Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

schaudern. Nimmer, nimmer wirst du dir er-
lauben, die geringste Gemeinschaft mit ihnen zu
haben, fest überzeugt, daß die Pest selbst nicht
anstekkender und nicht verderblicher für den Leib
sei, als der vertraute Umgang mit solchen Leuten
für die empfängliche Sele eines jungen Menschen
ist. Du wirst dich zehnmahl lieber ihrem Unwil-
len, ihrem Spot und ihrer Feindschaft aussezen,
als aus thörigter Gefälligkeit, oder aus schändlicher
Furchtsamkeit, an ihren viehischen Ausschweifun-
gen Theil nehmen wollen. -- Nicht wahr, mein
Kleon, ich irre mich nicht, wenn ich diese Hof-
nung von dir hege, und wenn ich fest überzeugt
bin, daß du sie niemahls täuschen werdest?

Kleon warf sich ihm in die Arme, und sagte:
er habe das Vertrauen zu Gott, daß er ihm das
Geschenk des Lebens lieber jezt in seines Vaters
Armen wieder abfodern, als es ihm länger fristen
würde, wenn seine Alwissenheit vorhersähe, daß
er es jemahls durch wissentliche Untugenden und
Laster beflekken könte.

Wohl denn! antwortete der gerührte Vater;
ich vermeide also alle überflüssige Erinnerungen,

und

ſchaudern. Nimmer, nimmer wirſt du dir er-
lauben, die geringſte Gemeinſchaft mit ihnen zu
haben, feſt uͤberzeugt, daß die Peſt ſelbſt nicht
anſtekkender und nicht verderblicher fuͤr den Leib
ſei, als der vertraute Umgang mit ſolchen Leuten
fuͤr die empfaͤngliche Sele eines jungen Menſchen
iſt. Du wirſt dich zehnmahl lieber ihrem Unwil-
len, ihrem Spot und ihrer Feindſchaft ausſezen,
als aus thoͤrigter Gefaͤlligkeit, oder aus ſchaͤndlicher
Furchtſamkeit, an ihren viehiſchen Ausſchweifun-
gen Theil nehmen wollen. — Nicht wahr, mein
Kleon, ich irre mich nicht, wenn ich dieſe Hof-
nung von dir hege, und wenn ich feſt uͤberzeugt
bin, daß du ſie niemahls taͤuſchen werdeſt?

Kleon warf ſich ihm in die Arme, und ſagte:
er habe das Vertrauen zu Gott, daß er ihm das
Geſchenk des Lebens lieber jezt in ſeines Vaters
Armen wieder abfodern, als es ihm laͤnger friſten
wuͤrde, wenn ſeine Alwiſſenheit vorherſaͤhe, daß
er es jemahls durch wiſſentliche Untugenden und
Laſter beflekken koͤnte.

Wohl denn! antwortete der geruͤhrte Vater;
ich vermeide alſo alle uͤberfluͤſſige Erinnerungen,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="226"/>
&#x017F;chaudern. Nimmer, nimmer wir&#x017F;t du dir er-<lb/>
lauben, die gering&#x017F;te Gemein&#x017F;chaft mit ihnen zu<lb/>
haben, fe&#x017F;t u&#x0364;berzeugt, daß die Pe&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t nicht<lb/>
an&#x017F;tekkender und nicht verderblicher fu&#x0364;r den Leib<lb/>
&#x017F;ei, als der vertraute Umgang mit &#x017F;olchen Leuten<lb/>
fu&#x0364;r die empfa&#x0364;ngliche Sele eines jungen Men&#x017F;chen<lb/>
i&#x017F;t. Du wir&#x017F;t dich zehnmahl lieber ihrem Unwil-<lb/>
len, ihrem Spot und ihrer Feind&#x017F;chaft aus&#x017F;ezen,<lb/>
als aus tho&#x0364;rigter Gefa&#x0364;lligkeit, oder aus &#x017F;cha&#x0364;ndlicher<lb/>
Furcht&#x017F;amkeit, an ihren viehi&#x017F;chen Aus&#x017F;chweifun-<lb/>
gen Theil nehmen wollen. &#x2014; Nicht wahr, mein<lb/>
Kleon, ich irre mich nicht, wenn ich die&#x017F;e Hof-<lb/>
nung von dir hege, und wenn ich fe&#x017F;t u&#x0364;berzeugt<lb/>
bin, daß du &#x017F;ie niemahls ta&#x0364;u&#x017F;chen werde&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Kleon warf &#x017F;ich ihm in die Arme, und &#x017F;agte:<lb/>
er habe das Vertrauen zu Gott, daß er ihm das<lb/>
Ge&#x017F;chenk des Lebens lieber jezt in &#x017F;eines Vaters<lb/>
Armen wieder abfodern, als es ihm la&#x0364;nger fri&#x017F;ten<lb/>
wu&#x0364;rde, wenn &#x017F;eine Alwi&#x017F;&#x017F;enheit vorher&#x017F;a&#x0364;he, daß<lb/>
er es jemahls durch wi&#x017F;&#x017F;entliche Untugenden und<lb/>
La&#x017F;ter beflekken ko&#x0364;nte.</p><lb/>
        <p>Wohl denn! antwortete der geru&#x0364;hrte Vater;<lb/>
ich vermeide al&#x017F;o alle u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Erinnerungen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0256] ſchaudern. Nimmer, nimmer wirſt du dir er- lauben, die geringſte Gemeinſchaft mit ihnen zu haben, feſt uͤberzeugt, daß die Peſt ſelbſt nicht anſtekkender und nicht verderblicher fuͤr den Leib ſei, als der vertraute Umgang mit ſolchen Leuten fuͤr die empfaͤngliche Sele eines jungen Menſchen iſt. Du wirſt dich zehnmahl lieber ihrem Unwil- len, ihrem Spot und ihrer Feindſchaft ausſezen, als aus thoͤrigter Gefaͤlligkeit, oder aus ſchaͤndlicher Furchtſamkeit, an ihren viehiſchen Ausſchweifun- gen Theil nehmen wollen. — Nicht wahr, mein Kleon, ich irre mich nicht, wenn ich dieſe Hof- nung von dir hege, und wenn ich feſt uͤberzeugt bin, daß du ſie niemahls taͤuſchen werdeſt? Kleon warf ſich ihm in die Arme, und ſagte: er habe das Vertrauen zu Gott, daß er ihm das Geſchenk des Lebens lieber jezt in ſeines Vaters Armen wieder abfodern, als es ihm laͤnger friſten wuͤrde, wenn ſeine Alwiſſenheit vorherſaͤhe, daß er es jemahls durch wiſſentliche Untugenden und Laſter beflekken koͤnte. Wohl denn! antwortete der geruͤhrte Vater; ich vermeide alſo alle uͤberfluͤſſige Erinnerungen, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/256
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/256>, abgerufen am 22.11.2024.