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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
geben. Dieses geschahe am ein und funfzigsten Tage der Belagerung: denn,
entweder die Nachlässigkeit oder die Verrätherey des Weßirs 11 (von dem man
sagte, daß er von den Christen wäre bestochen worden) verhinderte, daß die
Stadt nicht eher konnte eingenommen werden. Doch, ich will die besondern
Umstände dieser Sache aus den türkischen Geschichtschreibern ausführlicher er-
zählen.

Die Stadt wird
an der Seeseite
mit Sturm ein-genommen.
5.

Als die Christen, nach funfzigtägiger ausgestandenen Belagerung,
durch beständige Arbeit und Wachen abgemattet waren, und sahen, daß nur
wenige, obzwar tapfere, zur Gegenwehre geschickte Leute mehr übrig, ihre
Stadtmauren voller Lücken, ihre Stückbette darnieder geworfen, mit ei-
nem Worte, daß die Stadt zur See und zu Lande eingesperret war, und nir-
[Spaltenumbruch]

durch Besorgung seines Sohnes, Nikolaus
Maurokordatus, eines Mannes, der sowol
in der morgenländischen als abendländischen
Gelehrtheit wohl erfahren ist. Denn man
muß sich nicht einbilden, wie die Christen ins-
gemein thun, als wenn Griechenland so weit
in die Barbarey versunken wäre, daß es in
diesen letztern Zeiten nicht Männer hervorge-
bracht haben sollte, welche den gelehrtesten
ihrer alten Weisen wenig nachgeben. Derer
Zeiten, die weiter von uns entfernet sind,
nicht zu erwähnen: so haben wir auch noch
in unsern Tagen drey Patriarchen gesehen,
die wegen ihrer Gelehrtheit sich einen aus-
nehmenden Ruhm erworben haben: einen zu
Constantinopel, und zweene zu Jerusalem.
Der zu Constantinopel war Kallinikus, ein
vortrefflicher Redner, der (eine Sache, die
nur selten geschiehet) in seiner Patriarchen-
würde gestorben ist. Die zu Jerusalem wa-
ren Dositheus, und dessen Anverwandter und
Nachfolger, Chrysanthus, der, wie ich höre,
annoch im Leben ist. Von dem erstern haben
wir, außer andern Denkmalen seiner Gelehrt-
heit, drey gedruckte Bände Streitschriften
gegen die Lateiner. Nächst diesen machten
sich auch zu Constantinopel berühmt, Mele-
[Spaltenumbruch]
tius, Erzbischof anfangs zu Arta, hernach zu
Athen; ein Mann, der aller Theile der Ge-
lehrtheit kundig war, hauptsächlich aber sich
auf die helmontianischen Lehrsätze (oder viel-
mehr Thales seine) geleget hatte, die ich mir
auch in einer Zeit von acht Monaten von ihm
erklären ließe: Elias Miniati Hieromona-
chus, ein sehr scharfsinniger Weltweiser, und
hochberühmter Mann, wegen seiner Wissen-
schaft sowol in der dogmatischen als scholasti-
schen Gottesgelehrtheit, nachgehends Bischof
zu Messene in Morea: Markus Larissäus,
ein vortrefflicher Sprachgelehrter: Metro-
phanes Hierodiakonus, der sich vornehmlich
auf die Dichtkunst legte, und ein glücklicher
Nachahmer der Alten war: Licinius, der
von Monembasia oder Malvasia gebürtig
war, ein Weltweiser und Naturkundiger, und
in beyden Stücken vortrefflich. Er war ober-
ster Leibarzt an meinem Hofe. Seine Wis-
senschaft und Erfahrung in der Arzneykunst
brachte ihm Hochachtung und Ansehen unter
den Türken zuwege. Er verließ nachher Con-
stantinopel, und wurde in seinem Vaterlande
von der Republik Venedig mit dem Titel eines
Grafen beehret. Ungefähr ein Jahr hernach
wurde er zu Monembasia von den Türken ge-

gendsher

Osmaniſche Geſchichte
geben. Dieſes geſchahe am ein und funfzigſten Tage der Belagerung: denn,
entweder die Nachlaͤſſigkeit oder die Verraͤtherey des Weßirs 11 (von dem man
ſagte, daß er von den Chriſten waͤre beſtochen worden) verhinderte, daß die
Stadt nicht eher konnte eingenommen werden. Doch, ich will die beſondern
Umſtaͤnde dieſer Sache aus den tuͤrkiſchen Geſchichtſchreibern ausfuͤhrlicher er-
zaͤhlen.

Die Stadt wird
an der Seeſeite
mit Sturm ein-genommen.
5.

Als die Chriſten, nach funfzigtaͤgiger ausgeſtandenen Belagerung,
durch beſtaͤndige Arbeit und Wachen abgemattet waren, und ſahen, daß nur
wenige, obzwar tapfere, zur Gegenwehre geſchickte Leute mehr uͤbrig, ihre
Stadtmauren voller Luͤcken, ihre Stuͤckbette darnieder geworfen, mit ei-
nem Worte, daß die Stadt zur See und zu Lande eingeſperret war, und nir-
[Spaltenumbruch]

durch Beſorgung ſeines Sohnes, Nikolaus
Maurokordatus, eines Mannes, der ſowol
in der morgenlaͤndiſchen als abendlaͤndiſchen
Gelehrtheit wohl erfahren iſt. Denn man
muß ſich nicht einbilden, wie die Chriſten ins-
gemein thun, als wenn Griechenland ſo weit
in die Barbarey verſunken waͤre, daß es in
dieſen letztern Zeiten nicht Maͤnner hervorge-
bracht haben ſollte, welche den gelehrteſten
ihrer alten Weiſen wenig nachgeben. Derer
Zeiten, die weiter von uns entfernet ſind,
nicht zu erwaͤhnen: ſo haben wir auch noch
in unſern Tagen drey Patriarchen geſehen,
die wegen ihrer Gelehrtheit ſich einen aus-
nehmenden Ruhm erworben haben: einen zu
Conſtantinopel, und zweene zu Jeruſalem.
Der zu Conſtantinopel war Kallinikus, ein
vortrefflicher Redner, der (eine Sache, die
nur ſelten geſchiehet) in ſeiner Patriarchen-
wuͤrde geſtorben iſt. Die zu Jeruſalem wa-
ren Doſitheus, und deſſen Anverwandter und
Nachfolger, Chryſanthus, der, wie ich hoͤre,
annoch im Leben iſt. Von dem erſtern haben
wir, außer andern Denkmalen ſeiner Gelehrt-
heit, drey gedruckte Baͤnde Streitſchriften
gegen die Lateiner. Naͤchſt dieſen machten
ſich auch zu Conſtantinopel beruͤhmt, Mele-
[Spaltenumbruch]
tius, Erzbiſchof anfangs zu Arta, hernach zu
Athen; ein Mann, der aller Theile der Ge-
lehrtheit kundig war, hauptſaͤchlich aber ſich
auf die helmontianiſchen Lehrſaͤtze (oder viel-
mehr Thales ſeine) geleget hatte, die ich mir
auch in einer Zeit von acht Monaten von ihm
erklaͤren ließe: Elias Miniati Hieromona-
chus, ein ſehr ſcharfſinniger Weltweiſer, und
hochberuͤhmter Mann, wegen ſeiner Wiſſen-
ſchaft ſowol in der dogmatiſchen als ſcholaſti-
ſchen Gottesgelehrtheit, nachgehends Biſchof
zu Meſſene in Morea: Markus Lariſſaͤus,
ein vortrefflicher Sprachgelehrter: Metro-
phanes Hierodiakonus, der ſich vornehmlich
auf die Dichtkunſt legte, und ein gluͤcklicher
Nachahmer der Alten war: Licinius, der
von Monembaſia oder Malvaſia gebuͤrtig
war, ein Weltweiſer und Naturkundiger, und
in beyden Stuͤcken vortrefflich. Er war ober-
ſter Leibarzt an meinem Hofe. Seine Wiſ-
ſenſchaft und Erfahrung in der Arzneykunſt
brachte ihm Hochachtung und Anſehen unter
den Tuͤrken zuwege. Er verließ nachher Con-
ſtantinopel, und wurde in ſeinem Vaterlande
von der Republik Venedig mit dem Titel eines
Grafen beehret. Ungefaͤhr ein Jahr hernach
wurde er zu Monembaſia von den Tuͤrken ge-

gendsher
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[144/0228] Osmaniſche Geſchichte geben. Dieſes geſchahe am ein und funfzigſten Tage der Belagerung: denn, entweder die Nachlaͤſſigkeit oder die Verraͤtherey des Weßirs ¹¹ (von dem man ſagte, daß er von den Chriſten waͤre beſtochen worden) verhinderte, daß die Stadt nicht eher konnte eingenommen werden. Doch, ich will die beſondern Umſtaͤnde dieſer Sache aus den tuͤrkiſchen Geſchichtſchreibern ausfuͤhrlicher er- zaͤhlen. 5. Als die Chriſten, nach funfzigtaͤgiger ausgeſtandenen Belagerung, durch beſtaͤndige Arbeit und Wachen abgemattet waren, und ſahen, daß nur wenige, obzwar tapfere, zur Gegenwehre geſchickte Leute mehr uͤbrig, ihre Stadtmauren voller Luͤcken, ihre Stuͤckbette darnieder geworfen, mit ei- nem Worte, daß die Stadt zur See und zu Lande eingeſperret war, und nir- gendsher durch Beſorgung ſeines Sohnes, Nikolaus Maurokordatus, eines Mannes, der ſowol in der morgenlaͤndiſchen als abendlaͤndiſchen Gelehrtheit wohl erfahren iſt. Denn man muß ſich nicht einbilden, wie die Chriſten ins- gemein thun, als wenn Griechenland ſo weit in die Barbarey verſunken waͤre, daß es in dieſen letztern Zeiten nicht Maͤnner hervorge- bracht haben ſollte, welche den gelehrteſten ihrer alten Weiſen wenig nachgeben. Derer Zeiten, die weiter von uns entfernet ſind, nicht zu erwaͤhnen: ſo haben wir auch noch in unſern Tagen drey Patriarchen geſehen, die wegen ihrer Gelehrtheit ſich einen aus- nehmenden Ruhm erworben haben: einen zu Conſtantinopel, und zweene zu Jeruſalem. Der zu Conſtantinopel war Kallinikus, ein vortrefflicher Redner, der (eine Sache, die nur ſelten geſchiehet) in ſeiner Patriarchen- wuͤrde geſtorben iſt. Die zu Jeruſalem wa- ren Doſitheus, und deſſen Anverwandter und Nachfolger, Chryſanthus, der, wie ich hoͤre, annoch im Leben iſt. Von dem erſtern haben wir, außer andern Denkmalen ſeiner Gelehrt- heit, drey gedruckte Baͤnde Streitſchriften gegen die Lateiner. Naͤchſt dieſen machten ſich auch zu Conſtantinopel beruͤhmt, Mele- tius, Erzbiſchof anfangs zu Arta, hernach zu Athen; ein Mann, der aller Theile der Ge- lehrtheit kundig war, hauptſaͤchlich aber ſich auf die helmontianiſchen Lehrſaͤtze (oder viel- mehr Thales ſeine) geleget hatte, die ich mir auch in einer Zeit von acht Monaten von ihm erklaͤren ließe: Elias Miniati Hieromona- chus, ein ſehr ſcharfſinniger Weltweiſer, und hochberuͤhmter Mann, wegen ſeiner Wiſſen- ſchaft ſowol in der dogmatiſchen als ſcholaſti- ſchen Gottesgelehrtheit, nachgehends Biſchof zu Meſſene in Morea: Markus Lariſſaͤus, ein vortrefflicher Sprachgelehrter: Metro- phanes Hierodiakonus, der ſich vornehmlich auf die Dichtkunſt legte, und ein gluͤcklicher Nachahmer der Alten war: Licinius, der von Monembaſia oder Malvaſia gebuͤrtig war, ein Weltweiſer und Naturkundiger, und in beyden Stuͤcken vortrefflich. Er war ober- ſter Leibarzt an meinem Hofe. Seine Wiſ- ſenſchaft und Erfahrung in der Arzneykunſt brachte ihm Hochachtung und Anſehen unter den Tuͤrken zuwege. Er verließ nachher Con- ſtantinopel, und wurde in ſeinem Vaterlande von der Republik Venedig mit dem Titel eines Grafen beehret. Ungefaͤhr ein Jahr hernach wurde er zu Monembaſia von den Tuͤrken ge- fangen;

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/228>, abgerufen am 23.11.2024.