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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
und stille, und war nur bloß darauf bedacht, wie er seine Länder von den räu-
berischen Tatarn befreyen und seinen Unterthanen Friede und Ruhe verschaffen
möchte. Daher, als er hörete, daß sein ältester Bruder Sülejman, durch
Hülfe Ali Paschas, Bajeßids obersten Weßirs, aus der Schlacht entronnen
und zu Adrianopel zum Kaiser gemacht worden sey: so schickte er seine Gesand-
ten zu demselben, ihm dazu Glück zu wünschen und in seinem Namen alle Treue
und Gehorsam versprechen zu lassen. Als er aber nach der Zeit vernahm, daß
Musa Sülejman gefangen genommen und umgebracht habe: so fassete er den
Entschluß, einen Brudermord 2 durch den andern auszusöhnen. Er setzte
daher die Regeln des Friedens, die er bisher ausgeübet hatte, auf die Seite,
H. 813.


J. C. 1410.
und bemächtigte sich der Stadt Prusa, darinnen er im Jahre 813 von seinen
Leuten zum Kaiser erkläret wurde.

säubert seine
Länder von Räu-bern:
2.

Weil die Sachen dergestalt glücklich von statten gingen: so erachteten
es viele für rathsam, den Krieg in Europa zu führen: allein, der statskluge
Muhämmed war anderer Meinung. Denn, ungeachtet er durch den glückli-
chen Fortgang, den seine Unternehmungen bisher gehabt hatten, versichert wor-
den war, daß seine Unterthanen ihm geneigt seyen: so sahe er doch leicht vor-
aus, wenn er seinen Bruder Musa itzo angriffe; so würden nicht nur die räu-
berischen Tatarn, die noch nicht völlig vertrieben waren, daher frischen Muth
schöpfen, sondern es würde auch dieses den künftigen Krieg mit einem Feinde,
der gerüstet war ihn zu empfangen, schwerer machen. Im Gegentheile aber,
wenn er seine Absicht verbärge und sein Vorhaben bis auf eine bequemere Zeit
aufschöbe: so würde er sowol die asiatischen als europäischen Feinde desto leich-
ter überwinden können. Daher überfiel er noch in demselben Jahre, da er zu
dem Reiche gelanget war, den einzigen noch lebenden Anführer der temurlenkji-
[Spaltenumbruch]

2 Brudermord] Obzwar die Türken
zugeben, daß ihr Kaiser alle Tage vierzehen
seiner Unterthanen umbringen könne, und
zwar ungestrafet und ohne daß man ihn dieß-
fals einer Tyranney beschuldigen dürfe (denn,
sagen sie, er thut vieles aus göttlichem An-
triebe, davon uns nicht erlaubet ist die Ursa-
chen zu wissen): so haben doch dieselben den
Brudermord und Vatermord, unter welcher-
ley Vorwande sie auch möchten ausgeübet
werden, niemals gebilliget. Sie glauben
[Spaltenumbruch]
auch, daß in den ersten zwoen Denkzeiten des
osmanischen Reiches die Brüder und Anver-
wandten ihrer Kaiser niemals mit Recht von
ihnen seyen umgebracht worden, außer wann
es wegen Aufruhrs in ihren Sandschakschaf-
ten*, oder mit Beystimmung ihrer vornehm-
sten Bedienten geschehen sey. Allein, in der
dritten Denkzeit hat Sülejman, der wegen
der vergeblichen Belagerung von Wien zu
merken ist, diese Sandschakschaften abge-
schaffet, und in einem Gesetze verordnet, daß

schen
* Statthalterschaften.

Osmaniſche Geſchichte
und ſtille, und war nur bloß darauf bedacht, wie er ſeine Laͤnder von den raͤu-
beriſchen Tatarn befreyen und ſeinen Unterthanen Friede und Ruhe verſchaffen
moͤchte. Daher, als er hoͤrete, daß ſein aͤlteſter Bruder Suͤlejman, durch
Huͤlfe Ali Paſchas, Bajeßids oberſten Weßirs, aus der Schlacht entronnen
und zu Adrianopel zum Kaiſer gemacht worden ſey: ſo ſchickte er ſeine Geſand-
ten zu demſelben, ihm dazu Gluͤck zu wuͤnſchen und in ſeinem Namen alle Treue
und Gehorſam verſprechen zu laſſen. Als er aber nach der Zeit vernahm, daß
Muſa Suͤlejman gefangen genommen und umgebracht habe: ſo faſſete er den
Entſchluß, einen Brudermord 2 durch den andern auszuſoͤhnen. Er ſetzte
daher die Regeln des Friedens, die er bisher ausgeuͤbet hatte, auf die Seite,
H. 813.


J. C. 1410.
und bemaͤchtigte ſich der Stadt Pruſa, darinnen er im Jahre 813 von ſeinen
Leuten zum Kaiſer erklaͤret wurde.

ſaͤubert ſeine
Laͤnder von Raͤu-bern:
2.

Weil die Sachen dergeſtalt gluͤcklich von ſtatten gingen: ſo erachteten
es viele fuͤr rathſam, den Krieg in Europa zu fuͤhren: allein, der ſtatskluge
Muhaͤmmed war anderer Meinung. Denn, ungeachtet er durch den gluͤckli-
chen Fortgang, den ſeine Unternehmungen bisher gehabt hatten, verſichert wor-
den war, daß ſeine Unterthanen ihm geneigt ſeyen: ſo ſahe er doch leicht vor-
aus, wenn er ſeinen Bruder Muſa itzo angriffe; ſo wuͤrden nicht nur die raͤu-
beriſchen Tatarn, die noch nicht voͤllig vertrieben waren, daher friſchen Muth
ſchoͤpfen, ſondern es wuͤrde auch dieſes den kuͤnftigen Krieg mit einem Feinde,
der geruͤſtet war ihn zu empfangen, ſchwerer machen. Im Gegentheile aber,
wenn er ſeine Abſicht verbaͤrge und ſein Vorhaben bis auf eine bequemere Zeit
aufſchoͤbe: ſo wuͤrde er ſowol die aſiatiſchen als europaͤiſchen Feinde deſto leich-
ter uͤberwinden koͤnnen. Daher uͤberfiel er noch in demſelben Jahre, da er zu
dem Reiche gelanget war, den einzigen noch lebenden Anfuͤhrer der temurlenkji-
[Spaltenumbruch]

2 Brudermord] Obzwar die Tuͤrken
zugeben, daß ihr Kaiſer alle Tage vierzehen
ſeiner Unterthanen umbringen koͤnne, und
zwar ungeſtrafet und ohne daß man ihn dieß-
fals einer Tyranney beſchuldigen duͤrfe (denn,
ſagen ſie, er thut vieles aus goͤttlichem An-
triebe, davon uns nicht erlaubet iſt die Urſa-
chen zu wiſſen): ſo haben doch dieſelben den
Brudermord und Vatermord, unter welcher-
ley Vorwande ſie auch moͤchten ausgeuͤbet
werden, niemals gebilliget. Sie glauben
[Spaltenumbruch]
auch, daß in den erſten zwoen Denkzeiten des
osmaniſchen Reiches die Bruͤder und Anver-
wandten ihrer Kaiſer niemals mit Recht von
ihnen ſeyen umgebracht worden, außer wann
es wegen Aufruhrs in ihren Sandſchakſchaf-
ten*, oder mit Beyſtimmung ihrer vornehm-
ſten Bedienten geſchehen ſey. Allein, in der
dritten Denkzeit hat Suͤlejman, der wegen
der vergeblichen Belagerung von Wien zu
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ſchen
* Statthalterſchaften.
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[100/0180] Osmaniſche Geſchichte und ſtille, und war nur bloß darauf bedacht, wie er ſeine Laͤnder von den raͤu- beriſchen Tatarn befreyen und ſeinen Unterthanen Friede und Ruhe verſchaffen moͤchte. Daher, als er hoͤrete, daß ſein aͤlteſter Bruder Suͤlejman, durch Huͤlfe Ali Paſchas, Bajeßids oberſten Weßirs, aus der Schlacht entronnen und zu Adrianopel zum Kaiſer gemacht worden ſey: ſo ſchickte er ſeine Geſand- ten zu demſelben, ihm dazu Gluͤck zu wuͤnſchen und in ſeinem Namen alle Treue und Gehorſam verſprechen zu laſſen. Als er aber nach der Zeit vernahm, daß Muſa Suͤlejman gefangen genommen und umgebracht habe: ſo faſſete er den Entſchluß, einen Brudermord ² durch den andern auszuſoͤhnen. Er ſetzte daher die Regeln des Friedens, die er bisher ausgeuͤbet hatte, auf die Seite, und bemaͤchtigte ſich der Stadt Pruſa, darinnen er im Jahre 813 von ſeinen Leuten zum Kaiſer erklaͤret wurde. H. 813. J. C. 1410. 2. Weil die Sachen dergeſtalt gluͤcklich von ſtatten gingen: ſo erachteten es viele fuͤr rathſam, den Krieg in Europa zu fuͤhren: allein, der ſtatskluge Muhaͤmmed war anderer Meinung. Denn, ungeachtet er durch den gluͤckli- chen Fortgang, den ſeine Unternehmungen bisher gehabt hatten, verſichert wor- den war, daß ſeine Unterthanen ihm geneigt ſeyen: ſo ſahe er doch leicht vor- aus, wenn er ſeinen Bruder Muſa itzo angriffe; ſo wuͤrden nicht nur die raͤu- beriſchen Tatarn, die noch nicht voͤllig vertrieben waren, daher friſchen Muth ſchoͤpfen, ſondern es wuͤrde auch dieſes den kuͤnftigen Krieg mit einem Feinde, der geruͤſtet war ihn zu empfangen, ſchwerer machen. Im Gegentheile aber, wenn er ſeine Abſicht verbaͤrge und ſein Vorhaben bis auf eine bequemere Zeit aufſchoͤbe: ſo wuͤrde er ſowol die aſiatiſchen als europaͤiſchen Feinde deſto leich- ter uͤberwinden koͤnnen. Daher uͤberfiel er noch in demſelben Jahre, da er zu dem Reiche gelanget war, den einzigen noch lebenden Anfuͤhrer der temurlenkji- ſchen ² Brudermord] Obzwar die Tuͤrken zugeben, daß ihr Kaiſer alle Tage vierzehen ſeiner Unterthanen umbringen koͤnne, und zwar ungeſtrafet und ohne daß man ihn dieß- fals einer Tyranney beſchuldigen duͤrfe (denn, ſagen ſie, er thut vieles aus goͤttlichem An- triebe, davon uns nicht erlaubet iſt die Urſa- chen zu wiſſen): ſo haben doch dieſelben den Brudermord und Vatermord, unter welcher- ley Vorwande ſie auch moͤchten ausgeuͤbet werden, niemals gebilliget. Sie glauben auch, daß in den erſten zwoen Denkzeiten des osmaniſchen Reiches die Bruͤder und Anver- wandten ihrer Kaiſer niemals mit Recht von ihnen ſeyen umgebracht worden, außer wann es wegen Aufruhrs in ihren Sandſchakſchaf- ten *, oder mit Beyſtimmung ihrer vornehm- ſten Bedienten geſchehen ſey. Allein, in der dritten Denkzeit hat Suͤlejman, der wegen der vergeblichen Belagerung von Wien zu merken iſt, dieſe Sandſchakſchaften abge- ſchaffet, und in einem Geſetze verordnet, daß die * Statthalterſchaften.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/180>, abgerufen am 27.11.2024.