Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

eben so großer Selbstverläugnung und mit eben
so großer Freudigkeit auf den Altar der Eitelkeit.
Ich sage zu wenig; wir legen noch mehr darauf:
denn selbst unsere Tugend, unsere Rechtschaffen-
heit und Frömmigkeit sind uns nicht so sehr ans
Herz gewachsen, daß wir uns nicht von ihnen
trennen könten, so bald die Eitelkeit es uns be-
fielt. Selbst die ewigen Freuden des Himmels
mögten wohl, wenn sie mit dem Vergnügen,
welches uns aus der Befriedigung dieser Lieblings-
leidenschaft erwächst, auf die Wage gelegt wür-
den, in den meisten Fällen zu leicht befunden
werden.

Die Art, wie die Eitelkeit der Leute sich zu
äussern pflegt, ist sehr verschieden. Einige ver-
rathen sie durch gesuchten Puz, andere durch an-
scheinende, aber doch zugleich auf die vortheilhaf-
teste Art genuzte Nachlässigkeit im Anzuge; einige
dadurch, daß sie uns alle ihre innern und äusser-
lichen Vorzüge gleichsam aufdringen, ohne uns
Zeit zu lassen, sie selbst auszuspähen, andere
dadurch, daß sie gar kein Verdienst, gar nichts
Vorzügliches wollen an sich kommen lassen, und

bei
J 2

eben ſo großer Selbſtverlaͤugnung und mit eben
ſo großer Freudigkeit auf den Altar der Eitelkeit.
Ich ſage zu wenig; wir legen noch mehr darauf:
denn ſelbſt unſere Tugend, unſere Rechtſchaffen-
heit und Froͤmmigkeit ſind uns nicht ſo ſehr ans
Herz gewachſen, daß wir uns nicht von ihnen
trennen koͤnten, ſo bald die Eitelkeit es uns be-
fielt. Selbſt die ewigen Freuden des Himmels
moͤgten wohl, wenn ſie mit dem Vergnuͤgen,
welches uns aus der Befriedigung dieſer Lieblings-
leidenſchaft erwaͤchſt, auf die Wage gelegt wuͤr-
den, in den meiſten Faͤllen zu leicht befunden
werden.

Die Art, wie die Eitelkeit der Leute ſich zu
aͤuſſern pflegt, iſt ſehr verſchieden. Einige ver-
rathen ſie durch geſuchten Puz, andere durch an-
ſcheinende, aber doch zugleich auf die vortheilhaf-
teſte Art genuzte Nachlaͤſſigkeit im Anzuge; einige
dadurch, daß ſie uns alle ihre innern und aͤuſſer-
lichen Vorzuͤge gleichſam aufdringen, ohne uns
Zeit zu laſſen, ſie ſelbſt auszuſpaͤhen, andere
dadurch, daß ſie gar kein Verdienſt, gar nichts
Vorzuͤgliches wollen an ſich kommen laſſen, und

bei
J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0161" n="131"/>
eben &#x017F;o großer Selb&#x017F;tverla&#x0364;ugnung und mit eben<lb/>
&#x017F;o großer Freudigkeit auf den Altar der Eitelkeit.<lb/>
Ich &#x017F;age zu wenig; wir legen noch mehr darauf:<lb/>
denn &#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;ere Tugend, un&#x017F;ere Recht&#x017F;chaffen-<lb/>
heit und Fro&#x0364;mmigkeit &#x017F;ind uns nicht &#x017F;o &#x017F;ehr ans<lb/>
Herz gewach&#x017F;en, daß wir uns nicht von ihnen<lb/>
trennen ko&#x0364;nten, &#x017F;o bald die Eitelkeit es uns be-<lb/>
fielt. Selb&#x017F;t die ewigen Freuden des Himmels<lb/>
mo&#x0364;gten wohl, wenn &#x017F;ie mit dem Vergnu&#x0364;gen,<lb/>
welches uns aus der Befriedigung die&#x017F;er Lieblings-<lb/>
leiden&#x017F;chaft erwa&#x0364;ch&#x017F;t, auf die Wage gelegt wu&#x0364;r-<lb/>
den, in den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen zu leicht befunden<lb/>
werden.</p><lb/>
        <p>Die Art, wie die Eitelkeit der Leute &#x017F;ich zu<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern pflegt, i&#x017F;t &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden. Einige ver-<lb/>
rathen &#x017F;ie durch ge&#x017F;uchten Puz, andere durch an-<lb/>
&#x017F;cheinende, aber doch zugleich auf die vortheilhaf-<lb/>
te&#x017F;te Art genuzte Nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit im Anzuge; einige<lb/>
dadurch, daß &#x017F;ie uns alle ihre innern und a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
lichen Vorzu&#x0364;ge gleich&#x017F;am aufdringen, ohne uns<lb/>
Zeit zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t auszu&#x017F;pa&#x0364;hen, andere<lb/>
dadurch, daß &#x017F;ie gar kein Verdien&#x017F;t, gar nichts<lb/>
Vorzu&#x0364;gliches wollen an &#x017F;ich kommen la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">bei</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0161] eben ſo großer Selbſtverlaͤugnung und mit eben ſo großer Freudigkeit auf den Altar der Eitelkeit. Ich ſage zu wenig; wir legen noch mehr darauf: denn ſelbſt unſere Tugend, unſere Rechtſchaffen- heit und Froͤmmigkeit ſind uns nicht ſo ſehr ans Herz gewachſen, daß wir uns nicht von ihnen trennen koͤnten, ſo bald die Eitelkeit es uns be- fielt. Selbſt die ewigen Freuden des Himmels moͤgten wohl, wenn ſie mit dem Vergnuͤgen, welches uns aus der Befriedigung dieſer Lieblings- leidenſchaft erwaͤchſt, auf die Wage gelegt wuͤr- den, in den meiſten Faͤllen zu leicht befunden werden. Die Art, wie die Eitelkeit der Leute ſich zu aͤuſſern pflegt, iſt ſehr verſchieden. Einige ver- rathen ſie durch geſuchten Puz, andere durch an- ſcheinende, aber doch zugleich auf die vortheilhaf- teſte Art genuzte Nachlaͤſſigkeit im Anzuge; einige dadurch, daß ſie uns alle ihre innern und aͤuſſer- lichen Vorzuͤge gleichſam aufdringen, ohne uns Zeit zu laſſen, ſie ſelbſt auszuſpaͤhen, andere dadurch, daß ſie gar kein Verdienſt, gar nichts Vorzuͤgliches wollen an ſich kommen laſſen, und bei J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/161
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/161>, abgerufen am 25.11.2024.