Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Das klingt fast lächerlich und übertrieben
für die Schaubühne. Und doch, das glaube mir
auf mein Wort, wirst du dergleichen auf dem
Schauplaze der Welt häufig antreffen. Dieser
Trieb der Eitelkeit und des Stolzes ist in
der menschlichen Natur so stark, daß er sich
bis zu den niedrigsten Dingen herabläßt. Man
sieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten,
wo sich bei der Voraussezung, daß alles, was sie
sagen, wahr wäre, was es jedoch, im Vorbeigehn
gesagt, selten ist, gar kein rechtmäßiges Lob er-
halten läßt. Der eine behauptet, er wäre in
sechs Stunden hundert englische Meilen geritten.
Vermuthlich ist es eine Lüge. Gesezt aber, es
wäre wahr, was folgte denn daraus? Daß er
einen guten Postknecht abgeben würde; das ist
alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht
ohne Schwüre, er hätte sechs bis acht Kannen
Wein getrunken. Aus kristlicher Liebe wil ich
ihn als einen Lügner ansehen. Wo nicht, so
muß ich ihn für ein Vieh halten. *)


Ich
*) Chesterfield.

Das klingt faſt laͤcherlich und uͤbertrieben
fuͤr die Schaubuͤhne. Und doch, das glaube mir
auf mein Wort, wirſt du dergleichen auf dem
Schauplaze der Welt haͤufig antreffen. Dieſer
Trieb der Eitelkeit und des Stolzes iſt in
der menſchlichen Natur ſo ſtark, daß er ſich
bis zu den niedrigſten Dingen herablaͤßt. Man
ſieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten,
wo ſich bei der Vorausſezung, daß alles, was ſie
ſagen, wahr waͤre, was es jedoch, im Vorbeigehn
geſagt, ſelten iſt, gar kein rechtmaͤßiges Lob er-
halten laͤßt. Der eine behauptet, er waͤre in
ſechs Stunden hundert engliſche Meilen geritten.
Vermuthlich iſt es eine Luͤge. Geſezt aber, es
waͤre wahr, was folgte denn daraus? Daß er
einen guten Poſtknecht abgeben wuͤrde; das iſt
alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht
ohne Schwuͤre, er haͤtte ſechs bis acht Kannen
Wein getrunken. Aus kriſtlicher Liebe wil ich
ihn als einen Luͤgner anſehen. Wo nicht, ſo
muß ich ihn fuͤr ein Vieh halten. *)


Ich
*) Cheſterfield.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0164" n="134"/>
        <p>Das klingt fa&#x017F;t la&#x0364;cherlich und u&#x0364;bertrieben<lb/>
fu&#x0364;r die Schaubu&#x0364;hne. Und doch, das glaube mir<lb/>
auf mein Wort, wir&#x017F;t du dergleichen auf dem<lb/>
Schauplaze der Welt ha&#x0364;ufig antreffen. Die&#x017F;er<lb/>
Trieb der Eitelkeit und des Stolzes i&#x017F;t in<lb/>
der men&#x017F;chlichen Natur &#x017F;o &#x017F;tark, daß er &#x017F;ich<lb/>
bis zu den niedrig&#x017F;ten Dingen herabla&#x0364;ßt. Man<lb/>
&#x017F;ieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten,<lb/>
wo &#x017F;ich bei der Voraus&#x017F;ezung, daß alles, was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;agen, wahr wa&#x0364;re, was es jedoch, im Vorbeigehn<lb/>
ge&#x017F;agt, &#x017F;elten i&#x017F;t, gar kein rechtma&#x0364;ßiges Lob er-<lb/>
halten la&#x0364;ßt. Der eine behauptet, er wa&#x0364;re in<lb/>
&#x017F;echs Stunden hundert engli&#x017F;che Meilen geritten.<lb/>
Vermuthlich i&#x017F;t es eine Lu&#x0364;ge. Ge&#x017F;ezt aber, es<lb/>
wa&#x0364;re wahr, was folgte denn daraus? Daß er<lb/>
einen guten Po&#x017F;tknecht abgeben wu&#x0364;rde; das i&#x017F;t<lb/>
alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht<lb/>
ohne Schwu&#x0364;re, er ha&#x0364;tte &#x017F;echs bis acht Kannen<lb/>
Wein getrunken. Aus kri&#x017F;tlicher Liebe wil ich<lb/>
ihn als einen Lu&#x0364;gner an&#x017F;ehen. Wo nicht, &#x017F;o<lb/>
muß ich ihn fu&#x0364;r ein Vieh halten. <note place="foot" n="*)">Che&#x017F;terfield.</note></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0164] Das klingt faſt laͤcherlich und uͤbertrieben fuͤr die Schaubuͤhne. Und doch, das glaube mir auf mein Wort, wirſt du dergleichen auf dem Schauplaze der Welt haͤufig antreffen. Dieſer Trieb der Eitelkeit und des Stolzes iſt in der menſchlichen Natur ſo ſtark, daß er ſich bis zu den niedrigſten Dingen herablaͤßt. Man ſieht oft Leute in Dingen nach Lobe trachten, wo ſich bei der Vorausſezung, daß alles, was ſie ſagen, wahr waͤre, was es jedoch, im Vorbeigehn geſagt, ſelten iſt, gar kein rechtmaͤßiges Lob er- halten laͤßt. Der eine behauptet, er waͤre in ſechs Stunden hundert engliſche Meilen geritten. Vermuthlich iſt es eine Luͤge. Geſezt aber, es waͤre wahr, was folgte denn daraus? Daß er einen guten Poſtknecht abgeben wuͤrde; das iſt alles. Ein andrer behauptet, vermuthlich nicht ohne Schwuͤre, er haͤtte ſechs bis acht Kannen Wein getrunken. Aus kriſtlicher Liebe wil ich ihn als einen Luͤgner anſehen. Wo nicht, ſo muß ich ihn fuͤr ein Vieh halten. *) Ich *) Cheſterfield.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/164
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/164>, abgerufen am 25.11.2024.