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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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6. Murad der II
nun dieses desto glücklicher zu führen, gehet er am dritten Tage mit seinem Heere
zu Felde, und rücket mit starken Tagereisen gegen Warna 39 an, da der König
von Ungarn, wie er Nachricht hatte, mit seinem Lager stunde. Damit er auch
auf seinem geschwinden Zuge durch die Fußvölker nicht möge gehindert werden:
so gehet er mit der Reiterey voraus, und kommt in dreyen Tagen in das Ange-
sicht des ungarischen Lagers. Er greifet auch die Feinde unverzüglich an: aber
nicht mit solchem Erfolge, als er vermuthete. Denn der rechte Flügel, der kein
Fußvolk zu seiner Unterstützung hatte, war nicht im Stande, den ersten Angriff
auszuhalten; sondern wurde in Unordnung gebracht und über eine Meile Weges
weit verfolget. Allein, dieses war ein Glück, sowol für den Sultan, als für
sein ganzes Reich. Denn der junge König von Ungarn, der es an Herzhaf-
tigkeit allen andern zuvor that, fassete den Schluß, den Sieg, den er nunmehr
in den Händen zu haben glaubete, recht vollständig zu machen, und forderte in
der Hitze des Treffens Murad zu einem Zweykampfe 40 heraus. Murad trifft
ihn von ungefähr an, und wirft seinem Pferde einen Dschirid 41 in den Leib,
[Spaltenumbruch]
"ihren Gott und Sacramente herankom-
"men; und wenn ihr Glaube an diese Din-
"ge richtig ist: so mache, o gerechter Gott,
"der du deine Sonne über Gute und Böse
"aufgehen lässest! daß sie sich selbst ver-
"dammen und wegen ihrer eigenen Schand-
"that selbst strafen müssen."
40 Zweykampfe] Ob die Türken dieses
zu Ehren ihres Kaisers erdichtet haben; oder
ob die Christen davon stille schweigen, um die
Unbesonnenheit Wladislaws zu verhehlen:
das wird dem Leser zu bestimmen anheim ge-
stellet. Ich indessen bin mehr geneigt, den
Türken Glauben beyzumessen; weil unsere
Christen, und insbesondere Phranza (im 2
Buche, 19 Hauptst.), erzählen, daß der Kö-
nig bis an Ameras Zelt eingedrungen und da-
selbst umgekommen sey, nachdem sein Pferd
zuerst von einem Jeng-itscheri, mit Namen
Chamutza, verwundet worden.
41 Dschirid] Dieses ist eine Art leichter
Wurfspieße, deren sich die Türken sehr stark
[Spaltenumbruch]
bedienen. Diejenigen, die denselben zu wer-
fen wissen, führen drey solcher Wurfspieße
in einem Futter, das sie rechter Hand an ih-
ren Pferden hängen haben. Mit diesen wer-
fen sie nach dem Ziele mit solcher Schärfe,
daß es ihnen der geschickteste Konstabel nicht
leicht gleich thun wird. Ich will hievon
ein Beyspiel anführen, das ich kaum glauben
könnte, wenn ich es nicht selbst mit Augen
angesehen hätte. In dem letzten Jahre des
verwichenen Krieges, ehe die Völker von
Senta abzogen, übten sich einige von den
Kämmerlingen des Kaisers in dieser Kunst
vor demselben, auf der Ebene bey Philippo-
pel. Die Wurfspieße, die sie gebrauchten,
waren nicht spitzig, sondern stumpf am Ende.
Einer, Namens Mehemmed Aga, ein Tscher-
kassier und Stallmeister des Sultans (wel-
ches Amt bey den Türken in großem Ansehen
ist), war auch unter ihnen. Diesen traf ei-
ner von der Gesellschaft unversehens auf den
Rücken mit einem Dschirid, der mit großer
Gewalt war geworfen worden. Mehemmed
schämte sich, vielleicht machte ihn auch der

darüber
R

6. Murad der II
nun dieſes deſto gluͤcklicher zu fuͤhren, gehet er am dritten Tage mit ſeinem Heere
zu Felde, und ruͤcket mit ſtarken Tagereiſen gegen Warna 39 an, da der Koͤnig
von Ungarn, wie er Nachricht hatte, mit ſeinem Lager ſtunde. Damit er auch
auf ſeinem geſchwinden Zuge durch die Fußvoͤlker nicht moͤge gehindert werden:
ſo gehet er mit der Reiterey voraus, und kommt in dreyen Tagen in das Ange-
ſicht des ungariſchen Lagers. Er greifet auch die Feinde unverzuͤglich an: aber
nicht mit ſolchem Erfolge, als er vermuthete. Denn der rechte Fluͤgel, der kein
Fußvolk zu ſeiner Unterſtuͤtzung hatte, war nicht im Stande, den erſten Angriff
auszuhalten; ſondern wurde in Unordnung gebracht und uͤber eine Meile Weges
weit verfolget. Allein, dieſes war ein Gluͤck, ſowol fuͤr den Sultan, als fuͤr
ſein ganzes Reich. Denn der junge Koͤnig von Ungarn, der es an Herzhaf-
tigkeit allen andern zuvor that, faſſete den Schluß, den Sieg, den er nunmehr
in den Haͤnden zu haben glaubete, recht vollſtaͤndig zu machen, und forderte in
der Hitze des Treffens Murad zu einem Zweykampfe 40 heraus. Murad trifft
ihn von ungefaͤhr an, und wirft ſeinem Pferde einen Dſchirid 41 in den Leib,
[Spaltenumbruch]
“ihren Gott und Sacramente herankom-
“men; und wenn ihr Glaube an dieſe Din-
“ge richtig iſt: ſo mache, o gerechter Gott,
“der du deine Sonne uͤber Gute und Boͤſe
“aufgehen laͤſſeſt! daß ſie ſich ſelbſt ver-
“dammen und wegen ihrer eigenen Schand-
“that ſelbſt ſtrafen muͤſſen.„
40 Zweykampfe] Ob die Tuͤrken dieſes
zu Ehren ihres Kaiſers erdichtet haben; oder
ob die Chriſten davon ſtille ſchweigen, um die
Unbeſonnenheit Wladiſlaws zu verhehlen:
das wird dem Leſer zu beſtimmen anheim ge-
ſtellet. Ich indeſſen bin mehr geneigt, den
Tuͤrken Glauben beyzumeſſen; weil unſere
Chriſten, und insbeſondere Phranza (im 2
Buche, 19 Hauptſt.), erzaͤhlen, daß der Koͤ-
nig bis an Ameras Zelt eingedrungen und da-
ſelbſt umgekommen ſey, nachdem ſein Pferd
zuerſt von einem Jeng-itſcheri, mit Namen
Chamutza, verwundet worden.
41 Dſchirid] Dieſes iſt eine Art leichter
Wurfſpieße, deren ſich die Tuͤrken ſehr ſtark
[Spaltenumbruch]
bedienen. Diejenigen, die denſelben zu wer-
fen wiſſen, fuͤhren drey ſolcher Wurfſpieße
in einem Futter, das ſie rechter Hand an ih-
ren Pferden haͤngen haben. Mit dieſen wer-
fen ſie nach dem Ziele mit ſolcher Schaͤrfe,
daß es ihnen der geſchickteſte Konſtabel nicht
leicht gleich thun wird. Ich will hievon
ein Beyſpiel anfuͤhren, das ich kaum glauben
koͤnnte, wenn ich es nicht ſelbſt mit Augen
angeſehen haͤtte. In dem letzten Jahre des
verwichenen Krieges, ehe die Voͤlker von
Senta abzogen, uͤbten ſich einige von den
Kaͤmmerlingen des Kaiſers in dieſer Kunſt
vor demſelben, auf der Ebene bey Philippo-
pel. Die Wurfſpieße, die ſie gebrauchten,
waren nicht ſpitzig, ſondern ſtumpf am Ende.
Einer, Namens Mehemmed Aga, ein Tſcher-
kaſſier und Stallmeiſter des Sultans (wel-
ches Amt bey den Tuͤrken in großem Anſehen
iſt), war auch unter ihnen. Dieſen traf ei-
ner von der Geſellſchaft unverſehens auf den
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ſchaͤmte ſich, vielleicht machte ihn auch der

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[129/0211] 6. Murad der II nun dieſes deſto gluͤcklicher zu fuͤhren, gehet er am dritten Tage mit ſeinem Heere zu Felde, und ruͤcket mit ſtarken Tagereiſen gegen Warna ³⁹ an, da der Koͤnig von Ungarn, wie er Nachricht hatte, mit ſeinem Lager ſtunde. Damit er auch auf ſeinem geſchwinden Zuge durch die Fußvoͤlker nicht moͤge gehindert werden: ſo gehet er mit der Reiterey voraus, und kommt in dreyen Tagen in das Ange- ſicht des ungariſchen Lagers. Er greifet auch die Feinde unverzuͤglich an: aber nicht mit ſolchem Erfolge, als er vermuthete. Denn der rechte Fluͤgel, der kein Fußvolk zu ſeiner Unterſtuͤtzung hatte, war nicht im Stande, den erſten Angriff auszuhalten; ſondern wurde in Unordnung gebracht und uͤber eine Meile Weges weit verfolget. Allein, dieſes war ein Gluͤck, ſowol fuͤr den Sultan, als fuͤr ſein ganzes Reich. Denn der junge Koͤnig von Ungarn, der es an Herzhaf- tigkeit allen andern zuvor that, faſſete den Schluß, den Sieg, den er nunmehr in den Haͤnden zu haben glaubete, recht vollſtaͤndig zu machen, und forderte in der Hitze des Treffens Murad zu einem Zweykampfe ⁴⁰ heraus. Murad trifft ihn von ungefaͤhr an, und wirft ſeinem Pferde einen Dſchirid ⁴¹ in den Leib, daruͤber “ihren Gott und Sacramente herankom- “men; und wenn ihr Glaube an dieſe Din- “ge richtig iſt: ſo mache, o gerechter Gott, “der du deine Sonne uͤber Gute und Boͤſe “aufgehen laͤſſeſt! daß ſie ſich ſelbſt ver- “dammen und wegen ihrer eigenen Schand- “that ſelbſt ſtrafen muͤſſen.„ ⁴⁰ Zweykampfe] Ob die Tuͤrken dieſes zu Ehren ihres Kaiſers erdichtet haben; oder ob die Chriſten davon ſtille ſchweigen, um die Unbeſonnenheit Wladiſlaws zu verhehlen: das wird dem Leſer zu beſtimmen anheim ge- ſtellet. Ich indeſſen bin mehr geneigt, den Tuͤrken Glauben beyzumeſſen; weil unſere Chriſten, und insbeſondere Phranza (im 2 Buche, 19 Hauptſt.), erzaͤhlen, daß der Koͤ- nig bis an Ameras Zelt eingedrungen und da- ſelbſt umgekommen ſey, nachdem ſein Pferd zuerſt von einem Jeng-itſcheri, mit Namen Chamutza, verwundet worden. ⁴¹ Dſchirid] Dieſes iſt eine Art leichter Wurfſpieße, deren ſich die Tuͤrken ſehr ſtark bedienen. Diejenigen, die denſelben zu wer- fen wiſſen, fuͤhren drey ſolcher Wurfſpieße in einem Futter, das ſie rechter Hand an ih- ren Pferden haͤngen haben. Mit dieſen wer- fen ſie nach dem Ziele mit ſolcher Schaͤrfe, daß es ihnen der geſchickteſte Konſtabel nicht leicht gleich thun wird. Ich will hievon ein Beyſpiel anfuͤhren, das ich kaum glauben koͤnnte, wenn ich es nicht ſelbſt mit Augen angeſehen haͤtte. In dem letzten Jahre des verwichenen Krieges, ehe die Voͤlker von Senta abzogen, uͤbten ſich einige von den Kaͤmmerlingen des Kaiſers in dieſer Kunſt vor demſelben, auf der Ebene bey Philippo- pel. Die Wurfſpieße, die ſie gebrauchten, waren nicht ſpitzig, ſondern ſtumpf am Ende. Einer, Namens Mehemmed Aga, ein Tſcher- kaſſier und Stallmeiſter des Sultans (wel- ches Amt bey den Tuͤrken in großem Anſehen iſt), war auch unter ihnen. Dieſen traf ei- ner von der Geſellſchaft unverſehens auf den Ruͤcken mit einem Dſchirid, der mit großer Gewalt war geworfen worden. Mehemmed ſchaͤmte ſich, vielleicht machte ihn auch der Schmerz R

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/211>, abgerufen am 23.11.2024.