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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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7. Muhämmed der II
Kriege mit seinem Bruder überwunden und genöthiget worden war, seine Zu-
flucht zu den Genuesern zu nehmen. Diesen Fürsten machte der Sultan nicht
allein unter gewissen Bedingungen zum Chan in der Krim, sondern schickte ihn
auch mit einem Kriegesheere ab, sein Land wieder zu erobern. Als Mengjili
Gjiraj 44 in seinem Königreiche Kiptschak ankam: so überwand er durch Hülfe
[Spaltenumbruch]
rer der krimischen Tatarey machen, und be-
haupten, daß derselbe seinen Namen auf die
von ihm herstammenden Fürsten gebracht ha-
be: so ist gewiß, daß die lithauischen Tatarn
weder krimische noch ogußische (welche der
Stamm des olidschingjißischen Geschlechtes
sind), sondern tscheremissische waren; daher
unsere Landesleute dieselben noch heutiges Ta-
ges Tschirimüsch nennen, ob sie gleich bey den
Türken unter dem Namen Lipka Tatari be-
kannt sind, davon das erste Wort aus Litwa
verderbet ist. Ferner hat auch das Geschlecht
der gegenwärtigen Chane der Krim, daselbst
zu regieren und den Namen Gjiraj anzuneh-
men, nicht erst unter Murad dem II ange-
fangen, in welche Zeit unser Geschichtschreiber
seinen Atschkjeraj setzet: sondern es war noch
eher, als das osmanische Reich, wie man
aus den türkischen Geschichten und der be-
ständigen Sage der Tatarn beweisen kann,
und welches in der Vorrede ausführlich ist
dargethan worden. Wir werden uns aber
nicht zu weit von unserm Vorsatze entfernen,
wenn wir hier zugleich mit anführen, daß
unter den Tatarn selbst ein Streit ist, welches
die echten und welches die unechten Nachkom-
men von Gjiraj seyen. Denn außer der Li-
nie, die bis auf den heutigen Tag über die
krimischen Tatarn die Regierung führet und
vorzüglicher Weise Gjiraj genennet wird, ist
noch eine andere Linie vorhanden, die insge-
mein unter dem Namen Tschoban Gjiraj, oder
Gjiraj der Schäfer, bekannt ist. Denn es
wird erzählet, die Gemalinn eines gewissen
Chans, dessen Name mir entfallen ist, habe
[Spaltenumbruch]
eine verbotene Gemeinschaft mit einem Schä-
fer gehabt, und aus dieser sey ein Sohn ge-
boren worden (die Mutter habe man nach
der Geburt des Ehebruchs überführet und um
das Leben gebracht), den der König einem
von seinen Slawen übergeben habe, mit dem
Befehle, ihn umzubringen. Der Slaw aber
habe seinem Herrn den Possen gespielet und
das Kind nach Tscherkassien gebracht, und
es daselbst heimlich aufgezogen. Von diesem
führen sie nun die letztere Linie her, und be-
haupten, seine Nachkommen hätten sich der
Ehre eines so berühmten Vorfahrers fälschli-
cher Weise angemaßet. Die Tschoban Gjiraj
hingegen geben eben diese Verleumdung den
andern Gjiraj zurück, und machen dadurch,
daß es sehr schwer wird zu bestimmen, welche
Linie die echte oder eheliche sey, und welche
es nicht sey: denn beyde Theile haben weiter
nichts, darauf sie sich berufen können, als
die bloße Sage. Ungeachtet die Türken glau-
ben, daß die gegenwärtige Linie der Chane
die rechtmäßige sey: so verweigern sie doch
der andern die Benennung Gjiraj nicht, und
erlauben derselben zu Dschamboli (vor diesem
Janopoli genennet), als dem bestimmten
Sitze der tatarischen Fürsten, zu wohnen.
Einer von diesen, mit Namen Kjör Gjiraj,
wurde nach der Schlacht bey Wien zu der
Würde eines Chans von den Türken erhoben,
weil dieselben gegen die Treue Selim Gjirajs
ein Mistrauen hegeten: allein wenige Mo-
nate hernach wurde er verstoßen, und die alte
Linie der Gjiraj wieder auf den Thron gesetzet.
Es ist auch nicht glaublich, daß die Tschoban

der
X 3

7. Muhaͤmmed der II
Kriege mit ſeinem Bruder uͤberwunden und genoͤthiget worden war, ſeine Zu-
flucht zu den Genueſern zu nehmen. Dieſen Fuͤrſten machte der Sultan nicht
allein unter gewiſſen Bedingungen zum Chan in der Krim, ſondern ſchickte ihn
auch mit einem Kriegesheere ab, ſein Land wieder zu erobern. Als Mengjili
Gjiraj 44 in ſeinem Koͤnigreiche Kiptſchak ankam: ſo uͤberwand er durch Huͤlfe
[Spaltenumbruch]
rer der krimiſchen Tatarey machen, und be-
haupten, daß derſelbe ſeinen Namen auf die
von ihm herſtammenden Fuͤrſten gebracht ha-
be: ſo iſt gewiß, daß die lithauiſchen Tatarn
weder krimiſche noch ogußiſche (welche der
Stamm des olidſchingjißiſchen Geſchlechtes
ſind), ſondern tſcheremiſſiſche waren; daher
unſere Landesleute dieſelben noch heutiges Ta-
ges Tſchirimuͤſch nennen, ob ſie gleich bey den
Tuͤrken unter dem Namen Lipka Tatari be-
kannt ſind, davon das erſte Wort aus Litwa
verderbet iſt. Ferner hat auch das Geſchlecht
der gegenwaͤrtigen Chane der Krim, daſelbſt
zu regieren und den Namen Gjiraj anzuneh-
men, nicht erſt unter Murad dem II ange-
fangen, in welche Zeit unſer Geſchichtſchreiber
ſeinen Atſchkjeraj ſetzet: ſondern es war noch
eher, als das osmaniſche Reich, wie man
aus den tuͤrkiſchen Geſchichten und der be-
ſtaͤndigen Sage der Tatarn beweiſen kann,
und welches in der Vorrede ausfuͤhrlich iſt
dargethan worden. Wir werden uns aber
nicht zu weit von unſerm Vorſatze entfernen,
wenn wir hier zugleich mit anfuͤhren, daß
unter den Tatarn ſelbſt ein Streit iſt, welches
die echten und welches die unechten Nachkom-
men von Gjiraj ſeyen. Denn außer der Li-
nie, die bis auf den heutigen Tag uͤber die
krimiſchen Tatarn die Regierung fuͤhret und
vorzuͤglicher Weiſe Gjiraj genennet wird, iſt
noch eine andere Linie vorhanden, die insge-
mein unter dem Namen Tſchoban Gjiraj, oder
Gjiraj der Schaͤfer, bekannt iſt. Denn es
wird erzaͤhlet, die Gemalinn eines gewiſſen
Chans, deſſen Name mir entfallen iſt, habe
[Spaltenumbruch]
eine verbotene Gemeinſchaft mit einem Schaͤ-
fer gehabt, und aus dieſer ſey ein Sohn ge-
boren worden (die Mutter habe man nach
der Geburt des Ehebruchs uͤberfuͤhret und um
das Leben gebracht), den der Koͤnig einem
von ſeinen Slawen uͤbergeben habe, mit dem
Befehle, ihn umzubringen. Der Slaw aber
habe ſeinem Herrn den Poſſen geſpielet und
das Kind nach Tſcherkaſſien gebracht, und
es daſelbſt heimlich aufgezogen. Von dieſem
fuͤhren ſie nun die letztere Linie her, und be-
haupten, ſeine Nachkommen haͤtten ſich der
Ehre eines ſo beruͤhmten Vorfahrers faͤlſchli-
cher Weiſe angemaßet. Die Tſchoban Gjiraj
hingegen geben eben dieſe Verleumdung den
andern Gjiraj zuruͤck, und machen dadurch,
daß es ſehr ſchwer wird zu beſtimmen, welche
Linie die echte oder eheliche ſey, und welche
es nicht ſey: denn beyde Theile haben weiter
nichts, darauf ſie ſich berufen koͤnnen, als
die bloße Sage. Ungeachtet die Tuͤrken glau-
ben, daß die gegenwaͤrtige Linie der Chane
die rechtmaͤßige ſey: ſo verweigern ſie doch
der andern die Benennung Gjiraj nicht, und
erlauben derſelben zu Dſchamboli (vor dieſem
Janopoli genennet), als dem beſtimmten
Sitze der tatariſchen Fuͤrſten, zu wohnen.
Einer von dieſen, mit Namen Kjoͤr Gjiraj,
wurde nach der Schlacht bey Wien zu der
Wuͤrde eines Chans von den Tuͤrken erhoben,
weil dieſelben gegen die Treue Selim Gjirajs
ein Mistrauen hegeten: allein wenige Mo-
nate hernach wurde er verſtoßen, und die alte
Linie der Gjiraj wieder auf den Thron geſetzet.
Es iſt auch nicht glaublich, daß die Tſchoban

der
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[165/0249] 7. Muhaͤmmed der II Kriege mit ſeinem Bruder uͤberwunden und genoͤthiget worden war, ſeine Zu- flucht zu den Genueſern zu nehmen. Dieſen Fuͤrſten machte der Sultan nicht allein unter gewiſſen Bedingungen zum Chan in der Krim, ſondern ſchickte ihn auch mit einem Kriegesheere ab, ſein Land wieder zu erobern. Als Mengjili Gjiraj ⁴⁴ in ſeinem Koͤnigreiche Kiptſchak ankam: ſo uͤberwand er durch Huͤlfe der rer der krimiſchen Tatarey machen, und be- haupten, daß derſelbe ſeinen Namen auf die von ihm herſtammenden Fuͤrſten gebracht ha- be: ſo iſt gewiß, daß die lithauiſchen Tatarn weder krimiſche noch ogußiſche (welche der Stamm des olidſchingjißiſchen Geſchlechtes ſind), ſondern tſcheremiſſiſche waren; daher unſere Landesleute dieſelben noch heutiges Ta- ges Tſchirimuͤſch nennen, ob ſie gleich bey den Tuͤrken unter dem Namen Lipka Tatari be- kannt ſind, davon das erſte Wort aus Litwa verderbet iſt. Ferner hat auch das Geſchlecht der gegenwaͤrtigen Chane der Krim, daſelbſt zu regieren und den Namen Gjiraj anzuneh- men, nicht erſt unter Murad dem II ange- fangen, in welche Zeit unſer Geſchichtſchreiber ſeinen Atſchkjeraj ſetzet: ſondern es war noch eher, als das osmaniſche Reich, wie man aus den tuͤrkiſchen Geſchichten und der be- ſtaͤndigen Sage der Tatarn beweiſen kann, und welches in der Vorrede ausfuͤhrlich iſt dargethan worden. Wir werden uns aber nicht zu weit von unſerm Vorſatze entfernen, wenn wir hier zugleich mit anfuͤhren, daß unter den Tatarn ſelbſt ein Streit iſt, welches die echten und welches die unechten Nachkom- men von Gjiraj ſeyen. Denn außer der Li- nie, die bis auf den heutigen Tag uͤber die krimiſchen Tatarn die Regierung fuͤhret und vorzuͤglicher Weiſe Gjiraj genennet wird, iſt noch eine andere Linie vorhanden, die insge- mein unter dem Namen Tſchoban Gjiraj, oder Gjiraj der Schaͤfer, bekannt iſt. Denn es wird erzaͤhlet, die Gemalinn eines gewiſſen Chans, deſſen Name mir entfallen iſt, habe eine verbotene Gemeinſchaft mit einem Schaͤ- fer gehabt, und aus dieſer ſey ein Sohn ge- boren worden (die Mutter habe man nach der Geburt des Ehebruchs uͤberfuͤhret und um das Leben gebracht), den der Koͤnig einem von ſeinen Slawen uͤbergeben habe, mit dem Befehle, ihn umzubringen. Der Slaw aber habe ſeinem Herrn den Poſſen geſpielet und das Kind nach Tſcherkaſſien gebracht, und es daſelbſt heimlich aufgezogen. Von dieſem fuͤhren ſie nun die letztere Linie her, und be- haupten, ſeine Nachkommen haͤtten ſich der Ehre eines ſo beruͤhmten Vorfahrers faͤlſchli- cher Weiſe angemaßet. Die Tſchoban Gjiraj hingegen geben eben dieſe Verleumdung den andern Gjiraj zuruͤck, und machen dadurch, daß es ſehr ſchwer wird zu beſtimmen, welche Linie die echte oder eheliche ſey, und welche es nicht ſey: denn beyde Theile haben weiter nichts, darauf ſie ſich berufen koͤnnen, als die bloße Sage. Ungeachtet die Tuͤrken glau- ben, daß die gegenwaͤrtige Linie der Chane die rechtmaͤßige ſey: ſo verweigern ſie doch der andern die Benennung Gjiraj nicht, und erlauben derſelben zu Dſchamboli (vor dieſem Janopoli genennet), als dem beſtimmten Sitze der tatariſchen Fuͤrſten, zu wohnen. Einer von dieſen, mit Namen Kjoͤr Gjiraj, wurde nach der Schlacht bey Wien zu der Wuͤrde eines Chans von den Tuͤrken erhoben, weil dieſelben gegen die Treue Selim Gjirajs ein Mistrauen hegeten: allein wenige Mo- nate hernach wurde er verſtoßen, und die alte Linie der Gjiraj wieder auf den Thron geſetzet. Es iſt auch nicht glaublich, daß die Tſchoban Gjiraj X 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/249>, abgerufen am 22.11.2024.