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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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von den Menschen zu erwarten, als mit
ihrer Gemächlichkeit, mit ihrem Vergnü-
gen und mit ihrem eigenen Vortheile be-
stehen kan
. Um Gottes willen erträume dir
keine Schäferwelt, keine Idillenmenschen mit
zuvorkommender Engelsgüte! Du würdest das
Urbild dieses Traumgesichtes nirgends finden;
würdest bald mit Schrekken daraus erwachen,
und je höher deine Erwartungen gespant gewesen
wären, desto schmerzhafter würde dir die Ent-
dekkung deines Irthums sein.

Stelle dir vielmehr vor, du wärest ein Wan-
derer, der in eine Herberge vol singender, tan-
zender und schmausender Gäste käme. Je nach-
dem deine Miene, dein Anzug, und die Art, wie
du dich einführst, den guten Geselschafter verra-
then, wird man mit mehr oder weniger Höflich-
keitserweisungen dir entgegen kommen. Der eine
wird dir eine Priese, der andere ein Glas bieten,
eine dritte dich zum Tanz einladen, ein vierter
vielleicht, dem der Kopf eben nicht recht steht,
mit dir zanken wollen. Du würdest auf gleiche
Weise Unrecht haben, wenn du den Erstern wahre

bleibende

von den Menſchen zu erwarten, als mit
ihrer Gemaͤchlichkeit, mit ihrem Vergnuͤ-
gen und mit ihrem eigenen Vortheile be-
ſtehen kan
. Um Gottes willen ertraͤume dir
keine Schaͤferwelt, keine Idillenmenſchen mit
zuvorkommender Engelsguͤte! Du wuͤrdeſt das
Urbild dieſes Traumgeſichtes nirgends finden;
wuͤrdeſt bald mit Schrekken daraus erwachen,
und je hoͤher deine Erwartungen geſpant geweſen
waͤren, deſto ſchmerzhafter wuͤrde dir die Ent-
dekkung deines Irthums ſein.

Stelle dir vielmehr vor, du waͤreſt ein Wan-
derer, der in eine Herberge vol ſingender, tan-
zender und ſchmauſender Gaͤſte kaͤme. Je nach-
dem deine Miene, dein Anzug, und die Art, wie
du dich einfuͤhrſt, den guten Geſelſchafter verra-
then, wird man mit mehr oder weniger Hoͤflich-
keitserweiſungen dir entgegen kommen. Der eine
wird dir eine Prieſe, der andere ein Glas bieten,
eine dritte dich zum Tanz einladen, ein vierter
vielleicht, dem der Kopf eben nicht recht ſteht,
mit dir zanken wollen. Du wuͤrdeſt auf gleiche
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[144/0174] von den Menſchen zu erwarten, als mit ihrer Gemaͤchlichkeit, mit ihrem Vergnuͤ- gen und mit ihrem eigenen Vortheile be- ſtehen kan. Um Gottes willen ertraͤume dir keine Schaͤferwelt, keine Idillenmenſchen mit zuvorkommender Engelsguͤte! Du wuͤrdeſt das Urbild dieſes Traumgeſichtes nirgends finden; wuͤrdeſt bald mit Schrekken daraus erwachen, und je hoͤher deine Erwartungen geſpant geweſen waͤren, deſto ſchmerzhafter wuͤrde dir die Ent- dekkung deines Irthums ſein. Stelle dir vielmehr vor, du waͤreſt ein Wan- derer, der in eine Herberge vol ſingender, tan- zender und ſchmauſender Gaͤſte kaͤme. Je nach- dem deine Miene, dein Anzug, und die Art, wie du dich einfuͤhrſt, den guten Geſelſchafter verra- then, wird man mit mehr oder weniger Hoͤflich- keitserweiſungen dir entgegen kommen. Der eine wird dir eine Prieſe, der andere ein Glas bieten, eine dritte dich zum Tanz einladen, ein vierter vielleicht, dem der Kopf eben nicht recht ſteht, mit dir zanken wollen. Du wuͤrdeſt auf gleiche Weiſe Unrecht haben, wenn du den Erſtern wahre bleibende

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/174>, abgerufen am 25.11.2024.