Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

bloße Miene verurtheilt ihn schon. Gesittete
Leute werden sich eben so wenig zu ihm, als Leute
von gutem Rufe zu jenem halten. Diese Abweisung
treibt und erniedrigt ihn in schlechte Geselschaft;
ein Schlund, aus welchem, nach einem gewissen
Alter, kein Mensch wieder empor gekommen ist.)


Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur
edel und wohlwollend bist; das ist freilich die
Hauptsache, aber doch noch nicht alles. Du mußt
es auch zu sein scheinen. Ich meine nicht, du
müssest damit pralen; aber schäme dich nicht, wie
manche junge Leute thun, Gesinnungen der
Menschlichkeit und des Wohlwollens, die du
wirklich fühlst, auch zu gestehen. Ich habe ver-
schiedene junge Leute gekant, welche für Leute
von Muth und Herzhaftigkeit angesehen sein
wolten, und deswegen eine Härte und Fühllosig-
keit affektierten, die sie in der That nicht hatten;
sie sprachen nie anders als in entscheidendem und
drohendem Tone; sie waren alle Augenblik bereit,
Hälse zu brechen, Leute zum Fenster hinaus zu
werfen, ihnen die Ohren abzuschneiden, u. s. w.

und

bloße Miene verurtheilt ihn ſchon. Geſittete
Leute werden ſich eben ſo wenig zu ihm, als Leute
von gutem Rufe zu jenem halten. Dieſe Abweiſung
treibt und erniedrigt ihn in ſchlechte Geſelſchaft;
ein Schlund, aus welchem, nach einem gewiſſen
Alter, kein Menſch wieder empor gekommen iſt.)


Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur
edel und wohlwollend biſt; das iſt freilich die
Hauptſache, aber doch noch nicht alles. Du mußt
es auch zu ſein ſcheinen. Ich meine nicht, du
muͤſſeſt damit pralen; aber ſchaͤme dich nicht, wie
manche junge Leute thun, Geſinnungen der
Menſchlichkeit und des Wohlwollens, die du
wirklich fuͤhlſt, auch zu geſtehen. Ich habe ver-
ſchiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute
von Muth und Herzhaftigkeit angeſehen ſein
wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhlloſig-
keit affektierten, die ſie in der That nicht hatten;
ſie ſprachen nie anders als in entſcheidendem und
drohendem Tone; ſie waren alle Augenblik bereit,
Haͤlſe zu brechen, Leute zum Fenſter hinaus zu
werfen, ihnen die Ohren abzuſchneiden, u. ſ. w.

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="88"/>
bloße Miene verurtheilt ihn &#x017F;chon. Ge&#x017F;ittete<lb/>
Leute werden &#x017F;ich eben &#x017F;o wenig zu ihm, als Leute<lb/>
von gutem Rufe zu jenem halten. Die&#x017F;e Abwei&#x017F;ung<lb/>
treibt und erniedrigt ihn in &#x017F;chlechte Ge&#x017F;el&#x017F;chaft;<lb/>
ein Schlund, aus welchem, nach einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Alter, kein Men&#x017F;ch wieder empor gekommen i&#x017F;t.)</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur<lb/>
edel und wohlwollend bi&#x017F;t; das i&#x017F;t freilich die<lb/>
Haupt&#x017F;ache, aber doch noch nicht alles. Du mußt<lb/>
es auch zu &#x017F;ein &#x017F;cheinen. Ich meine nicht, du<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t damit pralen; aber &#x017F;cha&#x0364;me dich nicht, wie<lb/>
manche junge Leute thun, Ge&#x017F;innungen der<lb/>
Men&#x017F;chlichkeit und des Wohlwollens, die du<lb/>
wirklich fu&#x0364;hl&#x017F;t, auch zu ge&#x017F;tehen. Ich habe ver-<lb/>
&#x017F;chiedene junge Leute gekant, welche fu&#x0364;r Leute<lb/>
von Muth und Herzhaftigkeit ange&#x017F;ehen &#x017F;ein<lb/>
wolten, und deswegen eine Ha&#x0364;rte und Fu&#x0364;hllo&#x017F;ig-<lb/>
keit affektierten, die &#x017F;ie in der That nicht hatten;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;prachen nie anders als in ent&#x017F;cheidendem und<lb/>
drohendem Tone; &#x017F;ie waren alle Augenblik bereit,<lb/>
Ha&#x0364;l&#x017F;e zu brechen, Leute zum Fen&#x017F;ter hinaus zu<lb/>
werfen, ihnen die Ohren abzu&#x017F;chneiden, u. &#x017F;. w.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0094] bloße Miene verurtheilt ihn ſchon. Geſittete Leute werden ſich eben ſo wenig zu ihm, als Leute von gutem Rufe zu jenem halten. Dieſe Abweiſung treibt und erniedrigt ihn in ſchlechte Geſelſchaft; ein Schlund, aus welchem, nach einem gewiſſen Alter, kein Menſch wieder empor gekommen iſt.) Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur edel und wohlwollend biſt; das iſt freilich die Hauptſache, aber doch noch nicht alles. Du mußt es auch zu ſein ſcheinen. Ich meine nicht, du muͤſſeſt damit pralen; aber ſchaͤme dich nicht, wie manche junge Leute thun, Geſinnungen der Menſchlichkeit und des Wohlwollens, die du wirklich fuͤhlſt, auch zu geſtehen. Ich habe ver- ſchiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute von Muth und Herzhaftigkeit angeſehen ſein wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhlloſig- keit affektierten, die ſie in der That nicht hatten; ſie ſprachen nie anders als in entſcheidendem und drohendem Tone; ſie waren alle Augenblik bereit, Haͤlſe zu brechen, Leute zum Fenſter hinaus zu werfen, ihnen die Ohren abzuſchneiden, u. ſ. w. und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/94
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/94>, abgerufen am 05.12.2024.