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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
noch weiter, daß er beständig die Gewohnheit gehabt habe, mit Gelehrten um-
zugehen, und keine Sache von Wichtigkeit unternehmen wollen, ohne sie vorher
um Rath zu fragen; imgleichen, daß er der erste unter ihren Kaisern gewesen
sey, der Mestschide, Dschami 9, Medrese 10 oder Schulen, und Imaret 11 oder
Spitäler gestiftet habe. Er hatte ein rothes Angesicht, blaue Augen, gelblichte
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ich, daß diejenigen irren, die ihm nicht mehr
als zwey und zwanzig Jahre Regierung bey-
legen. Die Geschichtschreiber sind auch we-
gen der Art seines Todes unter sich uneinig:
einige sagen, er sey bey der Belagerung von
Prusa mit einem Pfeile erschossen worden;
andere aber, er sey in einer Schlacht mit den
Tatarn umgekommen. Allein, ohne füritzo
darauf zu bestehen, daß die türkischen Ge-
schichtschreiber in ihren einheimischen Sachen
den meisten Glauben verdienen: so kommen
sie alle darinnen überein, daß Prusa im ersten
Jahre der Regierung Orchans sey erobert
worden; folglich würde es lächerlich seyn,
wenn man seinen Tod da suchen wollte, wo
er angefangen hat zu regieren. Uebrigens
erwähnet kein Geschichtschreiber das Mindeste
von seinem Kriege mit den Scythen oder Ta-
tarn: daher halte ich dafür, daß diese Mei-
nung keinen bessern Grund habe, als die
vorige.
9 Dschami] Dieses ist ein türkischer
Tempel, der den Vorzug hat, daß die Frey-
tagsandachten, Dschümä Nemaßi (die all-
gemeinen Gebetsversammlungen) genennet,
darinnen verrichtet werden, welches in den
geringern Mestschiden nicht geschehen darf.
Wenn ein Dschami von einem Sultan ist er-
bauet worden: so heißet er Selatin, ein kai-
serlicher (Tempel).
10 Medrese] Dieses sind Akademien
[Spaltenumbruch]
oder größere Schulen, und ordentlicher Weise,
wo nicht selbst im Hofe des Dschami, doch
allezeit ganz nahe an demselben angeleget.
Die niedrigen Schulen, da die Kinder in den
ersten Anfangsgründen der Gelehrtheit un-
terrichtet werden, heißen insgemein Mekjteb.
Die Personen, die diesen Akademien vorge-
setzet sind, werden Müderris, das ist, Schul-
meister, genennet: sie haben eine jährliche
Besoldung, so groß als es die Einkünfte des
Dschami, dazu sie gehören, mit sich bringen.
Daher kommt es, daß einige drey hundert*,
andere aber nicht mehr als siebenzig2* Asper
des Tages haben. Aus diesen Schulen wer-
den die Richter in den Hauptstädten und grö-
ßern Städten, Mewla3* genennet, genom-
men: denn die in den geringern Städten
heißen Kaßi, und sind von einem ganz an-
dern Orden; können auch nicht zu höhern
Stufen gelangen, eben wie die weltlichen und
Kirchspielspriester. Von den Mewla ist die
nächste Stufe zu einem Kaßijüläskjer4*, das
ist, einem Richter des Kriegesheeres. Dieser
sind nicht mehr als zween: einer für Europa,
welcher der vornehmste ist, und einer für
Asien. Endlich die höchste geistliche Würde
ist das Amt des Müfti, das einen Ausleger
des Gesetzes bedeutet. Man kann diese ver-
schiedenen türkischen Orden mit den Orden
der Christen vergleichen: den Müfti mit dem
Pabste; den Kaßijüläskjer mit einem Patri-
archen; den Mewla mit einem Erzbischofe
oder Metropoliten; den Kaßi mit einem Bi-

Hare,
* das ist, 2 Thaler, 7 Groschen, 4 Pf. sächsisch.
2* oder 12 Gr. 11 Pf.
3* Mola.
4* Kadiläskjer.

Osmaniſche Geſchichte
noch weiter, daß er beſtaͤndig die Gewohnheit gehabt habe, mit Gelehrten um-
zugehen, und keine Sache von Wichtigkeit unternehmen wollen, ohne ſie vorher
um Rath zu fragen; imgleichen, daß er der erſte unter ihren Kaiſern geweſen
ſey, der Mestſchide, Dſchami 9, Medreſe 10 oder Schulen, und Imaret 11 oder
Spitaͤler geſtiftet habe. Er hatte ein rothes Angeſicht, blaue Augen, gelblichte
[Spaltenumbruch]
ich, daß diejenigen irren, die ihm nicht mehr
als zwey und zwanzig Jahre Regierung bey-
legen. Die Geſchichtſchreiber ſind auch we-
gen der Art ſeines Todes unter ſich uneinig:
einige ſagen, er ſey bey der Belagerung von
Pruſa mit einem Pfeile erſchoſſen worden;
andere aber, er ſey in einer Schlacht mit den
Tatarn umgekommen. Allein, ohne fuͤritzo
darauf zu beſtehen, daß die tuͤrkiſchen Ge-
ſchichtſchreiber in ihren einheimiſchen Sachen
den meiſten Glauben verdienen: ſo kommen
ſie alle darinnen uͤberein, daß Pruſa im erſten
Jahre der Regierung Orchans ſey erobert
worden; folglich wuͤrde es laͤcherlich ſeyn,
wenn man ſeinen Tod da ſuchen wollte, wo
er angefangen hat zu regieren. Uebrigens
erwaͤhnet kein Geſchichtſchreiber das Mindeſte
von ſeinem Kriege mit den Scythen oder Ta-
tarn: daher halte ich dafuͤr, daß dieſe Mei-
nung keinen beſſern Grund habe, als die
vorige.
9 Dſchami] Dieſes iſt ein tuͤrkiſcher
Tempel, der den Vorzug hat, daß die Frey-
tagsandachten, Dſchuͤmaͤ Nemaßi (die all-
gemeinen Gebetsverſammlungen) genennet,
darinnen verrichtet werden, welches in den
geringern Mestſchiden nicht geſchehen darf.
Wenn ein Dſchami von einem Sultan iſt er-
bauet worden: ſo heißet er Selatin, ein kai-
ſerlicher (Tempel).
10 Medreſe] Dieſes ſind Akademien
[Spaltenumbruch]
oder groͤßere Schulen, und ordentlicher Weiſe,
wo nicht ſelbſt im Hofe des Dſchami, doch
allezeit ganz nahe an demſelben angeleget.
Die niedrigen Schulen, da die Kinder in den
erſten Anfangsgruͤnden der Gelehrtheit un-
terrichtet werden, heißen insgemein Mekjteb.
Die Perſonen, die dieſen Akademien vorge-
ſetzet ſind, werden Muͤderris, das iſt, Schul-
meiſter, genennet: ſie haben eine jaͤhrliche
Beſoldung, ſo groß als es die Einkuͤnfte des
Dſchami, dazu ſie gehoͤren, mit ſich bringen.
Daher kommt es, daß einige drey hundert*,
andere aber nicht mehr als ſiebenzig2* Aſper
des Tages haben. Aus dieſen Schulen wer-
den die Richter in den Hauptſtaͤdten und groͤ-
ßern Staͤdten, Mewla3* genennet, genom-
men: denn die in den geringern Staͤdten
heißen Kaßi, und ſind von einem ganz an-
dern Orden; koͤnnen auch nicht zu hoͤhern
Stufen gelangen, eben wie die weltlichen und
Kirchſpielsprieſter. Von den Mewla iſt die
naͤchſte Stufe zu einem Kaßijuͤlaͤskjer4*, das
iſt, einem Richter des Kriegesheeres. Dieſer
ſind nicht mehr als zween: einer fuͤr Europa,
welcher der vornehmſte iſt, und einer fuͤr
Aſien. Endlich die hoͤchſte geiſtliche Wuͤrde
iſt das Amt des Muͤfti, das einen Ausleger
des Geſetzes bedeutet. Man kann dieſe ver-
ſchiedenen tuͤrkiſchen Orden mit den Orden
der Chriſten vergleichen: den Muͤfti mit dem
Pabſte; den Kaßijuͤlaͤskjer mit einem Patri-
archen; den Mewla mit einem Erzbiſchofe
oder Metropoliten; den Kaßi mit einem Bi-

Hare,
* das iſt, 2 Thaler, 7 Groſchen, 4 Pf. ſaͤchſiſch.
2* oder 12 Gr. 11 Pf.
3* Mola.
4* Kadilaͤskjer.
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[44/0118] Osmaniſche Geſchichte noch weiter, daß er beſtaͤndig die Gewohnheit gehabt habe, mit Gelehrten um- zugehen, und keine Sache von Wichtigkeit unternehmen wollen, ohne ſie vorher um Rath zu fragen; imgleichen, daß er der erſte unter ihren Kaiſern geweſen ſey, der Mestſchide, Dſchami ⁹ , Medreſe ¹⁰ oder Schulen, und Imaret ¹¹ oder Spitaͤler geſtiftet habe. Er hatte ein rothes Angeſicht, blaue Augen, gelblichte Hare, ich, daß diejenigen irren, die ihm nicht mehr als zwey und zwanzig Jahre Regierung bey- legen. Die Geſchichtſchreiber ſind auch we- gen der Art ſeines Todes unter ſich uneinig: einige ſagen, er ſey bey der Belagerung von Pruſa mit einem Pfeile erſchoſſen worden; andere aber, er ſey in einer Schlacht mit den Tatarn umgekommen. Allein, ohne fuͤritzo darauf zu beſtehen, daß die tuͤrkiſchen Ge- ſchichtſchreiber in ihren einheimiſchen Sachen den meiſten Glauben verdienen: ſo kommen ſie alle darinnen uͤberein, daß Pruſa im erſten Jahre der Regierung Orchans ſey erobert worden; folglich wuͤrde es laͤcherlich ſeyn, wenn man ſeinen Tod da ſuchen wollte, wo er angefangen hat zu regieren. Uebrigens erwaͤhnet kein Geſchichtſchreiber das Mindeſte von ſeinem Kriege mit den Scythen oder Ta- tarn: daher halte ich dafuͤr, daß dieſe Mei- nung keinen beſſern Grund habe, als die vorige. ⁹ Dſchami] Dieſes iſt ein tuͤrkiſcher Tempel, der den Vorzug hat, daß die Frey- tagsandachten, Dſchuͤmaͤ Nemaßi (die all- gemeinen Gebetsverſammlungen) genennet, darinnen verrichtet werden, welches in den geringern Mestſchiden nicht geſchehen darf. Wenn ein Dſchami von einem Sultan iſt er- bauet worden: ſo heißet er Selatin, ein kai- ſerlicher (Tempel). ¹⁰ Medreſe] Dieſes ſind Akademien oder groͤßere Schulen, und ordentlicher Weiſe, wo nicht ſelbſt im Hofe des Dſchami, doch allezeit ganz nahe an demſelben angeleget. Die niedrigen Schulen, da die Kinder in den erſten Anfangsgruͤnden der Gelehrtheit un- terrichtet werden, heißen insgemein Mekjteb. Die Perſonen, die dieſen Akademien vorge- ſetzet ſind, werden Muͤderris, das iſt, Schul- meiſter, genennet: ſie haben eine jaͤhrliche Beſoldung, ſo groß als es die Einkuͤnfte des Dſchami, dazu ſie gehoͤren, mit ſich bringen. Daher kommt es, daß einige drey hundert *, andere aber nicht mehr als ſiebenzig 2* Aſper des Tages haben. Aus dieſen Schulen wer- den die Richter in den Hauptſtaͤdten und groͤ- ßern Staͤdten, Mewla 3* genennet, genom- men: denn die in den geringern Staͤdten heißen Kaßi, und ſind von einem ganz an- dern Orden; koͤnnen auch nicht zu hoͤhern Stufen gelangen, eben wie die weltlichen und Kirchſpielsprieſter. Von den Mewla iſt die naͤchſte Stufe zu einem Kaßijuͤlaͤskjer 4*, das iſt, einem Richter des Kriegesheeres. Dieſer ſind nicht mehr als zween: einer fuͤr Europa, welcher der vornehmſte iſt, und einer fuͤr Aſien. Endlich die hoͤchſte geiſtliche Wuͤrde iſt das Amt des Muͤfti, das einen Ausleger des Geſetzes bedeutet. Man kann dieſe ver- ſchiedenen tuͤrkiſchen Orden mit den Orden der Chriſten vergleichen: den Muͤfti mit dem Pabſte; den Kaßijuͤlaͤskjer mit einem Patri- archen; den Mewla mit einem Erzbiſchofe oder Metropoliten; den Kaßi mit einem Bi- ſchofe * das iſt, 2 Thaler, 7 Groſchen, 4[FORMEL] Pf. ſaͤchſiſch. 2* oder 12 Gr. 11[FORMEL] Pf. 3* Mola. 4* Kadilaͤskjer.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/118>, abgerufen am 23.11.2024.