Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, und unaustilgbarer Grundstrich deines Ka-
rakters werden, wenn der vernünftige und red-
liche Vorsaz dich belebt, kein glänzendes, sondern
ein recht gemeinnüziges Leben führen zu wollen;
wenn du bei allen deinen Bestrebungen, sie
mögen sein von welcher Art sie wollen, deine
Augen auf wahrhaftig große und würdige Zwekke
heftest, wenn du dich frühzeitig gewöhnst, oft
und mit anhaltender Aufmerksamkeit in deinen
eigenen Busen zu greifen, deinen eigenen Unvol-
kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu
sehen, und den jedesmaligen weiten Abstand zwi-
schen dem, was du bist, und dem, was du sein
soltest, gehörig zu Herzen zu nehmen; und end-
lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts
den vertrauten Umgang mit solchen Männern
suchst, die an Verdiensten, besonders an solchen,
die du selbst zu haben glaubst, dir merklich über-
legen sind. Ein solches tägliches Messen --
oder richtiger, ein solches Hinaufsehen zu der
Höhe des Verdienstes, welches andre in unserm
Fache schon errungen haben, hat für edle junge
Selen, welche Muth und Lust zur Nacheiferung

oder

ſein, und unaustilgbarer Grundſtrich deines Ka-
rakters werden, wenn der vernuͤnftige und red-
liche Vorſaz dich belebt, kein glaͤnzendes, ſondern
ein recht gemeinnuͤziges Leben fuͤhren zu wollen;
wenn du bei allen deinen Beſtrebungen, ſie
moͤgen ſein von welcher Art ſie wollen, deine
Augen auf wahrhaftig große und wuͤrdige Zwekke
hefteſt, wenn du dich fruͤhzeitig gewoͤhnſt, oft
und mit anhaltender Aufmerkſamkeit in deinen
eigenen Buſen zu greifen, deinen eigenen Unvol-
kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu
ſehen, und den jedesmaligen weiten Abſtand zwi-
ſchen dem, was du biſt, und dem, was du ſein
ſolteſt, gehoͤrig zu Herzen zu nehmen; und end-
lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts
den vertrauten Umgang mit ſolchen Maͤnnern
ſuchſt, die an Verdienſten, beſonders an ſolchen,
die du ſelbſt zu haben glaubſt, dir merklich uͤber-
legen ſind. Ein ſolches taͤgliches Meſſen —
oder richtiger, ein ſolches Hinaufſehen zu der
Hoͤhe des Verdienſtes, welches andre in unſerm
Fache ſchon errungen haben, hat fuͤr edle junge
Selen, welche Muth und Luſt zur Nacheiferung

oder
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="159"/>
&#x017F;ein, und unaustilgbarer Grund&#x017F;trich deines Ka-<lb/>
rakters werden, wenn der vernu&#x0364;nftige und red-<lb/>
liche Vor&#x017F;az dich belebt, kein gla&#x0364;nzendes, &#x017F;ondern<lb/>
ein recht gemeinnu&#x0364;ziges Leben fu&#x0364;hren zu wollen;<lb/>
wenn du bei allen deinen Be&#x017F;trebungen, &#x017F;ie<lb/>
mo&#x0364;gen &#x017F;ein von welcher Art &#x017F;ie wollen, deine<lb/>
Augen auf wahrhaftig große und wu&#x0364;rdige Zwekke<lb/>
hefte&#x017F;t, wenn du dich fru&#x0364;hzeitig gewo&#x0364;hn&#x017F;t, oft<lb/>
und mit anhaltender Aufmerk&#x017F;amkeit in deinen<lb/>
eigenen Bu&#x017F;en zu greifen, deinen eigenen Unvol-<lb/>
kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu<lb/>
&#x017F;ehen, und den jedesmaligen weiten Ab&#x017F;tand zwi-<lb/>
&#x017F;chen dem, was du bi&#x017F;t, und dem, was du &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;olte&#x017F;t, geho&#x0364;rig zu Herzen zu nehmen; und end-<lb/>
lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts<lb/>
den vertrauten Umgang mit &#x017F;olchen Ma&#x0364;nnern<lb/>
&#x017F;uch&#x017F;t, die an Verdien&#x017F;ten, be&#x017F;onders an &#x017F;olchen,<lb/>
die du &#x017F;elb&#x017F;t zu haben glaub&#x017F;t, dir merklich u&#x0364;ber-<lb/>
legen &#x017F;ind. Ein &#x017F;olches ta&#x0364;gliches Me&#x017F;&#x017F;en &#x2014;<lb/>
oder richtiger, ein &#x017F;olches <choice><sic>Hinau&#x017F;&#x017F;ehen</sic><corr>Hinauf&#x017F;ehen</corr></choice> zu der<lb/>
Ho&#x0364;he des Verdien&#x017F;tes, welches andre in un&#x017F;erm<lb/>
Fache &#x017F;chon errungen haben, hat fu&#x0364;r edle junge<lb/>
Selen, welche Muth und Lu&#x017F;t zur Nacheiferung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0189] ſein, und unaustilgbarer Grundſtrich deines Ka- rakters werden, wenn der vernuͤnftige und red- liche Vorſaz dich belebt, kein glaͤnzendes, ſondern ein recht gemeinnuͤziges Leben fuͤhren zu wollen; wenn du bei allen deinen Beſtrebungen, ſie moͤgen ſein von welcher Art ſie wollen, deine Augen auf wahrhaftig große und wuͤrdige Zwekke hefteſt, wenn du dich fruͤhzeitig gewoͤhnſt, oft und mit anhaltender Aufmerkſamkeit in deinen eigenen Buſen zu greifen, deinen eigenen Unvol- kommenheiten und Fehlern recht ins Auge zu ſehen, und den jedesmaligen weiten Abſtand zwi- ſchen dem, was du biſt, und dem, was du ſein ſolteſt, gehoͤrig zu Herzen zu nehmen; und end- lich, wenn du an jedem Orte deines Aufenthalts den vertrauten Umgang mit ſolchen Maͤnnern ſuchſt, die an Verdienſten, beſonders an ſolchen, die du ſelbſt zu haben glaubſt, dir merklich uͤber- legen ſind. Ein ſolches taͤgliches Meſſen — oder richtiger, ein ſolches Hinaufſehen zu der Hoͤhe des Verdienſtes, welches andre in unſerm Fache ſchon errungen haben, hat fuͤr edle junge Selen, welche Muth und Luſt zur Nacheiferung oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/189
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/189>, abgerufen am 25.11.2024.