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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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Kopf noch Herz haben, sich genöthiget sehen,
ihr langweiliges Leben durch Spiel und
übermäßigen Genuß erkünstelter Speisen
und betäubender Getränke fortzuschleu-
dern, für Uebungen der Geselligkeitstriebe
zu halten
. Nein, mein Sohn! diese beiden
Arten von Geselschaft lassen in unserm Gemüthe
gerade das Gegentheil von dem zurük, was eine
vernünftige Geselligkeit, ein ofner, herzlicher,
lehrreicher Umgang mit gleichgestimten und weisen
Freunden in uns bewirken kan. Jene schwächen,
dieser stärkt unsere Leibes- und Selenkräfte; jene
erstikken, dieser entwikkelt in uns den wahren
Menschensin; jene scheuchen durch Betäubung
uns aus uns selbst heraus, ohne unsere Empfin-
dungskraft auf irgend einen guten und edlen Ge-
genstand ausser uns zu richten, dieser erweitert
unser Herz durch die wohlthätigsten Natur- und
Freundschaftsgefühle, und verhütet auf der einen
Seite, daß unsere Empfindungen nicht stumpf,
und auf der andern, daß sie nicht selbstsüchtig wer-
den; jene endlich entnerven unsern Trieb zu nüz-
licher Geschäftigkeit, und machen uns unlustig und

träge

Kopf noch Herz haben, ſich genoͤthiget ſehen,
ihr langweiliges Leben durch Spiel und
uͤbermaͤßigen Genuß erkuͤnſtelter Speiſen
und betaͤubender Getraͤnke fortzuſchleu-
dern, fuͤr Uebungen der Geſelligkeitstriebe
zu halten
. Nein, mein Sohn! dieſe beiden
Arten von Geſelſchaft laſſen in unſerm Gemuͤthe
gerade das Gegentheil von dem zuruͤk, was eine
vernuͤnftige Geſelligkeit, ein ofner, herzlicher,
lehrreicher Umgang mit gleichgeſtimten und weiſen
Freunden in uns bewirken kan. Jene ſchwaͤchen,
dieſer ſtaͤrkt unſere Leibes- und Selenkraͤfte; jene
erſtikken, dieſer entwikkelt in uns den wahren
Menſchenſin; jene ſcheuchen durch Betaͤubung
uns aus uns ſelbſt heraus, ohne unſere Empfin-
dungskraft auf irgend einen guten und edlen Ge-
genſtand auſſer uns zu richten, dieſer erweitert
unſer Herz durch die wohlthaͤtigſten Natur- und
Freundſchaftsgefuͤhle, und verhuͤtet auf der einen
Seite, daß unſere Empfindungen nicht ſtumpf,
und auf der andern, daß ſie nicht ſelbſtſuͤchtig wer-
den; jene endlich entnerven unſern Trieb zu nuͤz-
licher Geſchaͤftigkeit, und machen uns unluſtig und

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[82/0112] Kopf noch Herz haben, ſich genoͤthiget ſehen, ihr langweiliges Leben durch Spiel und uͤbermaͤßigen Genuß erkuͤnſtelter Speiſen und betaͤubender Getraͤnke fortzuſchleu- dern, fuͤr Uebungen der Geſelligkeitstriebe zu halten. Nein, mein Sohn! dieſe beiden Arten von Geſelſchaft laſſen in unſerm Gemuͤthe gerade das Gegentheil von dem zuruͤk, was eine vernuͤnftige Geſelligkeit, ein ofner, herzlicher, lehrreicher Umgang mit gleichgeſtimten und weiſen Freunden in uns bewirken kan. Jene ſchwaͤchen, dieſer ſtaͤrkt unſere Leibes- und Selenkraͤfte; jene erſtikken, dieſer entwikkelt in uns den wahren Menſchenſin; jene ſcheuchen durch Betaͤubung uns aus uns ſelbſt heraus, ohne unſere Empfin- dungskraft auf irgend einen guten und edlen Ge- genſtand auſſer uns zu richten, dieſer erweitert unſer Herz durch die wohlthaͤtigſten Natur- und Freundſchaftsgefuͤhle, und verhuͤtet auf der einen Seite, daß unſere Empfindungen nicht ſtumpf, und auf der andern, daß ſie nicht ſelbſtſuͤchtig wer- den; jene endlich entnerven unſern Trieb zu nuͤz- licher Geſchaͤftigkeit, und machen uns unluſtig und traͤge

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/112>, abgerufen am 17.09.2024.