Schlachtopfer -- entweder einer zu weit getrie- benen Begierde nach wirklicher Gemeinnüzigkeit, oder einer überspanten Ruhmsucht -- Gottlob! noch keinen Begrif machen; und o mögte die Vorstellung davon dir doch nie durch eigene Er- fahrung anschaulich werden! Aber glaube mir, daß es ein gar erbärmlicher Zustand sei, und zittere vor der bloßen Möglichkeit, einmahl selbst darein zu gerathen!
Denn was kan kläglicher sein, als die Lage eines Mannes, dessen Empfindungsvermögen gegen Familien- Freundschafts- und Naturgenuß nun einmahl stumpf geworden ist, wenn er von schweren Arbeiten erschöpft, oder von Sorgen und Bekümmernissen gebeugt, nach einem Tröpf- chen stärkender Freude lechzt, und ihn nirgends findet, nirgends, weder in dem stillen Schooß seiner Familie, die ihm fremd, oder gar verhaßt geworden ist, noch in der ganzen, weiten, herlichen Natur, für deren mannigfaltige Freuden er längst den Sin verlohr! Wenn er nun da steht, wie der ermattete Pilger in einer öden, dürren, un- absehbaren Sandwüste, so ganz allein, so ganz
verwaiset
Schlachtopfer — entweder einer zu weit getrie- benen Begierde nach wirklicher Gemeinnuͤzigkeit, oder einer uͤberſpanten Ruhmſucht — Gottlob! noch keinen Begrif machen; und o moͤgte die Vorſtellung davon dir doch nie durch eigene Er- fahrung anſchaulich werden! Aber glaube mir, daß es ein gar erbaͤrmlicher Zuſtand ſei, und zittere vor der bloßen Moͤglichkeit, einmahl ſelbſt darein zu gerathen!
Denn was kan klaͤglicher ſein, als die Lage eines Mannes, deſſen Empfindungsvermoͤgen gegen Familien- Freundſchafts- und Naturgenuß nun einmahl ſtumpf geworden iſt, wenn er von ſchweren Arbeiten erſchoͤpft, oder von Sorgen und Bekuͤmmerniſſen gebeugt, nach einem Troͤpf- chen ſtaͤrkender Freude lechzt, und ihn nirgends findet, nirgends, weder in dem ſtillen Schooß ſeiner Familie, die ihm fremd, oder gar verhaßt geworden iſt, noch in der ganzen, weiten, herlichen Natur, fuͤr deren mannigfaltige Freuden er laͤngſt den Sin verlohr! Wenn er nun da ſteht, wie der ermattete Pilger in einer oͤden, duͤrren, un- abſehbaren Sandwuͤſte, ſo ganz allein, ſo ganz
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Schlachtopfer — entweder einer zu weit getrie-
benen Begierde nach wirklicher Gemeinnuͤzigkeit,
oder einer uͤberſpanten Ruhmſucht — Gottlob!
noch keinen Begrif machen; und o moͤgte die
Vorſtellung davon dir doch nie durch eigene Er-
fahrung anſchaulich werden! Aber glaube mir,
daß es ein gar erbaͤrmlicher Zuſtand ſei, und
zittere vor der bloßen Moͤglichkeit, einmahl ſelbſt
darein zu gerathen!
Denn was kan klaͤglicher ſein, als die Lage
eines Mannes, deſſen Empfindungsvermoͤgen
gegen Familien- Freundſchafts- und Naturgenuß
nun einmahl ſtumpf geworden iſt, wenn er von
ſchweren Arbeiten erſchoͤpft, oder von Sorgen
und Bekuͤmmerniſſen gebeugt, nach einem Troͤpf-
chen ſtaͤrkender Freude lechzt, und ihn nirgends
findet, nirgends, weder in dem ſtillen Schooß
ſeiner Familie, die ihm fremd, oder gar verhaßt
geworden iſt, noch in der ganzen, weiten, herlichen
Natur, fuͤr deren mannigfaltige Freuden er laͤngſt
den Sin verlohr! Wenn er nun da ſteht, wie
der ermattete Pilger in einer oͤden, duͤrren, un-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/100>, abgerufen am 24.11.2024.
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