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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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7. Muhämmed der II
Nemaß verrichten. Nach geendigtem Gebete begab er sich nach dem kaiserlichen
Palaste, und soll bey dem Eintritte in denselben, als ein Liebhaber der Dicht-
kunst, aus dem Stegreife ein Par Verse in persischer Sprache 16 hergesaget
haben. Die Eroberung von Constantinopel 17 geschahe im Jahre der HidschretH. 857.


J. C. 1453.

857, am zwanzigsten Tage des Monats Dschemaßiül ewwel.

[Spaltenumbruch]
Besitzern entrissen worden, vermuthlich den
Palästen von Efraßijab ähnlich werden, dar-
innen, an statt der Wache, die Eulen ihre Ne-
ster haben und ihren gräßlichen Gesang aus-
schreyen. Eine wahrhafte Prophezeiung,
die nach allen ihren Umständen erfüllet wor-
den ist! Denn heutiges Tages, wie ich schon
vorhin erwähnet habe, ist der Palast der grie-
chischen Kaiser zu einer Wohnung der Eulen
und Fledermäuse geworden, welches ein leb-
haftes Denkbild ihres zerstörten Reiches ist.
17 von Constantinopel] Es ist mir
nicht unbekannt, daß fast alle christlichen Ge-
schichtschreiber, sowol die griechischen als la-
teinischen, eine ganz andere Erzählung von
der Einnehmung dieser Stadt machen, und
behaupten, daß die ganze Stadt durch die
Waffen sey erobert worden. Allein, es sind
viele Gründe (dadurch die Wahrheit dessen,
was hier erwähnet ist, offenbar bestätiget
wird), die mich hindern, daß ich durch ihr
Ansehen nicht bewogen werde. Der erste
Grund ist das gleichlautende Zeugniß aller,
auch der angesehensten Geschichtschreiber un-
ter den Türken. Diese, sowol alte als
neuere, sie mögen sonst in ihren Erzählungen
von andern Begebenheiten ihrer Kaiser gleich
noch so weit von einander abgehen, wann sie
auf dieses Stück kommen, sagen gleichsam
mit einem Munde aus, daß die Hälfte der
Stadt (ja in der That der größte Theil der-
selben) sich an Muhämmed auf gewisse ver-
glichene Bedingungen ergeben habe, die auch
[Spaltenumbruch]
von ihnen aufgezeichnet und auf uns gebracht
worden sind. Da es nun bey den meisten
morgenländischen Schriftstellern, nicht nur
den Türken allein, gewöhnlich ist, ihre eige-
nen Sachen groß zu machen, und anderer
ihre eben so sehr zu verkleinern und zu ernie-
drigen: so kann ich mir schwerlich einbilden,
daß sie eine Lüge zu ihrer eigenen Schande
würden vorgebracht haben. Denn eine Stadt
durch Gewalt der Waffen zu erobern, wird
bey allen Völkern, die nur einige Empfin-
dung von der Kriegstapferkeit haben, für
weit rühmlicher gehalten, als dieselbe durch
Uebergabe einzunehmen. Ein anderer und
noch stärkerer Grund ist dieser. Die Griechen
haben in dem übergebenen Theile der Stadt
ihre Kirchen in ruhigem Besitze gehabt, und
dieses unter dreyen Kaisern, Muhämmed dem
II, Bajeßid dem II, und eines Theils unter
der Regierung Selims des I, der ihnen dieselben
nachgehends weggenommen hat. Die Ur-
kunden derselben Kirchen bis auf diese Zeiten
werden noch heutiges Tages in dem Archive
der Patriarchalkirche aufbehalten. Wie es
zugegangen, daß man sie weggenommen hat:
das will ich aus einem angesehenen und
gleichlebenden Geschichtschreiber der Türken,
Ali Efendi, von Philippopel gebürtig, erzäh-
len, der das Amt eines Chäßine Kjatibi oder
Sekretärs der Schatzkammer unter dem be-
rühmten Ferhad Pascha, Defterdar oder Ober-
schatzmeister Sultan Selims des I, verwal-
tet hat. Diese Nachricht wird dienen, meine
Meinung wegen Uebergabe der Stadt zu be-
10. Nachdem
T 3

7. Muhaͤmmed der II
Nemaß verrichten. Nach geendigtem Gebete begab er ſich nach dem kaiſerlichen
Palaſte, und ſoll bey dem Eintritte in denſelben, als ein Liebhaber der Dicht-
kunſt, aus dem Stegreife ein Par Verſe in perſiſcher Sprache 16 hergeſaget
haben. Die Eroberung von Conſtantinopel 17 geſchahe im Jahre der HidſchretH. 857.


J. C. 1453.

857, am zwanzigſten Tage des Monats Dſchemaßiuͤl ewwel.

[Spaltenumbruch]
Beſitzern entriſſen worden, vermuthlich den
Palaͤſten von Efraßijab aͤhnlich werden, dar-
innen, an ſtatt der Wache, die Eulen ihre Ne-
ſter haben und ihren graͤßlichen Geſang aus-
ſchreyen. Eine wahrhafte Prophezeiung,
die nach allen ihren Umſtaͤnden erfuͤllet wor-
den iſt! Denn heutiges Tages, wie ich ſchon
vorhin erwaͤhnet habe, iſt der Palaſt der grie-
chiſchen Kaiſer zu einer Wohnung der Eulen
und Fledermaͤuſe geworden, welches ein leb-
haftes Denkbild ihres zerſtoͤrten Reiches iſt.
17 von Conſtantinopel] Es iſt mir
nicht unbekannt, daß faſt alle chriſtlichen Ge-
ſchichtſchreiber, ſowol die griechiſchen als la-
teiniſchen, eine ganz andere Erzaͤhlung von
der Einnehmung dieſer Stadt machen, und
behaupten, daß die ganze Stadt durch die
Waffen ſey erobert worden. Allein, es ſind
viele Gruͤnde (dadurch die Wahrheit deſſen,
was hier erwaͤhnet iſt, offenbar beſtaͤtiget
wird), die mich hindern, daß ich durch ihr
Anſehen nicht bewogen werde. Der erſte
Grund iſt das gleichlautende Zeugniß aller,
auch der angeſehenſten Geſchichtſchreiber un-
ter den Tuͤrken. Dieſe, ſowol alte als
neuere, ſie moͤgen ſonſt in ihren Erzaͤhlungen
von andern Begebenheiten ihrer Kaiſer gleich
noch ſo weit von einander abgehen, wann ſie
auf dieſes Stuͤck kommen, ſagen gleichſam
mit einem Munde aus, daß die Haͤlfte der
Stadt (ja in der That der groͤßte Theil der-
ſelben) ſich an Muhaͤmmed auf gewiſſe ver-
glichene Bedingungen ergeben habe, die auch
[Spaltenumbruch]
von ihnen aufgezeichnet und auf uns gebracht
worden ſind. Da es nun bey den meiſten
morgenlaͤndiſchen Schriftſtellern, nicht nur
den Tuͤrken allein, gewoͤhnlich iſt, ihre eige-
nen Sachen groß zu machen, und anderer
ihre eben ſo ſehr zu verkleinern und zu ernie-
drigen: ſo kann ich mir ſchwerlich einbilden,
daß ſie eine Luͤge zu ihrer eigenen Schande
wuͤrden vorgebracht haben. Denn eine Stadt
durch Gewalt der Waffen zu erobern, wird
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dung von der Kriegstapferkeit haben, fuͤr
weit ruͤhmlicher gehalten, als dieſelbe durch
Uebergabe einzunehmen. Ein anderer und
noch ſtaͤrkerer Grund iſt dieſer. Die Griechen
haben in dem uͤbergebenen Theile der Stadt
ihre Kirchen in ruhigem Beſitze gehabt, und
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II‚ Bajeßid dem II‚ und eines Theils unter
der Regierung Selims des I‚ der ihnen dieſelben
nachgehends weggenommen hat. Die Ur-
kunden derſelben Kirchen bis auf dieſe Zeiten
werden noch heutiges Tages in dem Archive
der Patriarchalkirche aufbehalten. Wie es
zugegangen, daß man ſie weggenommen hat:
das will ich aus einem angeſehenen und
gleichlebenden Geſchichtſchreiber der Tuͤrken,
Ali Efendi, von Philippopel gebuͤrtig, erzaͤh-
len, der das Amt eines Chaͤßine Kjatibi oder
Sekretaͤrs der Schatzkammer unter dem be-
ruͤhmten Ferhad Paſcha, Defterdar oder Ober-
ſchatzmeiſter Sultan Selims des I‚ verwal-
tet hat. Dieſe Nachricht wird dienen, meine
Meinung wegen Uebergabe der Stadt zu be-
10. Nachdem
T 3
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[149/0233] 7. Muhaͤmmed der II Nemaß verrichten. Nach geendigtem Gebete begab er ſich nach dem kaiſerlichen Palaſte, und ſoll bey dem Eintritte in denſelben, als ein Liebhaber der Dicht- kunſt, aus dem Stegreife ein Par Verſe in perſiſcher Sprache ¹⁶ hergeſaget haben. Die Eroberung von Conſtantinopel ¹⁷ geſchahe im Jahre der Hidſchret 857, am zwanzigſten Tage des Monats Dſchemaßiuͤl ewwel. H. 857. J. C. 1453. 10. Nachdem Beſitzern entriſſen worden, vermuthlich den Palaͤſten von Efraßijab aͤhnlich werden, dar- innen, an ſtatt der Wache, die Eulen ihre Ne- ſter haben und ihren graͤßlichen Geſang aus- ſchreyen. Eine wahrhafte Prophezeiung, die nach allen ihren Umſtaͤnden erfuͤllet wor- den iſt! Denn heutiges Tages, wie ich ſchon vorhin erwaͤhnet habe, iſt der Palaſt der grie- chiſchen Kaiſer zu einer Wohnung der Eulen und Fledermaͤuſe geworden, welches ein leb- haftes Denkbild ihres zerſtoͤrten Reiches iſt. ¹⁷ von Conſtantinopel] Es iſt mir nicht unbekannt, daß faſt alle chriſtlichen Ge- ſchichtſchreiber, ſowol die griechiſchen als la- teiniſchen, eine ganz andere Erzaͤhlung von der Einnehmung dieſer Stadt machen, und behaupten, daß die ganze Stadt durch die Waffen ſey erobert worden. Allein, es ſind viele Gruͤnde (dadurch die Wahrheit deſſen, was hier erwaͤhnet iſt, offenbar beſtaͤtiget wird), die mich hindern, daß ich durch ihr Anſehen nicht bewogen werde. Der erſte Grund iſt das gleichlautende Zeugniß aller, auch der angeſehenſten Geſchichtſchreiber un- ter den Tuͤrken. Dieſe, ſowol alte als neuere, ſie moͤgen ſonſt in ihren Erzaͤhlungen von andern Begebenheiten ihrer Kaiſer gleich noch ſo weit von einander abgehen, wann ſie auf dieſes Stuͤck kommen, ſagen gleichſam mit einem Munde aus, daß die Haͤlfte der Stadt (ja in der That der groͤßte Theil der- ſelben) ſich an Muhaͤmmed auf gewiſſe ver- glichene Bedingungen ergeben habe, die auch von ihnen aufgezeichnet und auf uns gebracht worden ſind. Da es nun bey den meiſten morgenlaͤndiſchen Schriftſtellern, nicht nur den Tuͤrken allein, gewoͤhnlich iſt, ihre eige- nen Sachen groß zu machen, und anderer ihre eben ſo ſehr zu verkleinern und zu ernie- drigen: ſo kann ich mir ſchwerlich einbilden, daß ſie eine Luͤge zu ihrer eigenen Schande wuͤrden vorgebracht haben. Denn eine Stadt durch Gewalt der Waffen zu erobern, wird bey allen Voͤlkern, die nur einige Empfin- dung von der Kriegstapferkeit haben, fuͤr weit ruͤhmlicher gehalten, als dieſelbe durch Uebergabe einzunehmen. Ein anderer und noch ſtaͤrkerer Grund iſt dieſer. Die Griechen haben in dem uͤbergebenen Theile der Stadt ihre Kirchen in ruhigem Beſitze gehabt, und dieſes unter dreyen Kaiſern, Muhaͤmmed dem II‚ Bajeßid dem II‚ und eines Theils unter der Regierung Selims des I‚ der ihnen dieſelben nachgehends weggenommen hat. Die Ur- kunden derſelben Kirchen bis auf dieſe Zeiten werden noch heutiges Tages in dem Archive der Patriarchalkirche aufbehalten. Wie es zugegangen, daß man ſie weggenommen hat: das will ich aus einem angeſehenen und gleichlebenden Geſchichtſchreiber der Tuͤrken, Ali Efendi, von Philippopel gebuͤrtig, erzaͤh- len, der das Amt eines Chaͤßine Kjatibi oder Sekretaͤrs der Schatzkammer unter dem be- ruͤhmten Ferhad Paſcha, Defterdar oder Ober- ſchatzmeiſter Sultan Selims des I‚ verwal- tet hat. Dieſe Nachricht wird dienen, meine Meinung wegen Uebergabe der Stadt zu be- ſtaͤtigen. T 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/233>, abgerufen am 27.11.2024.