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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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der unabhängig, so wohl von eigentlichen Berufs-
pflichten, als auch von dem Willen anderer Men-
schen, größtentheils nur sich selber leben wil und
kan: aber auch für jeden andern? Auch für den
Man in öffentlichen Geschäften, der eben so wenig
von seinem Amte, als das Amt von ihm ent-
behrt werden kan?

Die Herrn haben Recht, sobald von Werken
des Geschmaks oder der Laune die Rede ist. Diese
lassen sich freilich nicht erzwingen; denn die Glokke
des Genies schlägt nicht zu allen Stunden.
Aber kan auch etwas übereilteres erdacht werden,
als die Vorschriften der Schönschreiberei, die Sit-
tenlehre des regellosen Genies, auf das Verhalten
des geschäftigen Mannes im gemeinen Leben an-
wenden zu wollen? Und doch wie oft sieht man
unsere heutigen jungen Feuerköpfe sich dieser Ue-
bereilung schuldig machen?



Warte also mit solchen Arbeiten, welche dein
Beruf dir auflegt, und welche regelmäßig ver-
richtet sein wollen, nicht erst auf Stunden der
Begeisterung, welche vielleicht ausbleiben dürften,

sondern
E

der unabhaͤngig, ſo wohl von eigentlichen Berufs-
pflichten, als auch von dem Willen anderer Men-
ſchen, groͤßtentheils nur ſich ſelber leben wil und
kan: aber auch fuͤr jeden andern? Auch fuͤr den
Man in oͤffentlichen Geſchaͤften, der eben ſo wenig
von ſeinem Amte, als das Amt von ihm ent-
behrt werden kan?

Die Herrn haben Recht, ſobald von Werken
des Geſchmaks oder der Laune die Rede iſt. Dieſe
laſſen ſich freilich nicht erzwingen; denn die Glokke
des Genies ſchlaͤgt nicht zu allen Stunden.
Aber kan auch etwas uͤbereilteres erdacht werden,
als die Vorſchriften der Schoͤnſchreiberei, die Sit-
tenlehre des regelloſen Genies, auf das Verhalten
des geſchaͤftigen Mannes im gemeinen Leben an-
wenden zu wollen? Und doch wie oft ſieht man
unſere heutigen jungen Feuerkoͤpfe ſich dieſer Ue-
bereilung ſchuldig machen?



Warte alſo mit ſolchen Arbeiten, welche dein
Beruf dir auflegt, und welche regelmaͤßig ver-
richtet ſein wollen, nicht erſt auf Stunden der
Begeiſterung, welche vielleicht ausbleiben duͤrften,

ſondern
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[65/0095] der unabhaͤngig, ſo wohl von eigentlichen Berufs- pflichten, als auch von dem Willen anderer Men- ſchen, groͤßtentheils nur ſich ſelber leben wil und kan: aber auch fuͤr jeden andern? Auch fuͤr den Man in oͤffentlichen Geſchaͤften, der eben ſo wenig von ſeinem Amte, als das Amt von ihm ent- behrt werden kan? Die Herrn haben Recht, ſobald von Werken des Geſchmaks oder der Laune die Rede iſt. Dieſe laſſen ſich freilich nicht erzwingen; denn die Glokke des Genies ſchlaͤgt nicht zu allen Stunden. Aber kan auch etwas uͤbereilteres erdacht werden, als die Vorſchriften der Schoͤnſchreiberei, die Sit- tenlehre des regelloſen Genies, auf das Verhalten des geſchaͤftigen Mannes im gemeinen Leben an- wenden zu wollen? Und doch wie oft ſieht man unſere heutigen jungen Feuerkoͤpfe ſich dieſer Ue- bereilung ſchuldig machen? Warte alſo mit ſolchen Arbeiten, welche dein Beruf dir auflegt, und welche regelmaͤßig ver- richtet ſein wollen, nicht erſt auf Stunden der Begeiſterung, welche vielleicht ausbleiben duͤrften, ſondern E

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/95>, abgerufen am 23.11.2024.