Stufe der Kultur zu erheben, die er, so alge- mein wie nun, noch nie erreicht hatte. Der Ge- schmak ist veredelt, das sitliche Empfindungsver- mögen verfeinert, die Einbildungskraft beflügelt, der Verstand und das Gedächtniß mit einer über- schwenglichen Fülle von Kentnißen bereichert, und zugleich die ganze Aussenseite des Menschen mit erkünstelter Anmuth übersirnißt worden. Glük- lich, wenn das himlische Roß, nach Plato's Allegorie, seinen irdischen Gefährten mit sich hin- aufgezogen hätte auf den Felsengipfel, wohin man es gespornt hat, und nun beide ihren Lauf gemeinschaftlich fortsezen könten! Aber leider! ist dis nicht geschehen. In eben dem Maaße, in welchem die Kultur des Geistes durch Künste und Wissenschaften betrieben ward, hat man die kör- perlichen Kräfte unserer Natur, hat man zugleich Lust und Vermögen zu allen anstrengenden, die Phantasie und die beschauenden Fähigkeiten un- serer Sele weniger beschäftigenden Arbeiten, hat man die den Deutschen sonst so eigene Strebsam- keit und das unverdrossene Ausdauern in anhal- tenden und mühsamen Geschäften, hat man end-
lich
Stufe der Kultur zu erheben, die er, ſo alge- mein wie nun, noch nie erreicht hatte. Der Ge- ſchmak iſt veredelt, das ſitliche Empfindungsver- moͤgen verfeinert, die Einbildungskraft befluͤgelt, der Verſtand und das Gedaͤchtniß mit einer uͤber- ſchwenglichen Fuͤlle von Kentnißen bereichert, und zugleich die ganze Auſſenſeite des Menſchen mit erkuͤnſtelter Anmuth uͤberſirnißt worden. Gluͤk- lich, wenn das himliſche Roß, nach Plato’s Allegorie, ſeinen irdiſchen Gefaͤhrten mit ſich hin- aufgezogen haͤtte auf den Felſengipfel, wohin man es geſpornt hat, und nun beide ihren Lauf gemeinſchaftlich fortſezen koͤnten! Aber leider! iſt dis nicht geſchehen. In eben dem Maaße, in welchem die Kultur des Geiſtes durch Kuͤnſte und Wiſſenſchaften betrieben ward, hat man die koͤr- perlichen Kraͤfte unſerer Natur, hat man zugleich Luſt und Vermoͤgen zu allen anſtrengenden, die Phantaſie und die beſchauenden Faͤhigkeiten un- ſerer Sele weniger beſchaͤftigenden Arbeiten, hat man die den Deutſchen ſonſt ſo eigene Strebſam- keit und das unverdroſſene Ausdauern in anhal- tenden und muͤhſamen Geſchaͤften, hat man end-
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Stufe der Kultur zu erheben, die er, ſo alge-
mein wie nun, noch nie erreicht hatte. Der Ge-
ſchmak iſt veredelt, das ſitliche Empfindungsver-
moͤgen verfeinert, die Einbildungskraft befluͤgelt,
der Verſtand und das Gedaͤchtniß mit einer uͤber-
ſchwenglichen Fuͤlle von Kentnißen bereichert, und
zugleich die ganze Auſſenſeite des Menſchen mit
erkuͤnſtelter Anmuth uͤberſirnißt worden. Gluͤk-
lich, wenn das himliſche Roß, nach Plato’s
Allegorie, ſeinen irdiſchen Gefaͤhrten mit ſich hin-
aufgezogen haͤtte auf den Felſengipfel, wohin
man es geſpornt hat, und nun beide ihren Lauf
gemeinſchaftlich fortſezen koͤnten! Aber leider!
iſt dis nicht geſchehen. In eben dem Maaße, in
welchem die Kultur des Geiſtes durch Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften betrieben ward, hat man die koͤr-
perlichen Kraͤfte unſerer Natur, hat man zugleich
Luſt und Vermoͤgen zu allen anſtrengenden, die
Phantaſie und die beſchauenden Faͤhigkeiten un-
ſerer Sele weniger beſchaͤftigenden Arbeiten, hat
man die den Deutſchen ſonſt ſo eigene Strebſam-
keit und das unverdroſſene Ausdauern in anhal-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/58>, abgerufen am 24.11.2024.
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