schaft eine solche Stellung zu nehmen, daß du, dafern es sein muß, wieder zurüktreten könnest, ohne daß du irgend einen, aus Unvorsichtigkeit geschürzten Knoten, auf eine gewaltsame und also schmerzhafte Weise wieder zu zerreissen nöthig habest. Eine, mit Wärme angefangene Freund- schaft, zu einem kältern Grade herabstimmen zu wollen, ist allemahl beleidigend: sei du daher nicht eher warm, bis du zuverlässig weißt, daß du es immer werdest bleiben können.
Allein bei dieser algemeinen Regel darf ichs nicht bewenden lassen, wenn ich dich nicht der Gefahr aussezen wil, auch bei der genauesten Be- folgung derselben, dennoch öfters fehlzugreifen. Denn du wirst mit Leuten zusammentreffen, deren Person, Karakter und Sitten nicht blos anfangs, sondern auch noch bei fortdauernder Bekantschaft ungemein viel Einnehmendes und Anlokkendes an sich haben; ja deren Rechtschaffenheit und unei- gennüziges Wesen eine ziemliche Zeitlang sogar die Thatenprobe auszuhalten scheinen, und mit denen gleichwohl in genauere Freundschaft zu treten ganz und gar nicht rathsam sein würde. Diese muß
ich
ſchaft eine ſolche Stellung zu nehmen, daß du, dafern es ſein muß, wieder zuruͤktreten koͤnneſt, ohne daß du irgend einen, aus Unvorſichtigkeit geſchuͤrzten Knoten, auf eine gewaltſame und alſo ſchmerzhafte Weiſe wieder zu zerreiſſen noͤthig habeſt. Eine, mit Waͤrme angefangene Freund- ſchaft, zu einem kaͤltern Grade herabſtimmen zu wollen, iſt allemahl beleidigend: ſei du daher nicht eher warm, bis du zuverlaͤſſig weißt, daß du es immer werdeſt bleiben koͤnnen.
Allein bei dieſer algemeinen Regel darf ichs nicht bewenden laſſen, wenn ich dich nicht der Gefahr ausſezen wil, auch bei der genaueſten Be- folgung derſelben, dennoch oͤfters fehlzugreifen. Denn du wirſt mit Leuten zuſammentreffen, deren Perſon, Karakter und Sitten nicht blos anfangs, ſondern auch noch bei fortdauernder Bekantſchaft ungemein viel Einnehmendes und Anlokkendes an ſich haben; ja deren Rechtſchaffenheit und unei- gennuͤziges Weſen eine ziemliche Zeitlang ſogar die Thatenprobe auszuhalten ſcheinen, und mit denen gleichwohl in genauere Freundſchaft zu treten ganz und gar nicht rathſam ſein wuͤrde. Dieſe muß
ich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0212"n="182"/>ſchaft eine ſolche Stellung zu nehmen, daß du,<lb/>
dafern es ſein muß, wieder zuruͤktreten koͤnneſt,<lb/>
ohne daß du irgend einen, aus Unvorſichtigkeit<lb/>
geſchuͤrzten Knoten, auf eine gewaltſame und alſo<lb/>ſchmerzhafte Weiſe wieder zu zerreiſſen noͤthig<lb/>
habeſt. Eine, mit Waͤrme angefangene Freund-<lb/>ſchaft, zu einem kaͤltern Grade herabſtimmen zu<lb/>
wollen, iſt allemahl beleidigend: ſei du daher nicht<lb/>
eher warm, bis du zuverlaͤſſig weißt, daß du es<lb/>
immer werdeſt bleiben koͤnnen.</p><lb/><p>Allein bei dieſer algemeinen Regel darf ichs<lb/>
nicht bewenden laſſen, wenn ich dich nicht der<lb/>
Gefahr ausſezen wil, auch bei der genaueſten Be-<lb/>
folgung derſelben, dennoch oͤfters fehlzugreifen.<lb/>
Denn du wirſt mit Leuten zuſammentreffen, deren<lb/>
Perſon, Karakter und Sitten nicht blos anfangs,<lb/>ſondern auch noch bei fortdauernder Bekantſchaft<lb/>
ungemein viel Einnehmendes und Anlokkendes an<lb/>ſich haben; ja deren Rechtſchaffenheit und unei-<lb/>
gennuͤziges Weſen eine ziemliche Zeitlang ſogar die<lb/>
Thatenprobe auszuhalten ſcheinen, und mit denen<lb/>
gleichwohl in genauere Freundſchaft zu treten ganz<lb/>
und gar nicht rathſam ſein wuͤrde. Dieſe muß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[182/0212]
ſchaft eine ſolche Stellung zu nehmen, daß du,
dafern es ſein muß, wieder zuruͤktreten koͤnneſt,
ohne daß du irgend einen, aus Unvorſichtigkeit
geſchuͤrzten Knoten, auf eine gewaltſame und alſo
ſchmerzhafte Weiſe wieder zu zerreiſſen noͤthig
habeſt. Eine, mit Waͤrme angefangene Freund-
ſchaft, zu einem kaͤltern Grade herabſtimmen zu
wollen, iſt allemahl beleidigend: ſei du daher nicht
eher warm, bis du zuverlaͤſſig weißt, daß du es
immer werdeſt bleiben koͤnnen.
Allein bei dieſer algemeinen Regel darf ichs
nicht bewenden laſſen, wenn ich dich nicht der
Gefahr ausſezen wil, auch bei der genaueſten Be-
folgung derſelben, dennoch oͤfters fehlzugreifen.
Denn du wirſt mit Leuten zuſammentreffen, deren
Perſon, Karakter und Sitten nicht blos anfangs,
ſondern auch noch bei fortdauernder Bekantſchaft
ungemein viel Einnehmendes und Anlokkendes an
ſich haben; ja deren Rechtſchaffenheit und unei-
gennuͤziges Weſen eine ziemliche Zeitlang ſogar die
Thatenprobe auszuhalten ſcheinen, und mit denen
gleichwohl in genauere Freundſchaft zu treten ganz
und gar nicht rathſam ſein wuͤrde. Dieſe muß
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/212>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.