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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

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mich selbst erinnere, den Nuzen erfahren zu haben.
Thue alles, was du thust, im Takte der Menuet;
rede, denke, bewege dich immer in diesem Zeit-
maaß, gleichentfernt von dem träge fortschlei-
chenden und dem übereiltgeschwinden Takte. Bei
dieser Bewegung wirst du immer einige Augen-
blikke gewinnen, vorauszudenken, und die Gra-
zien werden begleiten können, was du sagst oder
thust; denn diese Göttinnen werden nie weder
laufend, noch kriechend vorgestelt. Bemerke ein-
mahl einen Menschen im Augenblik der Leiden-
schaft; siehe an seine funkelnden Augen, sein glü-
hendes Gesicht, seine zitternden Glieder, seine
von Wuth stammelnde Zunge, und dan frage
dich ganz kaltblütig: ob du um irgend einen
Preis solch eine Bestie in menschlicher Gestalt
sein mögtest? Solche Geschöpfe sind gehaßt und
gefürchtet in allen Geselschaften, wo sie frei
herumlaufen; niemand befaßt sich mit ihnen,
weil niemand in die verdrießliche Nothwendigkeit
gesezt sein mag, entweder ihnen den Hals zu
brechen, oder sich von ihnen den Hals brechen
zu lassen. Bemühe dich dagegen, dir überal eine

ruhige,

mich ſelbſt erinnere, den Nuzen erfahren zu haben.
Thue alles, was du thuſt, im Takte der Menuet;
rede, denke, bewege dich immer in dieſem Zeit-
maaß, gleichentfernt von dem traͤge fortſchlei-
chenden und dem uͤbereiltgeſchwinden Takte. Bei
dieſer Bewegung wirſt du immer einige Augen-
blikke gewinnen, vorauszudenken, und die Gra-
zien werden begleiten koͤnnen, was du ſagſt oder
thuſt; denn dieſe Goͤttinnen werden nie weder
laufend, noch kriechend vorgeſtelt. Bemerke ein-
mahl einen Menſchen im Augenblik der Leiden-
ſchaft; ſiehe an ſeine funkelnden Augen, ſein gluͤ-
hendes Geſicht, ſeine zitternden Glieder, ſeine
von Wuth ſtammelnde Zunge, und dan frage
dich ganz kaltbluͤtig: ob du um irgend einen
Preis ſolch eine Beſtie in menſchlicher Geſtalt
ſein moͤgteſt? Solche Geſchoͤpfe ſind gehaßt und
gefuͤrchtet in allen Geſelſchaften, wo ſie frei
herumlaufen; niemand befaßt ſich mit ihnen,
weil niemand in die verdrießliche Nothwendigkeit
geſezt ſein mag, entweder ihnen den Hals zu
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[60/0066] mich ſelbſt erinnere, den Nuzen erfahren zu haben. Thue alles, was du thuſt, im Takte der Menuet; rede, denke, bewege dich immer in dieſem Zeit- maaß, gleichentfernt von dem traͤge fortſchlei- chenden und dem uͤbereiltgeſchwinden Takte. Bei dieſer Bewegung wirſt du immer einige Augen- blikke gewinnen, vorauszudenken, und die Gra- zien werden begleiten koͤnnen, was du ſagſt oder thuſt; denn dieſe Goͤttinnen werden nie weder laufend, noch kriechend vorgeſtelt. Bemerke ein- mahl einen Menſchen im Augenblik der Leiden- ſchaft; ſiehe an ſeine funkelnden Augen, ſein gluͤ- hendes Geſicht, ſeine zitternden Glieder, ſeine von Wuth ſtammelnde Zunge, und dan frage dich ganz kaltbluͤtig: ob du um irgend einen Preis ſolch eine Beſtie in menſchlicher Geſtalt ſein moͤgteſt? Solche Geſchoͤpfe ſind gehaßt und gefuͤrchtet in allen Geſelſchaften, wo ſie frei herumlaufen; niemand befaßt ſich mit ihnen, weil niemand in die verdrießliche Nothwendigkeit geſezt ſein mag, entweder ihnen den Hals zu brechen, oder ſich von ihnen den Hals brechen zu laſſen. Bemuͤhe dich dagegen, dir uͤberal eine ruhige,

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/66>, abgerufen am 29.11.2024.