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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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Dekorazionen ist, ungenossen vorübergehen, es
sei in welcher Jahrszeit es wolle -- denn jede
derselben ist reich an unbeschreiblichen Schönhei-
heiten, reich an tausendfältigem Seegen! -- es
sei des Morgens, wenn das große Auge der
Welt, die Sonne, sich aufthut, oder des Abends,
wenn es sich wieder schließt; hüte dich da-
neben vor jeder Ueberspannung deiner Kräfte;
mache Absäze in deinen Anstrengungen, und laß
Ruhe und Arbeit in zwekmäßiger Ordnung be-
ständig mit einander abwechseln! Vergiß nie,
daß du ein endliches und ein zusammenge-
seztes
Wesen seist; jenes, um deinen Bestrebun-
gen ein angemessenes Ziel zu sezen, dieses, um
nicht etwa blos einen einzigen Theil deiner selbst,
mit Vernachläßigung und auf Unkosten der an-
dern, ausbilden und vervolkomnen zu wollen.
Du bist nicht Sele allein, du hast auch einen
Körper; und deine Sele ist nicht blos Verstand,
sie ist auch Herz, nicht blos Erkentnißkraft,
sondern auch Empfindungsvermögen. Dis
bedenke, mein Sohn, und wisse, daß die Summe
deiner Volkommenheiten -- und also auch die

Summe
E 5

Dekorazionen iſt, ungenoſſen voruͤbergehen, es
ſei in welcher Jahrszeit es wolle — denn jede
derſelben iſt reich an unbeſchreiblichen Schoͤnhei-
heiten, reich an tauſendfaͤltigem Seegen! — es
ſei des Morgens, wenn das große Auge der
Welt, die Sonne, ſich aufthut, oder des Abends,
wenn es ſich wieder ſchließt; huͤte dich da-
neben vor jeder Ueberſpannung deiner Kraͤfte;
mache Abſaͤze in deinen Anſtrengungen, und laß
Ruhe und Arbeit in zwekmaͤßiger Ordnung be-
ſtaͤndig mit einander abwechſeln! Vergiß nie,
daß du ein endliches und ein zuſammenge-
ſeztes
Weſen ſeiſt; jenes, um deinen Beſtrebun-
gen ein angemeſſenes Ziel zu ſezen, dieſes, um
nicht etwa blos einen einzigen Theil deiner ſelbſt,
mit Vernachlaͤßigung und auf Unkoſten der an-
dern, ausbilden und vervolkomnen zu wollen.
Du biſt nicht Sele allein, du haſt auch einen
Koͤrper; und deine Sele iſt nicht blos Verſtand,
ſie iſt auch Herz, nicht blos Erkentnißkraft,
ſondern auch Empfindungsvermoͤgen. Dis
bedenke, mein Sohn, und wiſſe, daß die Summe
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[73/0103] Dekorazionen iſt, ungenoſſen voruͤbergehen, es ſei in welcher Jahrszeit es wolle — denn jede derſelben iſt reich an unbeſchreiblichen Schoͤnhei- heiten, reich an tauſendfaͤltigem Seegen! — es ſei des Morgens, wenn das große Auge der Welt, die Sonne, ſich aufthut, oder des Abends, wenn es ſich wieder ſchließt; huͤte dich da- neben vor jeder Ueberſpannung deiner Kraͤfte; mache Abſaͤze in deinen Anſtrengungen, und laß Ruhe und Arbeit in zwekmaͤßiger Ordnung be- ſtaͤndig mit einander abwechſeln! Vergiß nie, daß du ein endliches und ein zuſammenge- ſeztes Weſen ſeiſt; jenes, um deinen Beſtrebun- gen ein angemeſſenes Ziel zu ſezen, dieſes, um nicht etwa blos einen einzigen Theil deiner ſelbſt, mit Vernachlaͤßigung und auf Unkoſten der an- dern, ausbilden und vervolkomnen zu wollen. Du biſt nicht Sele allein, du haſt auch einen Koͤrper; und deine Sele iſt nicht blos Verſtand, ſie iſt auch Herz, nicht blos Erkentnißkraft, ſondern auch Empfindungsvermoͤgen. Dis bedenke, mein Sohn, und wiſſe, daß die Summe deiner Volkommenheiten — und alſo auch die Summe E 5

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/103>, abgerufen am 22.11.2024.