Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Schönheiten, das Uebermaß für unmöglich. Da-
her ist hier Urtheilskraft nöthig, um die Wirkun-
gen einer vortreflichen Ursache zu mäßigen und
zu leiten.

Ich wil gegenwärtig das Gesagte nicht auf
eine besondre Tugend, sondern auf eine Vortref-
lichkeit anwenden, die aus Mangel an Urtheils-
kraft oft die Ursache lächerlicher und tadelhafter
Wirkungen wird. Ich meine große Gelehrsam-
keit, die, wenn nicht gesunde Urtheilskraft sie
begleitet, uns oft zu Irthum, Stolz und Pedan-
terie verführt. Da ich nun hoffe, du wirst diese
Vortreflichkeit künftig in ihrem äußersten Um-
fange besizen: so werden dir die Winke, die dir
meine Erfahrung hierüber an die Hand geben kan,
wahrscheinlicher Weise nicht unnüz sein.

Einige auf ihr Wissen stolze Gelehrte reden
blos, um zu entscheiden, und geben Urtheile von
sich, von denen keine weitere Berufung gilt. Die
Folge davon ist, daß die Menschen, durch die
Beleidigung aufgebracht, und durch die Unter-
drükkung beschimpft, sich empören, und, um sich
der Tirannei zu entschlagen, sogar ein rechtmäßi-

ges
J 4

Schoͤnheiten, das Uebermaß fuͤr unmoͤglich. Da-
her iſt hier Urtheilskraft noͤthig, um die Wirkun-
gen einer vortreflichen Urſache zu maͤßigen und
zu leiten.

Ich wil gegenwaͤrtig das Geſagte nicht auf
eine beſondre Tugend, ſondern auf eine Vortref-
lichkeit anwenden, die aus Mangel an Urtheils-
kraft oft die Urſache laͤcherlicher und tadelhafter
Wirkungen wird. Ich meine große Gelehrſam-
keit, die, wenn nicht geſunde Urtheilskraft ſie
begleitet, uns oft zu Irthum, Stolz und Pedan-
terie verfuͤhrt. Da ich nun hoffe, du wirſt dieſe
Vortreflichkeit kuͤnftig in ihrem aͤußerſten Um-
fange beſizen: ſo werden dir die Winke, die dir
meine Erfahrung hieruͤber an die Hand geben kan,
wahrſcheinlicher Weiſe nicht unnuͤz ſein.

Einige auf ihr Wiſſen ſtolze Gelehrte reden
blos, um zu entſcheiden, und geben Urtheile von
ſich, von denen keine weitere Berufung gilt. Die
Folge davon iſt, daß die Menſchen, durch die
Beleidigung aufgebracht, und durch die Unter-
druͤkkung beſchimpft, ſich empoͤren, und, um ſich
der Tirannei zu entſchlagen, ſogar ein rechtmaͤßi-

ges
J 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="135"/>
Scho&#x0364;nheiten, das Uebermaß fu&#x0364;r unmo&#x0364;glich. Da-<lb/>
her i&#x017F;t hier Urtheilskraft no&#x0364;thig, um die Wirkun-<lb/>
gen einer vortreflichen Ur&#x017F;ache zu ma&#x0364;ßigen und<lb/>
zu leiten.</p><lb/>
        <p>Ich wil gegenwa&#x0364;rtig das Ge&#x017F;agte nicht auf<lb/>
eine be&#x017F;ondre Tugend, &#x017F;ondern auf eine Vortref-<lb/>
lichkeit anwenden, die aus Mangel an Urtheils-<lb/>
kraft oft die Ur&#x017F;ache la&#x0364;cherlicher und tadelhafter<lb/>
Wirkungen wird. Ich meine große Gelehr&#x017F;am-<lb/>
keit, die, wenn nicht ge&#x017F;unde Urtheilskraft &#x017F;ie<lb/>
begleitet, uns oft zu Irthum, Stolz und Pedan-<lb/>
terie verfu&#x0364;hrt. Da ich nun hoffe, du wir&#x017F;t die&#x017F;e<lb/>
Vortreflichkeit ku&#x0364;nftig in ihrem a&#x0364;ußer&#x017F;ten Um-<lb/>
fange be&#x017F;izen: &#x017F;o werden dir die Winke, die dir<lb/>
meine Erfahrung hieru&#x0364;ber an die Hand geben kan,<lb/>
wahr&#x017F;cheinlicher Wei&#x017F;e nicht unnu&#x0364;z &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Einige auf ihr Wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tolze Gelehrte reden<lb/>
blos, um zu ent&#x017F;cheiden, und geben Urtheile von<lb/>
&#x017F;ich, von denen keine weitere Berufung gilt. Die<lb/>
Folge davon i&#x017F;t, daß die Men&#x017F;chen, durch die<lb/>
Beleidigung aufgebracht, und durch die Unter-<lb/>
dru&#x0364;kkung be&#x017F;chimpft, &#x017F;ich empo&#x0364;ren, und, um &#x017F;ich<lb/>
der Tirannei zu ent&#x017F;chlagen, &#x017F;ogar ein rechtma&#x0364;ßi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ges</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0141] Schoͤnheiten, das Uebermaß fuͤr unmoͤglich. Da- her iſt hier Urtheilskraft noͤthig, um die Wirkun- gen einer vortreflichen Urſache zu maͤßigen und zu leiten. Ich wil gegenwaͤrtig das Geſagte nicht auf eine beſondre Tugend, ſondern auf eine Vortref- lichkeit anwenden, die aus Mangel an Urtheils- kraft oft die Urſache laͤcherlicher und tadelhafter Wirkungen wird. Ich meine große Gelehrſam- keit, die, wenn nicht geſunde Urtheilskraft ſie begleitet, uns oft zu Irthum, Stolz und Pedan- terie verfuͤhrt. Da ich nun hoffe, du wirſt dieſe Vortreflichkeit kuͤnftig in ihrem aͤußerſten Um- fange beſizen: ſo werden dir die Winke, die dir meine Erfahrung hieruͤber an die Hand geben kan, wahrſcheinlicher Weiſe nicht unnuͤz ſein. Einige auf ihr Wiſſen ſtolze Gelehrte reden blos, um zu entſcheiden, und geben Urtheile von ſich, von denen keine weitere Berufung gilt. Die Folge davon iſt, daß die Menſchen, durch die Beleidigung aufgebracht, und durch die Unter- druͤkkung beſchimpft, ſich empoͤren, und, um ſich der Tirannei zu entſchlagen, ſogar ein rechtmaͤßi- ges J 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/141
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/141>, abgerufen am 05.12.2024.