Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich schließe diesen weitläuftigen Unterricht
mit einer Betrachtung, welche dich ermuntern
wird, jede Vorschrift, die ich dir gegeben habe,
nach deinem besten Vermögen in Ausübung zu
bringen.

Bei allen Lehrgebäuden, es sei in der Religion,
Staatskunst, Sittenlehre, oder in irgend einer
andern Wissenschaft, ist allezeit Volkommenheit der
vorgesezte, wiewohl möglicher Weise nie zu errei-
chende Endzwek. Bis jezt wenigstens hat derselbe
noch von keinem Sterblichen erreicht werden kön-
nen. Allein diejenigen, welche nach diesem Ziele
eifrig streben, werden ihm ohnstreitig näher kom-
men, als die, welche aus Muthlosigkeit, Nach-
läßigkeit und Trägheit, das, was durch Geschik-
lichkeit auszurichten wäre, lieber dem Zufalle
überlassen wollen.

Dieser Saz läßt sich füglich auch auf das ge-
meine Leben anwenden. Diejenigen, welche nach
Volkommenheit trachten, werden ihr unendlich
näher kommen, als die verzagten, muthlosen Se-
len, die alberner Weise bei sich selbst denken:
"volkommen ist ja nun einmahl niemand; Vol-

"kommen-
M 4

Ich ſchließe dieſen weitlaͤuftigen Unterricht
mit einer Betrachtung, welche dich ermuntern
wird, jede Vorſchrift, die ich dir gegeben habe,
nach deinem beſten Vermoͤgen in Ausuͤbung zu
bringen.

Bei allen Lehrgebaͤuden, es ſei in der Religion,
Staatskunſt, Sittenlehre, oder in irgend einer
andern Wiſſenſchaft, iſt allezeit Volkommenheit der
vorgeſezte, wiewohl moͤglicher Weiſe nie zu errei-
chende Endzwek. Bis jezt wenigſtens hat derſelbe
noch von keinem Sterblichen erreicht werden koͤn-
nen. Allein diejenigen, welche nach dieſem Ziele
eifrig ſtreben, werden ihm ohnſtreitig naͤher kom-
men, als die, welche aus Muthloſigkeit, Nach-
laͤßigkeit und Traͤgheit, das, was durch Geſchik-
lichkeit auszurichten waͤre, lieber dem Zufalle
uͤberlaſſen wollen.

Dieſer Saz laͤßt ſich fuͤglich auch auf das ge-
meine Leben anwenden. Diejenigen, welche nach
Volkommenheit trachten, werden ihr unendlich
naͤher kommen, als die verzagten, muthloſen Se-
len, die alberner Weiſe bei ſich ſelbſt denken:
“volkommen iſt ja nun einmahl niemand; Vol-

„kommen-
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0189" n="183"/>
        <p>Ich &#x017F;chließe die&#x017F;en weitla&#x0364;uftigen Unterricht<lb/>
mit einer Betrachtung, welche dich ermuntern<lb/>
wird, jede Vor&#x017F;chrift, die ich dir gegeben habe,<lb/>
nach deinem be&#x017F;ten Vermo&#x0364;gen in Ausu&#x0364;bung zu<lb/>
bringen.</p><lb/>
        <p>Bei allen Lehrgeba&#x0364;uden, es &#x017F;ei in der Religion,<lb/>
Staatskun&#x017F;t, Sittenlehre, oder in irgend einer<lb/>
andern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, i&#x017F;t allezeit Volkommenheit der<lb/>
vorge&#x017F;ezte, wiewohl mo&#x0364;glicher Wei&#x017F;e nie zu errei-<lb/>
chende Endzwek. Bis jezt wenig&#x017F;tens hat der&#x017F;elbe<lb/>
noch von keinem Sterblichen erreicht werden ko&#x0364;n-<lb/>
nen. Allein diejenigen, welche nach die&#x017F;em Ziele<lb/>
eifrig &#x017F;treben, werden ihm ohn&#x017F;treitig na&#x0364;her kom-<lb/>
men, als die, welche aus Muthlo&#x017F;igkeit, Nach-<lb/>
la&#x0364;ßigkeit und Tra&#x0364;gheit, das, was durch Ge&#x017F;chik-<lb/>
lichkeit auszurichten wa&#x0364;re, lieber dem Zufalle<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en wollen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Saz la&#x0364;ßt &#x017F;ich fu&#x0364;glich auch auf das ge-<lb/>
meine Leben anwenden. Diejenigen, welche nach<lb/>
Volkommenheit trachten, werden ihr unendlich<lb/>
na&#x0364;her kommen, als die verzagten, muthlo&#x017F;en Se-<lb/>
len, die alberner Wei&#x017F;e bei &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t denken:<lb/>
&#x201C;volkommen i&#x017F;t ja nun einmahl niemand; Vol-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;kommen-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0189] Ich ſchließe dieſen weitlaͤuftigen Unterricht mit einer Betrachtung, welche dich ermuntern wird, jede Vorſchrift, die ich dir gegeben habe, nach deinem beſten Vermoͤgen in Ausuͤbung zu bringen. Bei allen Lehrgebaͤuden, es ſei in der Religion, Staatskunſt, Sittenlehre, oder in irgend einer andern Wiſſenſchaft, iſt allezeit Volkommenheit der vorgeſezte, wiewohl moͤglicher Weiſe nie zu errei- chende Endzwek. Bis jezt wenigſtens hat derſelbe noch von keinem Sterblichen erreicht werden koͤn- nen. Allein diejenigen, welche nach dieſem Ziele eifrig ſtreben, werden ihm ohnſtreitig naͤher kom- men, als die, welche aus Muthloſigkeit, Nach- laͤßigkeit und Traͤgheit, das, was durch Geſchik- lichkeit auszurichten waͤre, lieber dem Zufalle uͤberlaſſen wollen. Dieſer Saz laͤßt ſich fuͤglich auch auf das ge- meine Leben anwenden. Diejenigen, welche nach Volkommenheit trachten, werden ihr unendlich naͤher kommen, als die verzagten, muthloſen Se- len, die alberner Weiſe bei ſich ſelbſt denken: “volkommen iſt ja nun einmahl niemand; Vol- „kommen- M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/189
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/189>, abgerufen am 09.11.2024.