Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Murad der I
3.

Im folgenden Jahre darauf legte Murad eine besondere Probe seinerBauet einen
Dschami.

Gottseligkeit ab. Bisher war der Sultan niemals gewohnt gewesen, das all-
gemeine Gebet, Nemaß 6 genennet, mit dem übrigen Volke zu thun. DerH. 762.



J. C. 1361.
Müfti 7 Menla Fenari, der zu der Zeit das Amt eines Richters unter den Tür-
ken verwaltete, konnte diese Gewohnheit nicht leiden, und ergriff die Gelegen-
heit, als Murad einsmals vor ihm erschien und sein Zeugniß in einer gewissen
[Spaltenumbruch]
wird er um seine Meinung gefraget, indem
man ihm eine Schrift überreichet, darinnen
die Beschaffenheit der Sache unter erdichteten
Namen vorgestellet ist. Diese ist auf folgende
Weise abgefasset. "Ssahid*, wenn es durch
"tüchtige Zeugnisse erwiesen werden kann,
"daß Titus dem Willen des Sultans zuwi-
"der gehandelt, und demselben nicht, wie
"er gesollt, Folge geleistet, noch dessen Be-
"fehlen sich in Gehorsam unterworfen hat:
"soll derselbe gestrafet werden, oder nicht?"
Nachdem der Müfti diese Zeilen gelesen hat:
so schreibet er nach den Umständen der Sache
darunter, olur (er soll), oder aber olmaß
(er soll nicht). In dem Falle aber, da der
Müfti die Strafe bestimmen soll, wird ihm
eine Schrift folgendes Inhalts übergeben.
"Wenn iemand weis, daß sein Pferd die
"Hufeisen verloren hat; er hat auch Gele-
"genheit, ihm neue aufschlagen zu lassen;
"dessen ungeachtet treibet er dasselbe, ohne
"mit seinem Thiere Mitleiden zu haben,
"durch rauhe und steinichte Wege bis auf
"den Abend: was für eine Strafe soll einem
"solchen unbarmherzigen Herrn angethan
"werden?" Hierunter würde der Müfti
schreiben: Man soll ihm Stockschläge geben.
Denn dieses ist die Strafe, die in ihrem Ge-
setze auf dergleichen Verbrechen geleget ist.
(Nämlich, die Türken glauben, daß Gott an
dem letzten Gerichtstage die Menschen nicht
nur gegen andere Menschen, sondern auch
gegen die Thiere, imgleichen ein Thier gegen
[Spaltenumbruch]
das andere, richten werde. Nach gesproche-
nem Urtheile werden zwar alle die Thiere wie-
der sterben und in ihren vorigen Staub zurück
kehren: allein, die Unglaubigen werde Gott
ewig strafen, und die Müsülmanen, wenn
sie sich in guten Werken eifrig bewiesen ha-
ben, mit ewiger Glückseligkeit belohnen.
Wenn sie aber sich mit Sünden beflecket ha-
ben: so wird sie Gott nach Verschulden in
dem Aeraf oder Fegefeuer eine Zeitlang stra-
fen, hernach aber dieselben in den Stand der
Seligkeit aufnehmen). Auf gleiche Weise
sind die Türken nach ihrem Gesetze verbunden,
in allen Fällen, sie mögen geistlich oder welt-
lich seyn, und sonderlich in Sachen, die den
Krieg oder Frieden betreffen, den Müfti um
Rath zu fragen. [Die äußerliche Ehrenbe-
zeigung, die dem Müfti widerfähret, ist so
groß, daß der Sultan selbst von seinem Sitze
aufstehet und dem Müfti sieben Schritte ent-
gegen gehet, wann derselbe zu ihm kommt:
und dieser hat allein die Ehre, des Sultans
linke Achsel zu küssen; da der oberste Weßir
mit einer weit tieferen Ehrerbietung nur bloß
den Saum an seinem Rocke küssen darf, und
nicht mehr als drey Schritte Entgegenkunft
von ihm bekommt. Ricaut saget, der große
Herr gebe dem Müfti folgenden Titel. "An
"Eß-Ssahid, der du der Weiseste unter den
"Weisen bist und alle Erkenntniß besitzest;
"dem Vortrefflichsten unter den Vortreffli-
"chen, der sich von allen verbotenen Dingen
"enthält; der Quelle der Tugend und wah-

Sache
* Dieses Wort bedeutet einen Geistlichen, der die Enthaltung beobachtet, oder einen Mönchen.
G 2
3. Murad der I
3.

Im folgenden Jahre darauf legte Murad eine beſondere Probe ſeinerBauet einen
Dſchami.

Gottſeligkeit ab. Bisher war der Sultan niemals gewohnt geweſen, das all-
gemeine Gebet, Nemaß 6 genennet, mit dem uͤbrigen Volke zu thun. DerH. 762.



J. C. 1361.
Muͤfti 7 Menla Fenari, der zu der Zeit das Amt eines Richters unter den Tuͤr-
ken verwaltete, konnte dieſe Gewohnheit nicht leiden, und ergriff die Gelegen-
heit, als Murad einsmals vor ihm erſchien und ſein Zeugniß in einer gewiſſen
[Spaltenumbruch]
wird er um ſeine Meinung gefraget, indem
man ihm eine Schrift uͤberreichet, darinnen
die Beſchaffenheit der Sache unter erdichteten
Namen vorgeſtellet iſt. Dieſe iſt auf folgende
Weiſe abgefaſſet. “Sſahid*, wenn es durch
“tuͤchtige Zeugniſſe erwieſen werden kann,
“daß Titus dem Willen des Sultans zuwi-
“der gehandelt, und demſelben nicht, wie
“er geſollt, Folge geleiſtet, noch deſſen Be-
“fehlen ſich in Gehorſam unterworfen hat:
“ſoll derſelbe geſtrafet werden, oder nicht?„
Nachdem der Muͤfti dieſe Zeilen geleſen hat:
ſo ſchreibet er nach den Umſtaͤnden der Sache
darunter, olur (er ſoll), oder aber olmaß
(er ſoll nicht). In dem Falle aber, da der
Muͤfti die Strafe beſtimmen ſoll, wird ihm
eine Schrift folgendes Inhalts uͤbergeben.
“Wenn iemand weis, daß ſein Pferd die
“Hufeiſen verloren hat; er hat auch Gele-
“genheit, ihm neue aufſchlagen zu laſſen;
“deſſen ungeachtet treibet er daſſelbe, ohne
“mit ſeinem Thiere Mitleiden zu haben,
“durch rauhe und ſteinichte Wege bis auf
“den Abend: was fuͤr eine Strafe ſoll einem
“ſolchen unbarmherzigen Herrn angethan
“werden?„ Hierunter wuͤrde der Muͤfti
ſchreiben: Man ſoll ihm Stockſchlaͤge geben.
Denn dieſes iſt die Strafe, die in ihrem Ge-
ſetze auf dergleichen Verbrechen geleget iſt.
(Naͤmlich, die Tuͤrken glauben, daß Gott an
dem letzten Gerichtstage die Menſchen nicht
nur gegen andere Menſchen, ſondern auch
gegen die Thiere, imgleichen ein Thier gegen
[Spaltenumbruch]
das andere, richten werde. Nach geſproche-
nem Urtheile werden zwar alle die Thiere wie-
der ſterben und in ihren vorigen Staub zuruͤck
kehren: allein, die Unglaubigen werde Gott
ewig ſtrafen, und die Muͤſuͤlmanen, wenn
ſie ſich in guten Werken eifrig bewieſen ha-
ben, mit ewiger Gluͤckſeligkeit belohnen.
Wenn ſie aber ſich mit Suͤnden beflecket ha-
ben: ſo wird ſie Gott nach Verſchulden in
dem Aeraf oder Fegefeuer eine Zeitlang ſtra-
fen, hernach aber dieſelben in den Stand der
Seligkeit aufnehmen). Auf gleiche Weiſe
ſind die Tuͤrken nach ihrem Geſetze verbunden,
in allen Faͤllen, ſie moͤgen geiſtlich oder welt-
lich ſeyn, und ſonderlich in Sachen, die den
Krieg oder Frieden betreffen, den Muͤfti um
Rath zu fragen. [Die aͤußerliche Ehrenbe-
zeigung, die dem Muͤfti widerfaͤhret, iſt ſo
groß, daß der Sultan ſelbſt von ſeinem Sitze
aufſtehet und dem Muͤfti ſieben Schritte ent-
gegen gehet, wann derſelbe zu ihm kommt:
und dieſer hat allein die Ehre, des Sultans
linke Achſel zu kuͤſſen; da der oberſte Weßir
mit einer weit tieferen Ehrerbietung nur bloß
den Saum an ſeinem Rocke kuͤſſen darf, und
nicht mehr als drey Schritte Entgegenkunft
von ihm bekommt. Ricaut ſaget, der große
Herr gebe dem Muͤfti folgenden Titel. “An
“Eß-Sſahid, der du der Weiſeſte unter den
“Weiſen biſt und alle Erkenntniß beſitzeſt;
“dem Vortrefflichſten unter den Vortreffli-
“chen, der ſich von allen verbotenen Dingen
“enthaͤlt; der Quelle der Tugend und wah-

Sache
* Dieſes Wort bedeutet einen Geiſtlichen, der die Enthaltung beobachtet, oder einen Moͤnchen.
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0127" n="51"/>
          <fw place="top" type="header">3. Murad der <hi rendition="#aq">I</hi></fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>3.</head>
            <p>Im folgenden Jahre darauf legte Murad eine be&#x017F;ondere Probe &#x017F;einer<note place="right">Bauet einen<lb/>
D&#x017F;chami.</note><lb/>
Gott&#x017F;eligkeit ab. Bisher war der Sultan niemals gewohnt gewe&#x017F;en, das all-<lb/>
gemeine Gebet, Nemaß <note place="end" n="6"/> genennet, mit dem u&#x0364;brigen Volke zu thun. Der<note place="right">H. 762.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
J. C. 1361.</note><lb/>
Mu&#x0364;fti <note place="end" n="7"/> Menla Fenari, der zu der Zeit das Amt eines Richters unter den Tu&#x0364;r-<lb/>
ken verwaltete, konnte die&#x017F;e Gewohnheit nicht leiden, und ergriff die Gelegen-<lb/>
heit, als Murad einsmals vor ihm er&#x017F;chien und &#x017F;ein Zeugniß in einer gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sache</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note xml:id="J127" prev="#J126" place="end" next="#J128">wird er um &#x017F;eine Meinung gefraget, indem<lb/>
man ihm eine Schrift u&#x0364;berreichet, darinnen<lb/>
die Be&#x017F;chaffenheit der Sache unter erdichteten<lb/>
Namen vorge&#x017F;tellet i&#x017F;t. Die&#x017F;e i&#x017F;t auf folgende<lb/>
Wei&#x017F;e abgefa&#x017F;&#x017F;et. &#x201C;S&#x017F;ahid<note place="foot" n="*">Die&#x017F;es Wort bedeutet einen Gei&#x017F;tlichen, der die Enthaltung beobachtet, oder einen Mo&#x0364;nchen.</note>, wenn es durch<lb/>
&#x201C;tu&#x0364;chtige Zeugni&#x017F;&#x017F;e erwie&#x017F;en werden kann,<lb/>
&#x201C;daß Titus dem Willen des Sultans zuwi-<lb/>
&#x201C;der gehandelt, und dem&#x017F;elben nicht, wie<lb/>
&#x201C;er ge&#x017F;ollt, Folge gelei&#x017F;tet, noch de&#x017F;&#x017F;en Be-<lb/>
&#x201C;fehlen &#x017F;ich in Gehor&#x017F;am unterworfen hat:<lb/>
&#x201C;&#x017F;oll der&#x017F;elbe ge&#x017F;trafet werden, oder nicht?&#x201E;<lb/>
Nachdem der Mu&#x0364;fti die&#x017F;e Zeilen gele&#x017F;en hat:<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chreibet er nach den Um&#x017F;ta&#x0364;nden der Sache<lb/>
darunter, olur (er &#x017F;oll), oder aber olmaß<lb/>
(er &#x017F;oll nicht). In dem Falle aber, da der<lb/>
Mu&#x0364;fti die Strafe be&#x017F;timmen &#x017F;oll, wird ihm<lb/>
eine Schrift folgendes Inhalts u&#x0364;bergeben.<lb/>
&#x201C;Wenn iemand weis, daß &#x017F;ein Pferd die<lb/>
&#x201C;Hufei&#x017F;en verloren hat; er hat auch Gele-<lb/>
&#x201C;genheit, ihm neue auf&#x017F;chlagen zu la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
&#x201C;de&#x017F;&#x017F;en ungeachtet treibet er da&#x017F;&#x017F;elbe, ohne<lb/>
&#x201C;mit &#x017F;einem Thiere Mitleiden zu haben,<lb/>
&#x201C;durch rauhe und &#x017F;teinichte Wege bis auf<lb/>
&#x201C;den Abend: was fu&#x0364;r eine Strafe &#x017F;oll einem<lb/>
&#x201C;&#x017F;olchen unbarmherzigen Herrn angethan<lb/>
&#x201C;werden?&#x201E; Hierunter wu&#x0364;rde der Mu&#x0364;fti<lb/>
&#x017F;chreiben: Man &#x017F;oll ihm Stock&#x017F;chla&#x0364;ge geben.<lb/>
Denn die&#x017F;es i&#x017F;t die Strafe, die in ihrem Ge-<lb/>
&#x017F;etze auf dergleichen Verbrechen geleget i&#x017F;t.<lb/>
(Na&#x0364;mlich, die Tu&#x0364;rken glauben, daß Gott an<lb/>
dem letzten Gerichtstage die Men&#x017F;chen nicht<lb/>
nur gegen andere Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern auch<lb/>
gegen die Thiere, imgleichen ein Thier gegen<lb/><cb n="2"/><lb/>
das andere, richten werde. Nach ge&#x017F;proche-<lb/>
nem Urtheile werden zwar alle die Thiere wie-<lb/>
der &#x017F;terben und in ihren vorigen Staub zuru&#x0364;ck<lb/>
kehren: allein, die Unglaubigen werde Gott<lb/>
ewig &#x017F;trafen, und die Mu&#x0364;&#x017F;u&#x0364;lmanen, wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich in guten Werken eifrig bewie&#x017F;en ha-<lb/>
ben, mit ewiger Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit belohnen.<lb/>
Wenn &#x017F;ie aber &#x017F;ich mit Su&#x0364;nden beflecket ha-<lb/>
ben: &#x017F;o wird &#x017F;ie Gott nach Ver&#x017F;chulden in<lb/>
dem Aeraf oder Fegefeuer eine Zeitlang &#x017F;tra-<lb/>
fen, hernach aber die&#x017F;elben in den Stand der<lb/>
Seligkeit aufnehmen). Auf gleiche Wei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ind die Tu&#x0364;rken nach ihrem Ge&#x017F;etze verbunden,<lb/>
in allen Fa&#x0364;llen, &#x017F;ie mo&#x0364;gen gei&#x017F;tlich oder welt-<lb/>
lich &#x017F;eyn, und &#x017F;onderlich in Sachen, die den<lb/>
Krieg oder Frieden betreffen, den Mu&#x0364;fti um<lb/>
Rath zu fragen. [Die a&#x0364;ußerliche Ehrenbe-<lb/>
zeigung, die dem Mu&#x0364;fti widerfa&#x0364;hret, i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
groß, daß der Sultan &#x017F;elb&#x017F;t von &#x017F;einem Sitze<lb/>
auf&#x017F;tehet und dem Mu&#x0364;fti &#x017F;ieben Schritte ent-<lb/>
gegen gehet, wann der&#x017F;elbe zu ihm kommt:<lb/>
und die&#x017F;er hat allein die Ehre, des Sultans<lb/>
linke Ach&#x017F;el zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; da der ober&#x017F;te Weßir<lb/>
mit einer weit tieferen Ehrerbietung nur bloß<lb/>
den Saum an &#x017F;einem Rocke ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en darf, und<lb/>
nicht mehr als drey Schritte Entgegenkunft<lb/>
von ihm bekommt. Ricaut &#x017F;aget, der große<lb/>
Herr gebe dem Mu&#x0364;fti folgenden Titel. &#x201C;An<lb/>
&#x201C;Eß-S&#x017F;ahid, der du der Wei&#x017F;e&#x017F;te unter den<lb/>
&#x201C;Wei&#x017F;en bi&#x017F;t und alle Erkenntniß be&#x017F;itze&#x017F;t;<lb/>
&#x201C;dem Vortrefflich&#x017F;ten unter den Vortreffli-<lb/>
&#x201C;chen, der &#x017F;ich von allen verbotenen Dingen<lb/>
&#x201C;entha&#x0364;lt; der Quelle der Tugend und wah-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201C;rer</fw></note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0127] 3. Murad der I 3. Im folgenden Jahre darauf legte Murad eine beſondere Probe ſeiner Gottſeligkeit ab. Bisher war der Sultan niemals gewohnt geweſen, das all- gemeine Gebet, Nemaß ⁶ genennet, mit dem uͤbrigen Volke zu thun. Der Muͤfti ⁷ Menla Fenari, der zu der Zeit das Amt eines Richters unter den Tuͤr- ken verwaltete, konnte dieſe Gewohnheit nicht leiden, und ergriff die Gelegen- heit, als Murad einsmals vor ihm erſchien und ſein Zeugniß in einer gewiſſen Sache wird er um ſeine Meinung gefraget, indem man ihm eine Schrift uͤberreichet, darinnen die Beſchaffenheit der Sache unter erdichteten Namen vorgeſtellet iſt. Dieſe iſt auf folgende Weiſe abgefaſſet. “Sſahid *, wenn es durch “tuͤchtige Zeugniſſe erwieſen werden kann, “daß Titus dem Willen des Sultans zuwi- “der gehandelt, und demſelben nicht, wie “er geſollt, Folge geleiſtet, noch deſſen Be- “fehlen ſich in Gehorſam unterworfen hat: “ſoll derſelbe geſtrafet werden, oder nicht?„ Nachdem der Muͤfti dieſe Zeilen geleſen hat: ſo ſchreibet er nach den Umſtaͤnden der Sache darunter, olur (er ſoll), oder aber olmaß (er ſoll nicht). In dem Falle aber, da der Muͤfti die Strafe beſtimmen ſoll, wird ihm eine Schrift folgendes Inhalts uͤbergeben. “Wenn iemand weis, daß ſein Pferd die “Hufeiſen verloren hat; er hat auch Gele- “genheit, ihm neue aufſchlagen zu laſſen; “deſſen ungeachtet treibet er daſſelbe, ohne “mit ſeinem Thiere Mitleiden zu haben, “durch rauhe und ſteinichte Wege bis auf “den Abend: was fuͤr eine Strafe ſoll einem “ſolchen unbarmherzigen Herrn angethan “werden?„ Hierunter wuͤrde der Muͤfti ſchreiben: Man ſoll ihm Stockſchlaͤge geben. Denn dieſes iſt die Strafe, die in ihrem Ge- ſetze auf dergleichen Verbrechen geleget iſt. (Naͤmlich, die Tuͤrken glauben, daß Gott an dem letzten Gerichtstage die Menſchen nicht nur gegen andere Menſchen, ſondern auch gegen die Thiere, imgleichen ein Thier gegen das andere, richten werde. Nach geſproche- nem Urtheile werden zwar alle die Thiere wie- der ſterben und in ihren vorigen Staub zuruͤck kehren: allein, die Unglaubigen werde Gott ewig ſtrafen, und die Muͤſuͤlmanen, wenn ſie ſich in guten Werken eifrig bewieſen ha- ben, mit ewiger Gluͤckſeligkeit belohnen. Wenn ſie aber ſich mit Suͤnden beflecket ha- ben: ſo wird ſie Gott nach Verſchulden in dem Aeraf oder Fegefeuer eine Zeitlang ſtra- fen, hernach aber dieſelben in den Stand der Seligkeit aufnehmen). Auf gleiche Weiſe ſind die Tuͤrken nach ihrem Geſetze verbunden, in allen Faͤllen, ſie moͤgen geiſtlich oder welt- lich ſeyn, und ſonderlich in Sachen, die den Krieg oder Frieden betreffen, den Muͤfti um Rath zu fragen. [Die aͤußerliche Ehrenbe- zeigung, die dem Muͤfti widerfaͤhret, iſt ſo groß, daß der Sultan ſelbſt von ſeinem Sitze aufſtehet und dem Muͤfti ſieben Schritte ent- gegen gehet, wann derſelbe zu ihm kommt: und dieſer hat allein die Ehre, des Sultans linke Achſel zu kuͤſſen; da der oberſte Weßir mit einer weit tieferen Ehrerbietung nur bloß den Saum an ſeinem Rocke kuͤſſen darf, und nicht mehr als drey Schritte Entgegenkunft von ihm bekommt. Ricaut ſaget, der große Herr gebe dem Muͤfti folgenden Titel. “An “Eß-Sſahid, der du der Weiſeſte unter den “Weiſen biſt und alle Erkenntniß beſitzeſt; “dem Vortrefflichſten unter den Vortreffli- “chen, der ſich von allen verbotenen Dingen “enthaͤlt; der Quelle der Tugend und wah- “rer Bauet einen Dſchami. H. 762. J. C. 1361. * Dieſes Wort bedeutet einen Geiſtlichen, der die Enthaltung beobachtet, oder einen Moͤnchen. G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/127
Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/127>, abgerufen am 25.11.2024.