eine uneigennüzige Rechtschaffenheit aushängt, indes das Herz, welches unter ihr verborgen liegt, von heimlichem Grol, von giftigem Neide, von verbissener Wuth, von verstektem Hochmuthe, von wollüstigen Begierden, und von der eigen- nüzigsten Selbstsüchtigkeit bis zum Ueberfließen vol ist. Hier ist alles übertüncht, alles auf Täu- schung angelegt. Man hat seine Blikke, seine Mienen, jede Bewegung seiner Gesichtsmuskeln, jede Stellung des Körpers, sogar den Ton seiner Stimme, unter die Herschaft der Verstellungs- kunst gebracht. Alle Leidenschaften und Laster sind in das Gewand der ihnen entgegengesezten Tugenden gehült. Der Zorn äussert sich nicht mehr durch Schreien, Poltern und Knirschen, sondern, wie sanfte Taubengüte, durch Girren und Lächeln; der Neid ist nicht mehr jene hagere, blasgelbe, hohläugigte Gestalt, unter der die Alten ihn uns schildern; er trägt jezt ganz die Rosen- farbe und die gefälligen Simbolen des freudigsten Mitgefühls, der herzlichsten Theilnehmung an unserm Wohlergehn: die Eitelkeit schlägt die Augen nieder; erröthet, gleich der demüthigsten
Bescheiden-
eine uneigennuͤzige Rechtſchaffenheit aushaͤngt, indes das Herz, welches unter ihr verborgen liegt, von heimlichem Grol, von giftigem Neide, von verbiſſener Wuth, von verſtektem Hochmuthe, von wolluͤſtigen Begierden, und von der eigen- nuͤzigſten Selbſtſuͤchtigkeit bis zum Ueberfließen vol iſt. Hier iſt alles uͤbertuͤncht, alles auf Taͤu- ſchung angelegt. Man hat ſeine Blikke, ſeine Mienen, jede Bewegung ſeiner Geſichtsmuskeln, jede Stellung des Koͤrpers, ſogar den Ton ſeiner Stimme, unter die Herſchaft der Verſtellungs- kunſt gebracht. Alle Leidenſchaften und Laſter ſind in das Gewand der ihnen entgegengeſezten Tugenden gehuͤlt. Der Zorn aͤuſſert ſich nicht mehr durch Schreien, Poltern und Knirſchen, ſondern, wie ſanfte Taubenguͤte, durch Girren und Laͤcheln; der Neid iſt nicht mehr jene hagere, blasgelbe, hohlaͤugigte Geſtalt, unter der die Alten ihn uns ſchildern; er traͤgt jezt ganz die Roſen- farbe und die gefaͤlligen Simbolen des freudigſten Mitgefuͤhls, der herzlichſten Theilnehmung an unſerm Wohlergehn: die Eitelkeit ſchlaͤgt die Augen nieder; erroͤthet, gleich der demuͤthigſten
Beſcheiden-
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eine uneigennuͤzige Rechtſchaffenheit aushaͤngt,
indes das Herz, welches unter ihr verborgen
liegt, von heimlichem Grol, von giftigem Neide,
von verbiſſener Wuth, von verſtektem Hochmuthe,
von wolluͤſtigen Begierden, und von der eigen-
nuͤzigſten Selbſtſuͤchtigkeit bis zum Ueberfließen
vol iſt. Hier iſt alles uͤbertuͤncht, alles auf Taͤu-
ſchung angelegt. Man hat ſeine Blikke, ſeine
Mienen, jede Bewegung ſeiner Geſichtsmuskeln,
jede Stellung des Koͤrpers, ſogar den Ton ſeiner
Stimme, unter die Herſchaft der Verſtellungs-
kunſt gebracht. Alle Leidenſchaften und Laſter
ſind in das Gewand der ihnen entgegengeſezten
Tugenden gehuͤlt. Der Zorn aͤuſſert ſich nicht
mehr durch Schreien, Poltern und Knirſchen,
ſondern, wie ſanfte Taubenguͤte, durch Girren
und Laͤcheln; der Neid iſt nicht mehr jene hagere,
blasgelbe, hohlaͤugigte Geſtalt, unter der die Alten
ihn uns ſchildern; er traͤgt jezt ganz die Roſen-
farbe und die gefaͤlligen Simbolen des freudigſten
Mitgefuͤhls, der herzlichſten Theilnehmung an
unſerm Wohlergehn: die Eitelkeit ſchlaͤgt die
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/153>, abgerufen am 24.11.2024.
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