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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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mahl uns, ihre Eltern, recht kennen gelernt haben;
lassen sie Gebethe stammeln, ehe sie die Worte
verstehen, die sie aussprechen müssen; lehren sie,
daß Gott der Schöpfer des Weltals sei, wenn
sie kaum erst einige Spannen breit vom Weltal
gesehen haben, und fodern von ihnen, daß sie
Gott lieben sollen, ehe sie jemahls schon gefühlt
haben, was das Wort lieben für eine Bedeutung
habe. Und die Folge von dem allen? -- Ist
diese, daß die Welt von Betern und Religions-
schwäzern wimmelt, indes die wahren Gottes-
verehrer, welche in der Betrachtung, und in dem
Gehorsam gegen seine ewigen Geseze, ihre größte
Seeligkeit finden, beinahe so selten, als der Phönix
in der Fabel, sind.

Aber diese traurige Bemerkung würde mich
für unsere gegenwärtige Absicht zu weit führen.
Ich wil sie daher nicht weiter verfolgen; sondern
kehre zu dem Rathe zurük, von dem ich ausging,
und den ich dir nicht genug einschärfen zu können
glaube, zu dem wichtigen Rathe, sage ich, daß
du doch ja in dem Laufe deines geschäftigen Le-
bens, die Triebe der Geselligkeit, welche so we-

sentlich

mahl uns, ihre Eltern, recht kennen gelernt haben;
laſſen ſie Gebethe ſtammeln, ehe ſie die Worte
verſtehen, die ſie ausſprechen muͤſſen; lehren ſie,
daß Gott der Schoͤpfer des Weltals ſei, wenn
ſie kaum erſt einige Spannen breit vom Weltal
geſehen haben, und fodern von ihnen, daß ſie
Gott lieben ſollen, ehe ſie jemahls ſchon gefuͤhlt
haben, was das Wort lieben fuͤr eine Bedeutung
habe. Und die Folge von dem allen? — Iſt
dieſe, daß die Welt von Betern und Religions-
ſchwaͤzern wimmelt, indes die wahren Gottes-
verehrer, welche in der Betrachtung, und in dem
Gehorſam gegen ſeine ewigen Geſeze, ihre groͤßte
Seeligkeit finden, beinahe ſo ſelten, als der Phoͤnix
in der Fabel, ſind.

Aber dieſe traurige Bemerkung wuͤrde mich
fuͤr unſere gegenwaͤrtige Abſicht zu weit fuͤhren.
Ich wil ſie daher nicht weiter verfolgen; ſondern
kehre zu dem Rathe zuruͤk, von dem ich ausging,
und den ich dir nicht genug einſchaͤrfen zu koͤnnen
glaube, zu dem wichtigen Rathe, ſage ich, daß
du doch ja in dem Laufe deines geſchaͤftigen Le-
bens, die Triebe der Geſelligkeit, welche ſo we-

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[80/0110] mahl uns, ihre Eltern, recht kennen gelernt haben; laſſen ſie Gebethe ſtammeln, ehe ſie die Worte verſtehen, die ſie ausſprechen muͤſſen; lehren ſie, daß Gott der Schoͤpfer des Weltals ſei, wenn ſie kaum erſt einige Spannen breit vom Weltal geſehen haben, und fodern von ihnen, daß ſie Gott lieben ſollen, ehe ſie jemahls ſchon gefuͤhlt haben, was das Wort lieben fuͤr eine Bedeutung habe. Und die Folge von dem allen? — Iſt dieſe, daß die Welt von Betern und Religions- ſchwaͤzern wimmelt, indes die wahren Gottes- verehrer, welche in der Betrachtung, und in dem Gehorſam gegen ſeine ewigen Geſeze, ihre groͤßte Seeligkeit finden, beinahe ſo ſelten, als der Phoͤnix in der Fabel, ſind. Aber dieſe traurige Bemerkung wuͤrde mich fuͤr unſere gegenwaͤrtige Abſicht zu weit fuͤhren. Ich wil ſie daher nicht weiter verfolgen; ſondern kehre zu dem Rathe zuruͤk, von dem ich ausging, und den ich dir nicht genug einſchaͤrfen zu koͤnnen glaube, zu dem wichtigen Rathe, ſage ich, daß du doch ja in dem Laufe deines geſchaͤftigen Le- bens, die Triebe der Geſelligkeit, welche ſo we- ſentlich

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/110>, abgerufen am 23.11.2024.