sein, und unaustilgbarer Grundstrich deines Ka- rakters werden, wenn der vernünftige und red- liche Vorsaz dich belebt, kein glänzendes, sondern ein recht gemeinnüziges Leben führen zu wollen; wenn du bei allen deinen Bestrebungen, sie mögen sein von welcher Art sie wollen, deine Augen auf wahrhaftig große und würdige Zwekke heftest, wenn du dich frühzeitig gewöhnst, oft und mit anhaltender Aufmerksamkeit in deinen eigenen Busen zu greifen, deinen eigenen Unvol- kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu sehen, und den jedesmaligen weiten Abstand zwi- schen dem, was du bist, und dem, was du sein soltest, gehörig zu Herzen zu nehmen; und end- lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts den vertrauten Umgang mit solchen Männern suchst, die an Verdiensten, besonders an solchen, die du selbst zu haben glaubst, dir merklich über- legen sind. Ein solches tägliches Messen -- oder richtiger, ein solches Hinaufsehen zu der Höhe des Verdienstes, welches andre in unserm Fache schon errungen haben, hat für edle junge Selen, welche Muth und Lust zur Nacheiferung
oder
ſein, und unaustilgbarer Grundſtrich deines Ka- rakters werden, wenn der vernuͤnftige und red- liche Vorſaz dich belebt, kein glaͤnzendes, ſondern ein recht gemeinnuͤziges Leben fuͤhren zu wollen; wenn du bei allen deinen Beſtrebungen, ſie moͤgen ſein von welcher Art ſie wollen, deine Augen auf wahrhaftig große und wuͤrdige Zwekke hefteſt, wenn du dich fruͤhzeitig gewoͤhnſt, oft und mit anhaltender Aufmerkſamkeit in deinen eigenen Buſen zu greifen, deinen eigenen Unvol- kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu ſehen, und den jedesmaligen weiten Abſtand zwi- ſchen dem, was du biſt, und dem, was du ſein ſolteſt, gehoͤrig zu Herzen zu nehmen; und end- lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts den vertrauten Umgang mit ſolchen Maͤnnern ſuchſt, die an Verdienſten, beſonders an ſolchen, die du ſelbſt zu haben glaubſt, dir merklich uͤber- legen ſind. Ein ſolches taͤgliches Meſſen — oder richtiger, ein ſolches Hinaufſehen zu der Hoͤhe des Verdienſtes, welches andre in unſerm Fache ſchon errungen haben, hat fuͤr edle junge Selen, welche Muth und Luſt zur Nacheiferung
oder
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ſein, und unaustilgbarer Grundſtrich deines Ka-
rakters werden, wenn der vernuͤnftige und red-
liche Vorſaz dich belebt, kein glaͤnzendes, ſondern
ein recht gemeinnuͤziges Leben fuͤhren zu wollen;
wenn du bei allen deinen Beſtrebungen, ſie
moͤgen ſein von welcher Art ſie wollen, deine
Augen auf wahrhaftig große und wuͤrdige Zwekke
hefteſt, wenn du dich fruͤhzeitig gewoͤhnſt, oft
und mit anhaltender Aufmerkſamkeit in deinen
eigenen Buſen zu greifen, deinen eigenen Unvol-
kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu
ſehen, und den jedesmaligen weiten Abſtand zwi-
ſchen dem, was du biſt, und dem, was du ſein
ſolteſt, gehoͤrig zu Herzen zu nehmen; und end-
lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts
den vertrauten Umgang mit ſolchen Maͤnnern
ſuchſt, die an Verdienſten, beſonders an ſolchen,
die du ſelbſt zu haben glaubſt, dir merklich uͤber-
legen ſind. Ein ſolches taͤgliches Meſſen —
oder richtiger, ein ſolches Hinaufſehen zu der
Hoͤhe des Verdienſtes, welches andre in unſerm
Fache ſchon errungen haben, hat fuͤr edle junge
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/189>, abgerufen am 25.11.2024.
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