Um alles in der Welt nicht, mein Sohn! Je- mehr dir dis gelänge, desto weniger würde man es dir verzeihen, daß du Beifal und Achtung, die man nur als ein freiwilliges Geschenk gern zu geben pflegt, gleich einem schuldigen Tribut, erzwungen habest. Indes der Verstand deines Auditoriums nicht umhin könte, dir Gerechtig- keit wiederfahren zu lassen, würde die gekränkte Eitelkeit eines jeden sich mächtig gegen dich em- pören, und nicht eher ruhen noch rasten können, bis das Falkenauge der Verkleinerungssucht an deinen Verdiensten irgend einen Auswuchs gewahr würde, bei dem man sie ergreifen und von ihrer Höhe wieder herabziehen könte. Es thut so wohl, sich zum Beschüzer bescheidener und verkan- ter Vorzüge aufzuwerfen! Es thut so weh, sich durch auffallende Vorzüge, die keines Beschüzers bedürfen, gedemüthiget zu sehen! Jemehr du also solcher Vorzüge in Beziehung auf deine je- desmalige Geselschaft in dir fühlen wirst, desto sorgfältiger suche sie zu verbergen, damit ihr Dasein nur geahndet, niemand aber gezwungen werde, sie wider seinen Willen anzuerkennen.
Wahre
Um alles in der Welt nicht, mein Sohn! Je- mehr dir dis gelaͤnge, deſto weniger wuͤrde man es dir verzeihen, daß du Beifal und Achtung, die man nur als ein freiwilliges Geſchenk gern zu geben pflegt, gleich einem ſchuldigen Tribut, erzwungen habeſt. Indes der Verſtand deines Auditoriums nicht umhin koͤnte, dir Gerechtig- keit wiederfahren zu laſſen, wuͤrde die gekraͤnkte Eitelkeit eines jeden ſich maͤchtig gegen dich em- poͤren, und nicht eher ruhen noch raſten koͤnnen, bis das Falkenauge der Verkleinerungsſucht an deinen Verdienſten irgend einen Auswuchs gewahr wuͤrde, bei dem man ſie ergreifen und von ihrer Hoͤhe wieder herabziehen koͤnte. Es thut ſo wohl, ſich zum Beſchuͤzer beſcheidener und verkan- ter Vorzuͤge aufzuwerfen! Es thut ſo weh, ſich durch auffallende Vorzuͤge, die keines Beſchuͤzers beduͤrfen, gedemuͤthiget zu ſehen! Jemehr du alſo ſolcher Vorzuͤge in Beziehung auf deine je- desmalige Geſelſchaft in dir fuͤhlen wirſt, deſto ſorgfaͤltiger ſuche ſie zu verbergen, damit ihr Daſein nur geahndet, niemand aber gezwungen werde, ſie wider ſeinen Willen anzuerkennen.
Wahre
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Um alles in der Welt nicht, mein Sohn! Je-
mehr dir dis gelaͤnge, deſto weniger wuͤrde man
es dir verzeihen, daß du Beifal und Achtung,
die man nur als ein freiwilliges Geſchenk gern
zu geben pflegt, gleich einem ſchuldigen Tribut,
erzwungen habeſt. Indes der Verſtand deines
Auditoriums nicht umhin koͤnte, dir Gerechtig-
keit wiederfahren zu laſſen, wuͤrde die gekraͤnkte
Eitelkeit eines jeden ſich maͤchtig gegen dich em-
poͤren, und nicht eher ruhen noch raſten koͤnnen,
bis das Falkenauge der Verkleinerungsſucht an
deinen Verdienſten irgend einen Auswuchs gewahr
wuͤrde, bei dem man ſie ergreifen und von ihrer
Hoͤhe wieder herabziehen koͤnte. Es thut ſo
wohl, ſich zum Beſchuͤzer beſcheidener und verkan-
ter Vorzuͤge aufzuwerfen! Es thut ſo weh, ſich
durch auffallende Vorzuͤge, die keines Beſchuͤzers
beduͤrfen, gedemuͤthiget zu ſehen! Jemehr du
alſo ſolcher Vorzuͤge in Beziehung auf deine je-
desmalige Geſelſchaft in dir fuͤhlen wirſt, deſto
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/187>, abgerufen am 25.11.2024.
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