mit der reichsten Mannigfaltigkeit von Gärten, Wäldern, Wiesen, Aekkern, Flüssen und Dorf- schaften, vor ihnen ausgebreitet lag. Sie schwie- gen eine gute Weile, indem jeder von ihnen sich seinen eigenen Empfindungen überließ. Endlich faßte Theophron die Hand seines Sohns, drükte sie mit Innigkeit, und fühlte auf der seinigen Kleons Lippen mit einem warmen kindlichen Kusse beben.
Mein guter Sohn, sagt' er, indem er sich die Augen wischte, die Zeit ist nun da, daß wir uns trennen müssen. Du wirst die gefahrvolle Wanderschaft des Lebens allein antreten, ohne fernerhin deinen väterlichen Freund zum Gefährten und Führer zu haben. Aber mein Geist sol mit Liebe, Rath, und guten Seegenswünschen bestän- dig bei dir sein, wohin der Weg, den die Vor- sehung dir nun anweisen wird, auch immer führen mag. Und wan ich selbst nicht mehr hier bin; wan unser gemeinschaftlicher Vater diesen meinen unsterblichen Geist nach andern Gegenden seines unermeßlichen Weltals abrufen wird: dan, mein Sohn, dan ist Er, unser guter Schöpfer
selbst,
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mit der reichſten Mannigfaltigkeit von Gaͤrten, Waͤldern, Wieſen, Aekkern, Fluͤſſen und Dorf- ſchaften, vor ihnen ausgebreitet lag. Sie ſchwie- gen eine gute Weile, indem jeder von ihnen ſich ſeinen eigenen Empfindungen uͤberließ. Endlich faßte Theophron die Hand ſeines Sohns, druͤkte ſie mit Innigkeit, und fuͤhlte auf der ſeinigen Kleons Lippen mit einem warmen kindlichen Kuſſe beben.
Mein guter Sohn, ſagt’ er, indem er ſich die Augen wiſchte, die Zeit iſt nun da, daß wir uns trennen muͤſſen. Du wirſt die gefahrvolle Wanderſchaft des Lebens allein antreten, ohne fernerhin deinen vaͤterlichen Freund zum Gefaͤhrten und Fuͤhrer zu haben. Aber mein Geiſt ſol mit Liebe, Rath, und guten Seegenswuͤnſchen beſtaͤn- dig bei dir ſein, wohin der Weg, den die Vor- ſehung dir nun anweiſen wird, auch immer fuͤhren mag. Und wan ich ſelbſt nicht mehr hier bin; wan unſer gemeinſchaftlicher Vater dieſen meinen unſterblichen Geiſt nach andern Gegenden ſeines unermeßlichen Weltals abrufen wird: dan, mein Sohn, dan iſt Er, unſer guter Schoͤpfer
ſelbſt,
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mit der reichſten Mannigfaltigkeit von Gaͤrten,
Waͤldern, Wieſen, Aekkern, Fluͤſſen und Dorf-
ſchaften, vor ihnen ausgebreitet lag. Sie ſchwie-
gen eine gute Weile, indem jeder von ihnen ſich
ſeinen eigenen Empfindungen uͤberließ. Endlich
faßte Theophron die Hand ſeines Sohns, druͤkte
ſie mit Innigkeit, und fuͤhlte auf der ſeinigen
Kleons Lippen mit einem warmen kindlichen
Kuſſe beben.
Mein guter Sohn, ſagt’ er, indem er ſich
die Augen wiſchte, die Zeit iſt nun da, daß wir
uns trennen muͤſſen. Du wirſt die gefahrvolle
Wanderſchaft des Lebens allein antreten, ohne
fernerhin deinen vaͤterlichen Freund zum Gefaͤhrten
und Fuͤhrer zu haben. Aber mein Geiſt ſol mit
Liebe, Rath, und guten Seegenswuͤnſchen beſtaͤn-
dig bei dir ſein, wohin der Weg, den die Vor-
ſehung dir nun anweiſen wird, auch immer fuͤhren
mag. Und wan ich ſelbſt nicht mehr hier bin;
wan unſer gemeinſchaftlicher Vater dieſen meinen
unſterblichen Geiſt nach andern Gegenden ſeines
unermeßlichen Weltals abrufen wird: dan,
mein Sohn, dan iſt Er, unſer guter Schoͤpfer
ſelbſt,
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/35>, abgerufen am 16.07.2024.
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