Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.So lang auf Erden Etwas zu erlösen, Seid ihr nicht ganz erlöst. Ihr müßt's ja fühlen! Nicht euer Ich ist euer Selbst, das wahre, Das ganze Selbst. Zwar auf des Glaubens Pfühlen Ruht selig euer Haubt, und frei vom Bösen Ist euer wahres Selbst, das volle, klare. Sich ewig offenbare, Doch neustets spielt ihr sel'ges Spiel die Liebe, Schafft Leere stets, schafft Sehnsucht nach Erfüllen, Und will, in solchen Hüllen Sich schauend, drin erlösen eigne Triebe. In euer leeres Ich kam sie hernieder, Und ist sie 's wirklich, liebt und löst ihr wieder. Es will durch euch der Herr den Geist ausgießen,
Und was ihr laßt gebunden, bleibt gebunden, Und was ihr löset, ist gelöst. Die Bande Der Sündenknechtschaft an der Menschheit wunden Gliedmaßen könnet ihr, nur ihr, aufschließen. Von euch erwarten Freiheit alle Lande. Zu süßem Liebesbrande Entfache still die Welt denn euer Hauchen, Bis Liebe Wahrheit, Wahrheit Freiheit bringe, Und neuschön alle Dinge, Vom Scepter bis zum Pflug, aus Gott auftauchen. Euch ist das Amt der Schlüssel übertragen, Und eitles Klagen ist nur Selbstanklagen. So lang auf Erden Etwas zu erlöſen, Seid ihr nicht ganz erlöst. Ihr müßt's ja fühlen! Nicht euer Ich iſt euer Selbſt, das wahre, Das ganze Selbſt. Zwar auf des Glaubens Pfühlen Ruht ſelig euer Haubt, und frei vom Böſen Iſt euer wahres Selbſt, das volle, klare. Sich ewig offenbare, Doch neuſtets ſpielt ihr ſel'ges Spiel die Liebe, Schafft Leere ſtets, ſchafft Sehnſucht nach Erfüllen, Und will, in ſolchen Hüllen Sich ſchauend, drin erlöſen eigne Triebe. In euer leeres Ich kam ſie hernieder, Und iſt ſie 's wirklich, liebt und löst ihr wieder. Es will durch euch der Herr den Geiſt ausgießen,
Und was ihr laßt gebunden, bleibt gebunden, Und was ihr löſet, iſt gelöst. Die Bande Der Sündenknechtſchaft an der Menſchheit wunden Gliedmaßen könnet ihr, nur ihr, aufſchließen. Von euch erwarten Freiheit alle Lande. Zu ſüßem Liebesbrande Entfache ſtill die Welt denn euer Hauchen, Bis Liebe Wahrheit, Wahrheit Freiheit bringe, Und neuſchön alle Dinge, Vom Scepter bis zum Pflug, aus Gott auftauchen. Euch iſt das Amt der Schlüſſel übertragen, Und eitles Klagen iſt nur Selbſtanklagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0095" n="81"/> <lg n="12"> <l>So lang auf Erden Etwas zu erlöſen,</l><lb/> <l>Seid ihr nicht ganz erlöst. Ihr müßt's ja fühlen!</l><lb/> <l>Nicht euer Ich iſt euer Selbſt, das wahre,</l><lb/> <l>Das ganze Selbſt. Zwar auf des Glaubens Pfühlen</l><lb/> <l>Ruht ſelig euer Haubt, und frei vom Böſen</l><lb/> <l>Iſt euer wahres Selbſt, das volle, klare.</l><lb/> <l>Sich ewig offenbare,</l><lb/> <l>Doch neuſtets ſpielt ihr ſel'ges Spiel die Liebe,</l><lb/> <l>Schafft Leere ſtets, ſchafft Sehnſucht nach Erfüllen,</l><lb/> <l>Und will, in ſolchen Hüllen</l><lb/> <l>Sich ſchauend, drin erlöſen eigne Triebe.</l><lb/> <l>In euer leeres Ich kam ſie hernieder,</l><lb/> <l>Und iſt ſie 's wirklich, liebt und löst ihr wieder.</l><lb/> </lg> <lg n="13"> <l>Es will durch <hi rendition="#g">euch</hi> der Herr den Geiſt ausgießen,</l><lb/> <l>Und was ihr laßt gebunden, bleibt gebunden,</l><lb/> <l>Und was ihr löſet, iſt gelöst. Die Bande</l><lb/> <l>Der Sündenknechtſchaft an der Menſchheit wunden</l><lb/> <l>Gliedmaßen könnet <hi rendition="#g">ihr</hi>, nur <hi rendition="#g">ihr</hi>, aufſchließen.</l><lb/> <l>Von <hi rendition="#g">euch</hi> erwarten Freiheit alle Lande.</l><lb/> <l>Zu ſüßem Liebesbrande</l><lb/> <l>Entfache ſtill die Welt denn euer Hauchen,</l><lb/> <l>Bis Liebe Wahrheit, Wahrheit Freiheit bringe,</l><lb/> <l>Und neuſchön alle Dinge,</l><lb/> <l>Vom Scepter bis zum Pflug, aus Gott auftauchen.</l><lb/> <l>Euch iſt das <hi rendition="#g">Amt der Schlüſſel</hi> übertragen,</l><lb/> <l>Und eitles Klagen iſt nur Selbſtanklagen.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [81/0095]
So lang auf Erden Etwas zu erlöſen,
Seid ihr nicht ganz erlöst. Ihr müßt's ja fühlen!
Nicht euer Ich iſt euer Selbſt, das wahre,
Das ganze Selbſt. Zwar auf des Glaubens Pfühlen
Ruht ſelig euer Haubt, und frei vom Böſen
Iſt euer wahres Selbſt, das volle, klare.
Sich ewig offenbare,
Doch neuſtets ſpielt ihr ſel'ges Spiel die Liebe,
Schafft Leere ſtets, ſchafft Sehnſucht nach Erfüllen,
Und will, in ſolchen Hüllen
Sich ſchauend, drin erlöſen eigne Triebe.
In euer leeres Ich kam ſie hernieder,
Und iſt ſie 's wirklich, liebt und löst ihr wieder.
Es will durch euch der Herr den Geiſt ausgießen,
Und was ihr laßt gebunden, bleibt gebunden,
Und was ihr löſet, iſt gelöst. Die Bande
Der Sündenknechtſchaft an der Menſchheit wunden
Gliedmaßen könnet ihr, nur ihr, aufſchließen.
Von euch erwarten Freiheit alle Lande.
Zu ſüßem Liebesbrande
Entfache ſtill die Welt denn euer Hauchen,
Bis Liebe Wahrheit, Wahrheit Freiheit bringe,
Und neuſchön alle Dinge,
Vom Scepter bis zum Pflug, aus Gott auftauchen.
Euch iſt das Amt der Schlüſſel übertragen,
Und eitles Klagen iſt nur Selbſtanklagen.
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Zitationshilfe: | Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/95>, abgerufen am 16.07.2024. |