erworbenen Schäzen prahlt. Ich habe Leute gekant, welche mit einem Herzen vol Wohlwollen und Rechtschaffenheit die rauhsten Fluchworte aus- stoßen konten; Flüche, von denen Sterne sagt, "daß der einregistrirende Engel in der Himmels- kanzelei eine Träne darauf fallen lasse, um sie wieder auszulöschen": aber nie nie hab' ich An- dächtler, Leute, welche in ihren Blikken, Mienen, Gebehrden und Worten eine ausserordentliche Frömmigkeit an den Tag zu legen suchten, ge- sehn, von denen es sich nicht bald gezeigt hätte, daß sie Heuchler waren, die ihre ganze Recht- schaffenheit in die beständige Einmischung from- klingender Worte, in die öftere Anführung bibli- scher Stellen, und in die pünktlichste Beobachtung gottesdienstlicher Gebräuche sezten, ohne dabei die algemeinsten Pflichten der Ehrlichkeit und Ge- rechtigkeit zu erfüllen. Das sind gefährliche Men- schen, mein Sohn, vor denen man nicht genug auf seiner Hut sein kan: denn was läßt sich nicht alles von dem erwarten, der das, was den Menschen das Heiligste und Ehrwürdigste ist, zum Dekmantel seiner Bübereien macht; der die
Bibel,
erworbenen Schaͤzen prahlt. Ich habe Leute gekant, welche mit einem Herzen vol Wohlwollen und Rechtſchaffenheit die rauhſten Fluchworte aus- ſtoßen konten; Fluͤche, von denen Sterne ſagt, “daß der einregiſtrirende Engel in der Himmels- kanzelei eine Traͤne darauf fallen laſſe, um ſie wieder auszuloͤſchen„: aber nie nie hab’ ich An- daͤchtler, Leute, welche in ihren Blikken, Mienen, Gebehrden und Worten eine auſſerordentliche Froͤmmigkeit an den Tag zu legen ſuchten, ge- ſehn, von denen es ſich nicht bald gezeigt haͤtte, daß ſie Heuchler waren, die ihre ganze Recht- ſchaffenheit in die beſtaͤndige Einmiſchung from- klingender Worte, in die oͤftere Anfuͤhrung bibli- ſcher Stellen, und in die puͤnktlichſte Beobachtung gottesdienſtlicher Gebraͤuche ſezten, ohne dabei die algemeinſten Pflichten der Ehrlichkeit und Ge- rechtigkeit zu erfuͤllen. Das ſind gefaͤhrliche Men- ſchen, mein Sohn, vor denen man nicht genug auf ſeiner Hut ſein kan: denn was laͤßt ſich nicht alles von dem erwarten, der das, was den Menſchen das Heiligſte und Ehrwuͤrdigſte iſt, zum Dekmantel ſeiner Buͤbereien macht; der die
Bibel,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0237"n="207"/>
erworbenen Schaͤzen prahlt. Ich habe Leute<lb/>
gekant, welche mit einem Herzen vol Wohlwollen<lb/>
und Rechtſchaffenheit die rauhſten Fluchworte aus-<lb/>ſtoßen konten; Fluͤche, von denen <hirendition="#fr">Sterne</hi>ſagt,<lb/>“daß der einregiſtrirende Engel in der Himmels-<lb/>
kanzelei eine Traͤne darauf fallen laſſe, um ſie<lb/>
wieder auszuloͤſchen„: aber nie nie hab’ ich An-<lb/>
daͤchtler, Leute, welche in ihren Blikken, Mienen,<lb/>
Gebehrden und Worten eine auſſerordentliche<lb/>
Froͤmmigkeit an den Tag zu legen ſuchten, ge-<lb/>ſehn, von denen es ſich nicht bald gezeigt haͤtte,<lb/>
daß ſie Heuchler waren, die ihre ganze Recht-<lb/>ſchaffenheit in die beſtaͤndige Einmiſchung from-<lb/>
klingender Worte, in die oͤftere Anfuͤhrung bibli-<lb/>ſcher Stellen, und in die puͤnktlichſte Beobachtung<lb/>
gottesdienſtlicher Gebraͤuche ſezten, ohne dabei die<lb/>
algemeinſten Pflichten der Ehrlichkeit und Ge-<lb/>
rechtigkeit zu erfuͤllen. Das ſind gefaͤhrliche Men-<lb/>ſchen, mein Sohn, vor denen man nicht genug<lb/>
auf ſeiner Hut ſein kan: denn was laͤßt ſich nicht<lb/>
alles von dem erwarten, der das, was den<lb/>
Menſchen das Heiligſte und Ehrwuͤrdigſte iſt,<lb/>
zum Dekmantel ſeiner Buͤbereien macht; der die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Bibel,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0237]
erworbenen Schaͤzen prahlt. Ich habe Leute
gekant, welche mit einem Herzen vol Wohlwollen
und Rechtſchaffenheit die rauhſten Fluchworte aus-
ſtoßen konten; Fluͤche, von denen Sterne ſagt,
“daß der einregiſtrirende Engel in der Himmels-
kanzelei eine Traͤne darauf fallen laſſe, um ſie
wieder auszuloͤſchen„: aber nie nie hab’ ich An-
daͤchtler, Leute, welche in ihren Blikken, Mienen,
Gebehrden und Worten eine auſſerordentliche
Froͤmmigkeit an den Tag zu legen ſuchten, ge-
ſehn, von denen es ſich nicht bald gezeigt haͤtte,
daß ſie Heuchler waren, die ihre ganze Recht-
ſchaffenheit in die beſtaͤndige Einmiſchung from-
klingender Worte, in die oͤftere Anfuͤhrung bibli-
ſcher Stellen, und in die puͤnktlichſte Beobachtung
gottesdienſtlicher Gebraͤuche ſezten, ohne dabei die
algemeinſten Pflichten der Ehrlichkeit und Ge-
rechtigkeit zu erfuͤllen. Das ſind gefaͤhrliche Men-
ſchen, mein Sohn, vor denen man nicht genug
auf ſeiner Hut ſein kan: denn was laͤßt ſich nicht
alles von dem erwarten, der das, was den
Menſchen das Heiligſte und Ehrwuͤrdigſte iſt,
zum Dekmantel ſeiner Buͤbereien macht; der die
Bibel,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/237>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.