden. So,
wenn iemand, an ſtatt des fuͤnfmaligen Nie-
derfallens bey dem Mittagsgebete, nur drey-
mal niederfaͤllet, das das Faͤrß oder der un-
mittelbare goͤttliche Befehl iſt; und die an-
[Spaltenumbruch]
dern zweene Niederfaͤlle, die bloß von dem
Propheten verordnet und durch die Gewohn-
heit der Kirche beſtaͤtiget ſind, unterlaͤſſet: ſo
iſt dieſe Unterlaſſung zwar eine Suͤnde, aber
keine Todſuͤnde. Wer aber keines von bey-
den verrichtet: der muß ſein Verbrechen buͤ-
ßen, und viele Jahre lang im Fegefeuer* da-
fuͤr Qual leiden.

ihm
* [Aeraf genennet, das die mehrere Zahl des arabiſchen Wortes Urf iſt: beyde bedeuten einen Ort zwi-
ſchen dem muhaͤmmediſchen Himmel und der Hoͤlle. Die Muͤſuͤlmanen ſind unter ſich nicht einig in Be-
ſtimmung der Eigenſchaften derjenigen, die ſich an dieſem Orte befinden. Insgemein ſetzen ſie dieje-
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nicht eher geſchehen kann, als an dem Tage des Gerichts. Alsdann werden ſie ſich vor dem Angeſichte
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ſen uͤberwiegen: und da wird zu ihnen geſagt werden; „Gehet ein in das Paradies, da eure Furcht
“und Sorgen ein Ende nehmen werden.” Saͤdi ſaget von dem Aeraf: es komme den Seligen als
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[173/0259] 8. Bajeßid der II guten Eigenſchaften dergeſtalt eingenommen worden, daß er von der Zeit an ihn nicht wieder von ſich laſſen wollte. Zur ſelbigen Zeit, als der Sultan ſtarb, befand er ſich bey dem Kriegsheere. Dieſer Sohn ſollte, nach Bajeßids Vor- ſatze, ſeine Stelle verſehen, in Hoffnung, daß die Klugheit der Raͤthe den Ab- gang ſeiner Jugend erſetzen werde. Er uͤberſchrieb daher dem Weßire folgendes zur Antwort. “Es ſtehe nicht in ſeiner Gewalt, ſeine hochheilige Wallfahrt “beyſeite zu ſetzen, und er wuͤrde eher die Herrſchaft der ganzen Welt verſcher- “zen, als ſein Geluͤbde unerfuͤllet laſſen. Damit aber doch der osmaniſche “Stat keinen Nachtheil davon haben moͤge: ſo ſey ſein Rath, daß ſie ſeinen “Sohn Korkud bis zu ſeiner Wiederkunft fuͤr ihren Oberherrn erkennen und “verehren ſollten.„ Hierauf trat derſelbe ſogleich, ohne auf eine Antwort zu warten, ſeine Reiſe nach Mekka an, um von Gott einen begluͤckten Anfang ſeiner Regierung zu erbitten. Die Großen ſetzten alſo ſeinen Sohn in die Re- gierung ein, und dieſer verwaltete auch dieſelbe neun Monate lang recht gluͤcklich, waͤhrend welcher Zeit er ſeinen Namen in das oͤffentliche Gebet ſetzen und auf die Muͤnzen praͤgen ließ. 3. Nach Verfließung dieſer Zeit kommt Bajeßid von ſeiner Wallfahrt zuruͤck, und ſendet Briefe an ſeinen Sohn und die Großen, darinnen er jenen erſuchet, die Regierung zu behalten, und dieſe, demſelben Gehorſam zu leiſten; ihm ihre Soͤhne niemals eher, als bis ſie ſieben Jahre alt ſind: denn ſie glauben, daß ein Kind, das vor dieſen Jahren unbeſchnitten verſtirbet, nichts deſto weniger in das Para- dies koͤnne aufgenommen werden. So, wenn iemand, an ſtatt des fuͤnfmaligen Nie- derfallens bey dem Mittagsgebete, nur drey- mal niederfaͤllet, das das Faͤrß oder der un- mittelbare goͤttliche Befehl iſt; und die an- dern zweene Niederfaͤlle, die bloß von dem Propheten verordnet und durch die Gewohn- heit der Kirche beſtaͤtiget ſind, unterlaͤſſet: ſo iſt dieſe Unterlaſſung zwar eine Suͤnde, aber keine Todſuͤnde. Wer aber keines von bey- den verrichtet: der muß ſein Verbrechen buͤ- ßen, und viele Jahre lang im Fegefeuer * da- fuͤr Qual leiden. Der Weßir beru- fet den Sultan nach deſſen Ruͤck- kunft zu der Re- gierung. * [Aeraf genennet, das die mehrere Zahl des arabiſchen Wortes Urf iſt: beyde bedeuten einen Ort zwi- ſchen dem muhaͤmmediſchen Himmel und der Hoͤlle. Die Muͤſuͤlmanen ſind unter ſich nicht einig in Be- ſtimmung der Eigenſchaften derjenigen, die ſich an dieſem Orte befinden. Insgemein ſetzen ſie dieje- nigen Muͤſuͤlmanen darein, deren gute und boͤſe Handlungen einander ſo gleich ſind, daß ſie weder verdienen in das Paradies einzugehen, noch in die Hoͤlle geworfen zu werden. Eine von ihren Strafen beſtehet in dem Anſchauen der Seligen, und dem ernſtlichen Verlangen, bey ihnen zu ſeyn; das aber nicht eher geſchehen kann, als an dem Tage des Gerichts. Alsdann werden ſie ſich vor dem Angeſichte ihres Schoͤpfers niederwerfen; welche That der Anbetung machen wird, daß ihre guten Werke die boͤ- ſen uͤberwiegen: und da wird zu ihnen geſagt werden; „Gehet ein in das Paradies, da eure Furcht “und Sorgen ein Ende nehmen werden.” Saͤdi ſaget von dem Aeraf: es komme den Seligen als eine Hoͤlle, und den Verdammten als ein Paradies vor.] Y 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/259>, abgerufen am 28.12.2024.