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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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Das Schlimste hierbei ist, daß ein jeder von
diesen Leuten seine eigene Art zu denken und zu
handeln mit der größten Zuversicht auch bei allen
andern voraussezt. Weil nun jeder von ihnen sich
bewußt ist, daß er bei allen seinen Reden und Hand-
lungen
, nicht die ehemahls erlernten, aber bald
darauf wieder in den Wind geschlagenen Grund-
säze der Religion und Sittenlehre, sondern ledig-
lich die Behauptung des äusserlichen Scheins eines
edlen rechtschaffenen Wesens bei einer wirklich ge-
wissenlosen und niederträchtigen Gesinnung, bestän-
dig vor Augen habe: so trägt er nicht das mindeste
Bedenken, von sich auf andere zu schließen, und seine
eigne Denkungsart für die algemeine zu halten.
Daher komt es denn, daß alle diese an Geist
und Herz verwahrlosete Menschen für eine
wahre und strenge Rechtschaffenheit, welche
nicht auf das: was wird man davon
sagen? sondern lediglich auf das, was recht
und unrecht ist, ihr Auge heftet, mehr
oder weniger den Glauben und den Sin
verloren haben
. Eine harte, aber allen
meinen Erfahrungen nach, leider! nur zu ge-

grün-

Das Schlimſte hierbei iſt, daß ein jeder von
dieſen Leuten ſeine eigene Art zu denken und zu
handeln mit der groͤßten Zuverſicht auch bei allen
andern vorausſezt. Weil nun jeder von ihnen ſich
bewußt iſt, daß er bei allen ſeinen Reden und Hand-
lungen
, nicht die ehemahls erlernten, aber bald
darauf wieder in den Wind geſchlagenen Grund-
ſaͤze der Religion und Sittenlehre, ſondern ledig-
lich die Behauptung des aͤuſſerlichen Scheins eines
edlen rechtſchaffenen Weſens bei einer wirklich ge-
wiſſenloſen und niedertraͤchtigen Geſinnung, beſtaͤn-
dig vor Augen habe: ſo traͤgt er nicht das mindeſte
Bedenken, von ſich auf andere zu ſchließen, und ſeine
eigne Denkungsart fuͤr die algemeine zu halten.
Daher komt es denn, daß alle dieſe an Geiſt
und Herz verwahrloſete Menſchen fuͤr eine
wahre und ſtrenge Rechtſchaffenheit, welche
nicht auf das: was wird man davon
ſagen? ſondern lediglich auf das, was recht
und unrecht iſt, ihr Auge heftet, mehr
oder weniger den Glauben und den Sin
verloren haben
. Eine harte, aber allen
meinen Erfahrungen nach, leider! nur zu ge-

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[114/0144] Das Schlimſte hierbei iſt, daß ein jeder von dieſen Leuten ſeine eigene Art zu denken und zu handeln mit der groͤßten Zuverſicht auch bei allen andern vorausſezt. Weil nun jeder von ihnen ſich bewußt iſt, daß er bei allen ſeinen Reden und Hand- lungen, nicht die ehemahls erlernten, aber bald darauf wieder in den Wind geſchlagenen Grund- ſaͤze der Religion und Sittenlehre, ſondern ledig- lich die Behauptung des aͤuſſerlichen Scheins eines edlen rechtſchaffenen Weſens bei einer wirklich ge- wiſſenloſen und niedertraͤchtigen Geſinnung, beſtaͤn- dig vor Augen habe: ſo traͤgt er nicht das mindeſte Bedenken, von ſich auf andere zu ſchließen, und ſeine eigne Denkungsart fuͤr die algemeine zu halten. Daher komt es denn, daß alle dieſe an Geiſt und Herz verwahrloſete Menſchen fuͤr eine wahre und ſtrenge Rechtſchaffenheit, welche nicht auf das: was wird man davon ſagen? ſondern lediglich auf das, was recht und unrecht iſt, ihr Auge heftet, mehr oder weniger den Glauben und den Sin verloren haben. Eine harte, aber allen meinen Erfahrungen nach, leider! nur zu ge- gruͤn-

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/144>, abgerufen am 24.11.2024.