[Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700.Versuch obs besser sey/ wenn du den Schöpffer ehrest/ 2. Denck was in schnöder Lust für Stacheln sind versteckt/Was oft ein Augenblick macht für betrübte Stunden/ Wie gnau daß der Genuß und Eckel sind verbunden/ Wie in der Freude selbst dich was verborgnes schreckt; Wie du/ als Cain dort/ vor GOttes Antlitz fliehest/ Wie oft dich in dem Schlaaf des Satans Larve stöhrt/ Wie du des Himmels Grimm auf dein Geschlechte ziehest/ Und wie der MenschenGunst sich endlich von dir kehrt. 3[.] Bedencke daß der Tod/ der alles zu sich reißt/Dich führet bey der Hand und über jede Schwelle/ Und immer unvermerckt zur finstern Grabes-Stelle/ Du weist nicht ob er dich nicht heut zu Boden schmeißt/ Diß aber weist du wohl: Solt' itzt das Band zerspringen/ Daß dich und diesen Leib/ O Geist/ zusammen hält/ Du würdest schlechten Zeug vor deinen Richter bringen/ Erwege nur den Spruch/ den das Gewissen fällt. 4[.] Was dein verderbtes Blut beweget und ergetzt/Hast du von Jugend an am eyffrigsten getrieben/ Hingegen in der Furcht des HErren dich zu üben/ Bleibt als ein Neben-Werck auf künfftig ausgesetzt. Worin dein Gottesdienst besteht/ ist daß zu weilen Ein Seufzer ohngefehr aus lauher Andacht fliegt/ Denn du pflegst dergestalt dein Leben einzutheilen/ Daß dessen Kern die Welt/ und GOtt die Hülsen kriegt. 5. Dein Christenthum ist nichts als Dunst und Sicherheit/Warum/ du machest GOtt zum Götzen deiner Sinnen/ In dessen Gegenwart du Dinge darffst beginnen/ Und die ein frecher Mensch sich für den andern scheut. Dein B
Verſuch obs beſſer ſey/ wenn du den Schoͤpffer ehreſt/ 2. Denck was in ſchnoͤder Luſt fuͤr Stacheln ſind verſteckt/Was oft ein Augenblick macht fuͤr betruͤbte Stunden/ Wie gnau daß der Genuß und Eckel ſind verbunden/ Wie in der Freude ſelbſt dich was verborgnes ſchreckt; Wie du/ als Cain dort/ vor GOttes Antlitz flieheſt/ Wie oft dich in dem Schlaaf des Satans Larve ſtoͤhrt/ Wie du des Himmels Grim̃ auf dein Geſchlechte zieheſt/ Und wie der MenſchenGunſt ſich endlich von dir kehrt. 3[.] Bedencke daß der Tod/ der alles zu ſich reißt/Dich fuͤhret bey der Hand und uͤber jede Schwelle/ Und immer unvermerckt zur finſtern Grabes-Stelle/ Du weiſt nicht ob er dich nicht heut zu Boden ſchmeißt/ Diß aber weiſt du wohl: Solt’ itzt das Band zerſpringen/ Daß dich und dieſen Leib/ O Geiſt/ zuſammen haͤlt/ Du wuͤrdeſt ſchlechten Zeug vor deinen Richter bringen/ Erwege nur den Spruch/ den das Gewiſſen faͤllt. 4[.] Was dein verderbtes Blut beweget und ergetzt/Haſt du von Jugend an am eyffrigſten getrieben/ Hingegen in der Furcht des HErren dich zu uͤben/ Bleibt als ein Neben-Werck auf kuͤnfftig ausgeſetzt. Worin dein Gottesdienſt beſteht/ iſt daß zu weilen Ein Seufzer ohngefehr aus lauher Andacht fliegt/ Denn du pflegſt dergeſtalt dein Leben einzutheilen/ Daß deſſen Kern die Welt/ und GOtt die Huͤlſen kriegt. 5. Dein Chꝛiſtenthum iſt nichts als Dunſt und Sicherheit/Warum/ du macheſt GOtt zum Goͤtzen deiner Sinnen/ In deſſen Gegenwart du Dinge darffſt beginnen/ Und die ein frecher Menſch ſich fuͤr den andern ſcheut. Dein B
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Verſuch obs beſſer ſey/ wenn du den Schoͤpffer ehreſt/
Von deſſen ſtarcken Hand du uͤberzeuget biſt/
Als wenn du immerhin/ das Maaß der Suͤnden mehreſt/
Die deinen Coͤrper ſchwaͤcht/ und deine Kraͤffte frißt.
2.
Denck was in ſchnoͤder Luſt fuͤr Stacheln ſind verſteckt/
Was oft ein Augenblick macht fuͤr betruͤbte Stunden/
Wie gnau daß der Genuß und Eckel ſind verbunden/
Wie in der Freude ſelbſt dich was verborgnes ſchreckt;
Wie du/ als Cain dort/ vor GOttes Antlitz flieheſt/
Wie oft dich in dem Schlaaf des Satans Larve ſtoͤhrt/
Wie du des Himmels Grim̃ auf dein Geſchlechte zieheſt/
Und wie der MenſchenGunſt ſich endlich von dir kehrt.
3.
Bedencke daß der Tod/ der alles zu ſich reißt/
Dich fuͤhret bey der Hand und uͤber jede Schwelle/
Und immer unvermerckt zur finſtern Grabes-Stelle/
Du weiſt nicht ob er dich nicht heut zu Boden ſchmeißt/
Diß aber weiſt du wohl: Solt’ itzt das Band zerſpringen/
Daß dich und dieſen Leib/ O Geiſt/ zuſammen haͤlt/
Du wuͤrdeſt ſchlechten Zeug vor deinen Richter bringen/
Erwege nur den Spruch/ den das Gewiſſen faͤllt.
4.
Was dein verderbtes Blut beweget und ergetzt/
Haſt du von Jugend an am eyffrigſten getrieben/
Hingegen in der Furcht des HErren dich zu uͤben/
Bleibt als ein Neben-Werck auf kuͤnfftig ausgeſetzt.
Worin dein Gottesdienſt beſteht/ iſt daß zu weilen
Ein Seufzer ohngefehr aus lauher Andacht fliegt/
Denn du pflegſt dergeſtalt dein Leben einzutheilen/
Daß deſſen Kern die Welt/ und GOtt die Huͤlſen kriegt.
5.
Dein Chꝛiſtenthum iſt nichts als Dunſt und Sicherheit/
Warum/ du macheſt GOtt zum Goͤtzen deiner Sinnen/
In deſſen Gegenwart du Dinge darffſt beginnen/
Und die ein frecher Menſch ſich fuͤr den andern ſcheut.
Dein
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Zitationshilfe: | [Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von]: Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte. [Hrsg. v. Joachim Lange]. Berlin, 1700, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/canitz_gedichte_1700/30>, abgerufen am 16.02.2025. |