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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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6. Murad der II
3.

Als die traurige Zeitung von dieser Niederlage nach Europa kam:Murad versöh-
net Gott durch
Sejd Bechar,

so ließ Murad deswegen den Muth nicht im mindesten sinken. "Dieses Un-
"glück," sagte er, "ist mir weder durch die Tapferkeit dieser Betrieger,
"noch durch ein Versehen meines Weßirs zugestoßen (denn diesen habe ich
"durch öftere Erfahrung sowol für einen herzhaften Soldaten, als für einen
"vortrefflichen Feldherrn befunden): sondern durch einen gerechten, obzwar
"unbekannten, Zorn Gottes über sein Volk; und wenn wir verlangen, daß
"unsere Sachen glücklich gehen sollen: so muß dieser erst durch wahre Reue,
"eifriges Gebet und brünstige Threnen 4 versöhnet werden. Alsdann will ich
"mich wegen des Sieges, und daß wir uns an unsern Feinden rächen werden,
"fest versichert halten." Er schloß seine Rede mit diesem gemeinen türkischen
Sprichworte: Wirmeindsche Mäbud, ne ejlesün Mähmud? das ist, wenn der
Schöpfer es nicht haben will: was kann alsdann das Geschöpfe ausrichten 5?
Zur selbigen Zeit war Sejd Bechar wegen seiner Tugend und Heiligkeit unter
den Türken berühmt, und dieser konnte, nach der gemeinen Meinung der Os-
[Spaltenumbruch]

den: im Gegentheile sind dieses bey ihnen
unrechtmäßige Kriege, die man zur Erweite-
rung der Grenzen des Reichs, oder Vermeh-
rung der kaiserlichen Einkünfte, unternimmt.
Hieraus kann man sich nun leicht vorstellen,
daß es ihnen niemals an einem rechtmäßigen
Vorwande zum Kriege fehlen könne. Auf
diese Meinung wußte sich Kjüprili Mustä-
fa Pascha, oberster Weßir Sultan Sülej-
mans des II, Oheims des gegenwärtigen
Kaisers Ahmeds, sehr geschickt zu steifen.
Denn, als die türkischen Soldaten durch die
vorhergehenden unglücklichen Erfolge derge-
stalt kleinmüthig waren gemacht worden, daß
sie keine Dienste mehr thun wollten: so gab
derselbe in einer gehaltenen Rathsversamm-
lung seine Stimme auf folgende Weise.
"Die Siege der Deutschen und ihre eigenen
"Niederlagen kämen nicht von der Tapfer-
"keit des Feindes her: sondern von den
"Sünden der Müsülmanen. Man sollte
"daher das göldene und silberne Geschirre
"des Kaisers verkaufen, und die Soldaten
"mit dem daraus gelöseten Gelde besolden.
[Spaltenumbruch]
"Ferner sollte man eine Erklärung im Na-
"men des Kaisers öffentlich bekannt machen
"lassen, daß derselbe den Krieg gegen die
"Deutschen aus keiner andern Ursache ange-
"fangen habe, als bloß allein zur Fortpflan-
"zung des Glaubens: daher diejenigen, die
"den Geboten des Kurons gehorsam seyn
"wollten, ihm folgen müßten, nicht als wenn
"sie zu dienen gezwungen wären; sondern als
"Freywillige. Denn, wenn er gleich nicht
"mehr als zwölf tausend wahre Nachfolger
"des Kurons beysammen hätte: so wollte er
"sich doch unfehlbar versichert halten, in kur-
"zer Zeit alles dasjenige wieder zu erobern,
"was die Deutschen von dem Reiche abgeris-
"sen hätten." Er eroberte auch wirklich in
dem ersten Feldzuge die Städte Schehirkjöj,
Nissa, Samandria und Belgrad wieder: in
dem zweyten Feldzuge aber büßete er bey Sa-
lankemen beynahe das ganze Kriegesheer,
nebst seinem Leben und Ruhme, mit einander
ein.
5 das Geschöpfe ausrichten] Die Tür-

manen,
P
6. Murad der II
3.

Als die traurige Zeitung von dieſer Niederlage nach Europa kam:Murad verſoͤh-
net Gott durch
Sejd Bechar,

ſo ließ Murad deswegen den Muth nicht im mindeſten ſinken. “Dieſes Un-
“gluͤck,„ ſagte er, “iſt mir weder durch die Tapferkeit dieſer Betrieger,
“noch durch ein Verſehen meines Weßirs zugeſtoßen (denn dieſen habe ich
“durch oͤftere Erfahrung ſowol fuͤr einen herzhaften Soldaten, als fuͤr einen
“vortrefflichen Feldherrn befunden): ſondern durch einen gerechten, obzwar
“unbekannten, Zorn Gottes uͤber ſein Volk; und wenn wir verlangen, daß
“unſere Sachen gluͤcklich gehen ſollen: ſo muß dieſer erſt durch wahre Reue,
“eifriges Gebet und bruͤnſtige Threnen 4 verſoͤhnet werden. Alsdann will ich
“mich wegen des Sieges, und daß wir uns an unſern Feinden raͤchen werden,
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Sprichworte: Wirmeindſche Maͤbud, ne ejleſuͤn Maͤhmud? das iſt, wenn der
Schoͤpfer es nicht haben will: was kann alsdann das Geſchoͤpfe ausrichten 5?
Zur ſelbigen Zeit war Sejd Bechar wegen ſeiner Tugend und Heiligkeit unter
den Tuͤrken beruͤhmt, und dieſer konnte, nach der gemeinen Meinung der Os-
[Spaltenumbruch]

den: im Gegentheile ſind dieſes bey ihnen
unrechtmaͤßige Kriege, die man zur Erweite-
rung der Grenzen des Reichs, oder Vermeh-
rung der kaiſerlichen Einkuͤnfte, unternimmt.
Hieraus kann man ſich nun leicht vorſtellen,
daß es ihnen niemals an einem rechtmaͤßigen
Vorwande zum Kriege fehlen koͤnne. Auf
dieſe Meinung wußte ſich Kjuͤprili Muſtaͤ-
fa Paſcha, oberſter Weßir Sultan Suͤlej-
mans des II‚ Oheims des gegenwaͤrtigen
Kaiſers Ahmeds, ſehr geſchickt zu ſteifen.
Denn, als die tuͤrkiſchen Soldaten durch die
vorhergehenden ungluͤcklichen Erfolge derge-
ſtalt kleinmuͤthig waren gemacht worden, daß
ſie keine Dienſte mehr thun wollten: ſo gab
derſelbe in einer gehaltenen Rathsverſamm-
lung ſeine Stimme auf folgende Weiſe.
“Die Siege der Deutſchen und ihre eigenen
“Niederlagen kaͤmen nicht von der Tapfer-
“keit des Feindes her: ſondern von den
“Suͤnden der Muͤſuͤlmanen. Man ſollte
“daher das goͤldene und ſilberne Geſchirre
“des Kaiſers verkaufen, und die Soldaten
“mit dem daraus geloͤſeten Gelde beſolden.
[Spaltenumbruch]
“Ferner ſollte man eine Erklaͤrung im Na-
“men des Kaiſers oͤffentlich bekannt machen
“laſſen, daß derſelbe den Krieg gegen die
“Deutſchen aus keiner andern Urſache ange-
“fangen habe, als bloß allein zur Fortpflan-
“zung des Glaubens: daher diejenigen, die
“den Geboten des Kurons gehorſam ſeyn
“wollten, ihm folgen muͤßten, nicht als wenn
“ſie zu dienen gezwungen waͤren; ſondern als
“Freywillige. Denn, wenn er gleich nicht
“mehr als zwoͤlf tauſend wahre Nachfolger
“des Kurons beyſammen haͤtte: ſo wollte er
“ſich doch unfehlbar verſichert halten, in kur-
“zer Zeit alles dasjenige wieder zu erobern,
“was die Deutſchen von dem Reiche abgeriſ-
“ſen haͤtten.„ Er eroberte auch wirklich in
dem erſten Feldzuge die Staͤdte Schehirkjoͤj,
Niſſa, Samandria und Belgrad wieder: in
dem zweyten Feldzuge aber buͤßete er bey Sa-
lankemen beynahe das ganze Kriegesheer,
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ein.
5 das Geſchoͤpfe ausrichten] Die Tuͤr-

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[113/0195] 6. Murad der II 3. Als die traurige Zeitung von dieſer Niederlage nach Europa kam: ſo ließ Murad deswegen den Muth nicht im mindeſten ſinken. “Dieſes Un- “gluͤck,„ ſagte er, “iſt mir weder durch die Tapferkeit dieſer Betrieger, “noch durch ein Verſehen meines Weßirs zugeſtoßen (denn dieſen habe ich “durch oͤftere Erfahrung ſowol fuͤr einen herzhaften Soldaten, als fuͤr einen “vortrefflichen Feldherrn befunden): ſondern durch einen gerechten, obzwar “unbekannten, Zorn Gottes uͤber ſein Volk; und wenn wir verlangen, daß “unſere Sachen gluͤcklich gehen ſollen: ſo muß dieſer erſt durch wahre Reue, “eifriges Gebet und bruͤnſtige Threnen ⁴ verſoͤhnet werden. Alsdann will ich “mich wegen des Sieges, und daß wir uns an unſern Feinden raͤchen werden, “feſt verſichert halten.„ Er ſchloß ſeine Rede mit dieſem gemeinen tuͤrkiſchen Sprichworte: Wirmeindſche Maͤbud, ne ejleſuͤn Maͤhmud? das iſt, wenn der Schoͤpfer es nicht haben will: was kann alsdann das Geſchoͤpfe ausrichten ⁵ ? Zur ſelbigen Zeit war Sejd Bechar wegen ſeiner Tugend und Heiligkeit unter den Tuͤrken beruͤhmt, und dieſer konnte, nach der gemeinen Meinung der Os- manen, den: im Gegentheile ſind dieſes bey ihnen unrechtmaͤßige Kriege, die man zur Erweite- rung der Grenzen des Reichs, oder Vermeh- rung der kaiſerlichen Einkuͤnfte, unternimmt. Hieraus kann man ſich nun leicht vorſtellen, daß es ihnen niemals an einem rechtmaͤßigen Vorwande zum Kriege fehlen koͤnne. Auf dieſe Meinung wußte ſich Kjuͤprili Muſtaͤ- fa Paſcha, oberſter Weßir Sultan Suͤlej- mans des II‚ Oheims des gegenwaͤrtigen Kaiſers Ahmeds, ſehr geſchickt zu ſteifen. Denn, als die tuͤrkiſchen Soldaten durch die vorhergehenden ungluͤcklichen Erfolge derge- ſtalt kleinmuͤthig waren gemacht worden, daß ſie keine Dienſte mehr thun wollten: ſo gab derſelbe in einer gehaltenen Rathsverſamm- lung ſeine Stimme auf folgende Weiſe. “Die Siege der Deutſchen und ihre eigenen “Niederlagen kaͤmen nicht von der Tapfer- “keit des Feindes her: ſondern von den “Suͤnden der Muͤſuͤlmanen. Man ſollte “daher das goͤldene und ſilberne Geſchirre “des Kaiſers verkaufen, und die Soldaten “mit dem daraus geloͤſeten Gelde beſolden. “Ferner ſollte man eine Erklaͤrung im Na- “men des Kaiſers oͤffentlich bekannt machen “laſſen, daß derſelbe den Krieg gegen die “Deutſchen aus keiner andern Urſache ange- “fangen habe, als bloß allein zur Fortpflan- “zung des Glaubens: daher diejenigen, die “den Geboten des Kurons gehorſam ſeyn “wollten, ihm folgen muͤßten, nicht als wenn “ſie zu dienen gezwungen waͤren; ſondern als “Freywillige. Denn, wenn er gleich nicht “mehr als zwoͤlf tauſend wahre Nachfolger “des Kurons beyſammen haͤtte: ſo wollte er “ſich doch unfehlbar verſichert halten, in kur- “zer Zeit alles dasjenige wieder zu erobern, “was die Deutſchen von dem Reiche abgeriſ- “ſen haͤtten.„ Er eroberte auch wirklich in dem erſten Feldzuge die Staͤdte Schehirkjoͤj, Niſſa, Samandria und Belgrad wieder: in dem zweyten Feldzuge aber buͤßete er bey Sa- lankemen beynahe das ganze Kriegesheer, nebſt ſeinem Leben und Ruhme, mit einander ein. ⁵ das Geſchoͤpfe ausrichten] Die Tuͤr- ken Murad verſoͤh- net Gott durch Sejd Bechar, P

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/195>, abgerufen am 27.11.2024.