Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

serung und Vervolkomnung zu arbeiten. Er ist
am geschiktesten zu dieser Beschäftigung, nachdem
er durch eine Reihe beträchtlicher Erfahrungen
sich selbst und die Welt kennen zu lernen angefan-
gen hat, und indem er solchergestalt an sich selbst
arbeitet, arbeitet er wirklich für die Welt.
Denn um so viel geschikter wird er, seinen Freun-
den, seinem Vaterlande und den Menschen über-
haupt nüzlich zu sein und in einem größern oder
kleinern Kreise mit mehr oder weniger Gepränge,
auf eine öffentliche oder nicht so merkliche Art,
zum algemeinen Besten des Sistems mitzu-
wirken."

Es ist eine der gefährlichsten Seuchen, an
der unser Zeitalter vorzüglich krank liegt, daß
jeder unbärtige Knabe, der so eben erst der Ruthe
seines Lehrmeisters entsprungen ist, sich nun schon
für fähig und für berufen hält, ein Lehrer des
menschlichen Geschlechts zu werden. Hat er
einige Romane und Gedichtchen, einen Wust
sogenanter gelehrten Zeitungen und Bibliotheken
gelesen; hat er ein Paar Duzend schönklingender
neumodischer Phrasen und affektirter Wendungen

auf-
B 5

ſerung und Vervolkomnung zu arbeiten. Er iſt
am geſchikteſten zu dieſer Beſchaͤftigung, nachdem
er durch eine Reihe betraͤchtlicher Erfahrungen
ſich ſelbſt und die Welt kennen zu lernen angefan-
gen hat, und indem er ſolchergeſtalt an ſich ſelbſt
arbeitet, arbeitet er wirklich fuͤr die Welt.
Denn um ſo viel geſchikter wird er, ſeinen Freun-
den, ſeinem Vaterlande und den Menſchen uͤber-
haupt nuͤzlich zu ſein und in einem groͤßern oder
kleinern Kreiſe mit mehr oder weniger Gepraͤnge,
auf eine oͤffentliche oder nicht ſo merkliche Art,
zum algemeinen Beſten des Siſtems mitzu-
wirken.„

Es iſt eine der gefaͤhrlichſten Seuchen, an
der unſer Zeitalter vorzuͤglich krank liegt, daß
jeder unbaͤrtige Knabe, der ſo eben erſt der Ruthe
ſeines Lehrmeiſters entſprungen iſt, ſich nun ſchon
fuͤr faͤhig und fuͤr berufen haͤlt, ein Lehrer des
menſchlichen Geſchlechts zu werden. Hat er
einige Romane und Gedichtchen, einen Wuſt
ſogenanter gelehrten Zeitungen und Bibliotheken
geleſen; hat er ein Paar Duzend ſchoͤnklingender
neumodiſcher Phraſen und affektirter Wendungen

auf-
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="25"/>
&#x017F;erung und Vervolkomnung zu arbeiten. Er i&#x017F;t<lb/>
am ge&#x017F;chikte&#x017F;ten zu die&#x017F;er Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung, nachdem<lb/>
er durch eine Reihe betra&#x0364;chtlicher Erfahrungen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und die Welt kennen zu lernen angefan-<lb/>
gen hat, und indem er &#x017F;olcherge&#x017F;talt <hi rendition="#fr">an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t</hi><lb/>
arbeitet, arbeitet er wirklich <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r die Welt</hi>.<lb/>
Denn um &#x017F;o viel ge&#x017F;chikter wird er, &#x017F;einen Freun-<lb/>
den, &#x017F;einem Vaterlande und den Men&#x017F;chen u&#x0364;ber-<lb/>
haupt nu&#x0364;zlich zu &#x017F;ein und in einem gro&#x0364;ßern oder<lb/>
kleinern Krei&#x017F;e mit mehr oder weniger Gepra&#x0364;nge,<lb/>
auf eine o&#x0364;ffentliche oder nicht &#x017F;o merkliche Art,<lb/>
zum algemeinen Be&#x017F;ten des Si&#x017F;tems mitzu-<lb/>
wirken.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t eine der gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten Seuchen, an<lb/>
der un&#x017F;er Zeitalter vorzu&#x0364;glich krank liegt, daß<lb/>
jeder unba&#x0364;rtige Knabe, der &#x017F;o eben er&#x017F;t der Ruthe<lb/>
&#x017F;eines Lehrmei&#x017F;ters ent&#x017F;prungen i&#x017F;t, &#x017F;ich nun &#x017F;chon<lb/>
fu&#x0364;r fa&#x0364;hig und fu&#x0364;r berufen ha&#x0364;lt, ein Lehrer des<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts zu werden. Hat er<lb/>
einige Romane und Gedichtchen, einen Wu&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ogenanter gelehrten Zeitungen und Bibliotheken<lb/>
gele&#x017F;en; hat er ein Paar Duzend &#x017F;cho&#x0364;nklingender<lb/>
neumodi&#x017F;cher Phra&#x017F;en und affektirter Wendungen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">auf-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0055] ſerung und Vervolkomnung zu arbeiten. Er iſt am geſchikteſten zu dieſer Beſchaͤftigung, nachdem er durch eine Reihe betraͤchtlicher Erfahrungen ſich ſelbſt und die Welt kennen zu lernen angefan- gen hat, und indem er ſolchergeſtalt an ſich ſelbſt arbeitet, arbeitet er wirklich fuͤr die Welt. Denn um ſo viel geſchikter wird er, ſeinen Freun- den, ſeinem Vaterlande und den Menſchen uͤber- haupt nuͤzlich zu ſein und in einem groͤßern oder kleinern Kreiſe mit mehr oder weniger Gepraͤnge, auf eine oͤffentliche oder nicht ſo merkliche Art, zum algemeinen Beſten des Siſtems mitzu- wirken.„ Es iſt eine der gefaͤhrlichſten Seuchen, an der unſer Zeitalter vorzuͤglich krank liegt, daß jeder unbaͤrtige Knabe, der ſo eben erſt der Ruthe ſeines Lehrmeiſters entſprungen iſt, ſich nun ſchon fuͤr faͤhig und fuͤr berufen haͤlt, ein Lehrer des menſchlichen Geſchlechts zu werden. Hat er einige Romane und Gedichtchen, einen Wuſt ſogenanter gelehrten Zeitungen und Bibliotheken geleſen; hat er ein Paar Duzend ſchoͤnklingender neumodiſcher Phraſen und affektirter Wendungen auf- B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/55
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/55>, abgerufen am 24.11.2024.