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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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Das schlimste in solchen Fällen ist, daß der
junge unerfahrne Man, aus Mangel an Welt-
kentniß, die Lage eines jeden andern Menschen
für glüklich, und nur die seinige, die seinige allein,
für äusserst elend hält. Da geht es denn gemei-
niglich an ein Vergleichen seiner Talente, seiner
Gemüthsbeschaffenheit, mit den Talenten und
Karakteren anderer Menschen; und die Eigenliebe
sorgt dafür, daß seine eigene werthe Persönlichkeit
bei dieser Vergleichung allemahl gewinnen muß.
Dan kan er nicht begreifen, wie der und jener,
die doch in jeder Betrachtung so weit unter ihm
stehen, an Glük und Gemächlichkeit ihm so weit
vorgesezt sind! Dan wird mit dem Himmel ge-
schmolt; und der unschuldige Himmel hat doch
weiter nichts gethan, als daß er den Wunsch des
jungen Thoren erfülte, und ihn dahin stelte, wo
er zu sein so sehnlich gewünscht hatte. Hätt' er
dieses nicht gethan, würde sein Weltregiment we-
niger getadelt worden sein?

Besäße der unzufriedene Jüngling diejenige
Erfahrung schon, die er nach zehn oder zwanzig
Jahren haben wird; hätt' er in allen Ständen

der
C 3

Das ſchlimſte in ſolchen Faͤllen iſt, daß der
junge unerfahrne Man, aus Mangel an Welt-
kentniß, die Lage eines jeden andern Menſchen
fuͤr gluͤklich, und nur die ſeinige, die ſeinige allein,
fuͤr aͤuſſerſt elend haͤlt. Da geht es denn gemei-
niglich an ein Vergleichen ſeiner Talente, ſeiner
Gemuͤthsbeſchaffenheit, mit den Talenten und
Karakteren anderer Menſchen; und die Eigenliebe
ſorgt dafuͤr, daß ſeine eigene werthe Perſoͤnlichkeit
bei dieſer Vergleichung allemahl gewinnen muß.
Dan kan er nicht begreifen, wie der und jener,
die doch in jeder Betrachtung ſo weit unter ihm
ſtehen, an Gluͤk und Gemaͤchlichkeit ihm ſo weit
vorgeſezt ſind! Dan wird mit dem Himmel ge-
ſchmolt; und der unſchuldige Himmel hat doch
weiter nichts gethan, als daß er den Wunſch des
jungen Thoren erfuͤlte, und ihn dahin ſtelte, wo
er zu ſein ſo ſehnlich gewuͤnſcht hatte. Haͤtt’ er
dieſes nicht gethan, wuͤrde ſein Weltregiment we-
niger getadelt worden ſein?

Beſaͤße der unzufriedene Juͤngling diejenige
Erfahrung ſchon, die er nach zehn oder zwanzig
Jahren haben wird; haͤtt’ er in allen Staͤnden

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[37/0067] Das ſchlimſte in ſolchen Faͤllen iſt, daß der junge unerfahrne Man, aus Mangel an Welt- kentniß, die Lage eines jeden andern Menſchen fuͤr gluͤklich, und nur die ſeinige, die ſeinige allein, fuͤr aͤuſſerſt elend haͤlt. Da geht es denn gemei- niglich an ein Vergleichen ſeiner Talente, ſeiner Gemuͤthsbeſchaffenheit, mit den Talenten und Karakteren anderer Menſchen; und die Eigenliebe ſorgt dafuͤr, daß ſeine eigene werthe Perſoͤnlichkeit bei dieſer Vergleichung allemahl gewinnen muß. Dan kan er nicht begreifen, wie der und jener, die doch in jeder Betrachtung ſo weit unter ihm ſtehen, an Gluͤk und Gemaͤchlichkeit ihm ſo weit vorgeſezt ſind! Dan wird mit dem Himmel ge- ſchmolt; und der unſchuldige Himmel hat doch weiter nichts gethan, als daß er den Wunſch des jungen Thoren erfuͤlte, und ihn dahin ſtelte, wo er zu ſein ſo ſehnlich gewuͤnſcht hatte. Haͤtt’ er dieſes nicht gethan, wuͤrde ſein Weltregiment we- niger getadelt worden ſein? Beſaͤße der unzufriedene Juͤngling diejenige Erfahrung ſchon, die er nach zehn oder zwanzig Jahren haben wird; haͤtt’ er in allen Staͤnden der C 3

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/67>, abgerufen am 28.11.2024.