Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.Kein bloßes Bild war's, was sie Bild so nennen, Kein Sinnbild, nein, Selbstdarstellung des Lebens, Das Leben selbst, er selbst war's. Wonneschauer Strebt zu erregen leere Form vergebens. Mir aber schauerte. Mag Freunde trennen Ein äußeres Geschick, besieh's genauer, Sie sind in Lust und Trauer Doch ungetrennt, denn wessen Leib natürlich, Der hat auch einen geist'gen Leib, und nimmer Kann solchen Leibes Schimmer, Der wirkend lebt, mir gelten als figürlich In jenem dürft'gen Sinne wie sie's meinen, Weil ihnen Schein und Sein sich nie vereinen. Nicht nach dem Fleisch, nein, wie er in uns wohnet,
So ist der Heiland damals mir erschienen, Und seine Hände träuften Glutverlangen, Demütig treu dem Himmlischen zu dienen, Der mir im eignen Busen wohnt und thronet. Denn wie Corregio war es mir ergangen Der vor dem Farbenprangen Des Sanzio ausrief: "ich auch bin ein Maler!" Mir hatte Göttliches der Gott gewecket, Und freudig bang erschrecket Erkannte ich als Stral mich vor dem Straler. Mein Auge war, nachdem es erst geblendet, Den morgenländ'schen Augen zugewendet. Kein bloßes Bild war's, was ſie Bild ſo nennen, Kein Sinnbild, nein, Selbſtdarſtellung des Lebens, Das Leben ſelbſt, er ſelbſt war's. Wonneſchauer Strebt zu erregen leere Form vergebens. Mir aber ſchauerte. Mag Freunde trennen Ein äußeres Geſchick, beſieh's genauer, Sie ſind in Luſt und Trauer Doch ungetrennt, denn weſſen Leib natürlich, Der hat auch einen geiſt'gen Leib, und nimmer Kann ſolchen Leibes Schimmer, Der wirkend lebt, mir gelten als figürlich In jenem dürft'gen Sinne wie ſie's meinen, Weil ihnen Schein und Sein ſich nie vereinen. Nicht nach dem Fleiſch, nein, wie er in uns wohnet,
So iſt der Heiland damals mir erſchienen, Und ſeine Hände träuften Glutverlangen, Demütig treu dem Himmliſchen zu dienen, Der mir im eignen Buſen wohnt und thronet. Denn wie Corregio war es mir ergangen Der vor dem Farbenprangen Des Sanzio ausrief: „ich auch bin ein Maler!“ Mir hatte Göttliches der Gott gewecket, Und freudig bang erſchrecket Erkannte ich als Stral mich vor dem Straler. Mein Auge war, nachdem es erſt geblendet, Den morgenländ'ſchen Augen zugewendet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0022" n="8"/> <lg n="2"> <l>Kein bloßes Bild war's, was ſie Bild ſo nennen,</l><lb/> <l>Kein Sinnbild, nein, Selbſtdarſtellung des Lebens,</l><lb/> <l>Das Leben ſelbſt, er ſelbſt war's. Wonneſchauer</l><lb/> <l>Strebt zu erregen leere Form vergebens.</l><lb/> <l>Mir aber ſchauerte. Mag Freunde trennen</l><lb/> <l>Ein äußeres Geſchick, beſieh's genauer,</l><lb/> <l>Sie ſind in Luſt und Trauer</l><lb/> <l>Doch ungetrennt, denn weſſen Leib natürlich,</l><lb/> <l>Der hat auch einen geiſt'gen Leib, und nimmer</l><lb/> <l>Kann ſolchen Leibes Schimmer,</l><lb/> <l>Der wirkend lebt, mir gelten als figürlich</l><lb/> <l>In jenem dürft'gen Sinne wie ſie's meinen,</l><lb/> <l>Weil ihnen Schein und Sein ſich nie vereinen.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Nicht nach dem Fleiſch, nein, wie er in uns wohnet,</l><lb/> <l>So iſt der Heiland damals mir erſchienen,</l><lb/> <l>Und ſeine Hände träuften Glutverlangen,</l><lb/> <l>Demütig treu dem Himmliſchen zu dienen,</l><lb/> <l>Der mir im eignen Buſen wohnt und thronet.</l><lb/> <l>Denn wie Corregio war es mir ergangen</l><lb/> <l>Der vor dem Farbenprangen</l><lb/> <l>Des Sanzio ausrief: „ich auch bin ein Maler!“</l><lb/> <l>Mir hatte Göttliches der Gott gewecket,</l><lb/> <l>Und freudig bang erſchrecket</l><lb/> <l>Erkannte ich als Stral mich vor dem Straler.</l><lb/> <l>Mein Auge war, nachdem es erſt geblendet,</l><lb/> <l>Den morgenländ'ſchen Augen zugewendet.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0022]
Kein bloßes Bild war's, was ſie Bild ſo nennen,
Kein Sinnbild, nein, Selbſtdarſtellung des Lebens,
Das Leben ſelbſt, er ſelbſt war's. Wonneſchauer
Strebt zu erregen leere Form vergebens.
Mir aber ſchauerte. Mag Freunde trennen
Ein äußeres Geſchick, beſieh's genauer,
Sie ſind in Luſt und Trauer
Doch ungetrennt, denn weſſen Leib natürlich,
Der hat auch einen geiſt'gen Leib, und nimmer
Kann ſolchen Leibes Schimmer,
Der wirkend lebt, mir gelten als figürlich
In jenem dürft'gen Sinne wie ſie's meinen,
Weil ihnen Schein und Sein ſich nie vereinen.
Nicht nach dem Fleiſch, nein, wie er in uns wohnet,
So iſt der Heiland damals mir erſchienen,
Und ſeine Hände träuften Glutverlangen,
Demütig treu dem Himmliſchen zu dienen,
Der mir im eignen Buſen wohnt und thronet.
Denn wie Corregio war es mir ergangen
Der vor dem Farbenprangen
Des Sanzio ausrief: „ich auch bin ein Maler!“
Mir hatte Göttliches der Gott gewecket,
Und freudig bang erſchrecket
Erkannte ich als Stral mich vor dem Straler.
Mein Auge war, nachdem es erſt geblendet,
Den morgenländ'ſchen Augen zugewendet.
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Zitationshilfe: | Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/22>, abgerufen am 16.07.2024. |