Das klingt fast lächerlich und übertrieben für die Schaubühne. Und doch, das glaube mir auf mein Wort, wirst du dergleichen auf dem Schauplaze der Welt häufig antreffen. Dieser Trieb der Eitelkeit und des Stolzes ist in der menschlichen Natur so stark, daß er sich bis zu den niedrigsten Dingen herabläßt. Man sieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten, wo sich bei der Voraussezung, daß alles, was sie sagen, wahr wäre, was es jedoch, im Vorbeigehn gesagt, selten ist, gar kein rechtmäßiges Lob er- halten läßt. Der eine behauptet, er wäre in sechs Stunden hundert englische Meilen geritten. Vermuthlich ist es eine Lüge. Gesezt aber, es wäre wahr, was folgte denn daraus? Daß er einen guten Postknecht abgeben würde; das ist alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht ohne Schwüre, er hätte sechs bis acht Kannen Wein getrunken. Aus kristlicher Liebe wil ich ihn als einen Lügner ansehen. Wo nicht, so muß ich ihn für ein Vieh halten. *)
Ich
*) Chesterfield.
Das klingt faſt laͤcherlich und uͤbertrieben fuͤr die Schaubuͤhne. Und doch, das glaube mir auf mein Wort, wirſt du dergleichen auf dem Schauplaze der Welt haͤufig antreffen. Dieſer Trieb der Eitelkeit und des Stolzes iſt in der menſchlichen Natur ſo ſtark, daß er ſich bis zu den niedrigſten Dingen herablaͤßt. Man ſieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten, wo ſich bei der Vorausſezung, daß alles, was ſie ſagen, wahr waͤre, was es jedoch, im Vorbeigehn geſagt, ſelten iſt, gar kein rechtmaͤßiges Lob er- halten laͤßt. Der eine behauptet, er waͤre in ſechs Stunden hundert engliſche Meilen geritten. Vermuthlich iſt es eine Luͤge. Geſezt aber, es waͤre wahr, was folgte denn daraus? Daß er einen guten Poſtknecht abgeben wuͤrde; das iſt alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht ohne Schwuͤre, er haͤtte ſechs bis acht Kannen Wein getrunken. Aus kriſtlicher Liebe wil ich ihn als einen Luͤgner anſehen. Wo nicht, ſo muß ich ihn fuͤr ein Vieh halten. *)
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*) Cheſterfield.
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Das klingt faſt laͤcherlich und uͤbertrieben
fuͤr die Schaubuͤhne. Und doch, das glaube mir
auf mein Wort, wirſt du dergleichen auf dem
Schauplaze der Welt haͤufig antreffen. Dieſer
Trieb der Eitelkeit und des Stolzes iſt in
der menſchlichen Natur ſo ſtark, daß er ſich
bis zu den niedrigſten Dingen herablaͤßt. Man
ſieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten,
wo ſich bei der Vorausſezung, daß alles, was ſie
ſagen, wahr waͤre, was es jedoch, im Vorbeigehn
geſagt, ſelten iſt, gar kein rechtmaͤßiges Lob er-
halten laͤßt. Der eine behauptet, er waͤre in
ſechs Stunden hundert engliſche Meilen geritten.
Vermuthlich iſt es eine Luͤge. Geſezt aber, es
waͤre wahr, was folgte denn daraus? Daß er
einen guten Poſtknecht abgeben wuͤrde; das iſt
alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht
ohne Schwuͤre, er haͤtte ſechs bis acht Kannen
Wein getrunken. Aus kriſtlicher Liebe wil ich
ihn als einen Luͤgner anſehen. Wo nicht, ſo
muß ich ihn fuͤr ein Vieh halten. *)
Ich
*) Cheſterfield.
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/164>, abgerufen am 25.11.2024.
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