Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 2. Hamburg, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Empfindung des Mitleids über des armen Ro-
binsons
abermahliges Unglük dämpfte diese
freudige Aufwallung, und ließ sie nicht zum
Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein
tiefes Stilschweigen; und der Vater fuhr fort:)

Unser Robinson giebt uns hier ein Beispiel,
welches uns lehren kan, wie sehr auch gute,
schon gebesserte Menschen auf ihrer Hut sein
müssen, daß sie sich nicht von gar zu starken
Leidenschaften dahin reissen lassen. Hätte Ro-
binson
sich nicht so ausschweifend gefreut: so
würd' er sich nun auch nicht so ausschweifend be-
trüben; und hätte die Betrübniß nicht seinen
ganzen Verstand so sehr umnebelt gehabt: so
würd' er erkant haben, daß er auch diese götli-
che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung
sich müsse gefallen lassen, so sehr auch immer
seine besten Hofnungen dadurch vereitelt wur-
den. Besonders würd' er bedacht haben, daß
die götliche Vorsehung auch dan noch Mittel zu
unserer Rettung weiß, wenn wir selbst kein ein-
ziges mehr für möglich halten; und dieser Ge-
danke würde ihn beruhiget haben. Seht, Kin-

der,
Y 5

Empfindung des Mitleids uͤber des armen Ro-
binſons
abermahliges Ungluͤk daͤmpfte dieſe
freudige Aufwallung, und ließ ſie nicht zum
Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein
tiefes Stilſchweigen; und der Vater fuhr fort:)

Unſer Robinſon giebt uns hier ein Beiſpiel,
welches uns lehren kan, wie ſehr auch gute,
ſchon gebeſſerte Menſchen auf ihrer Hut ſein
muͤſſen, daß ſie ſich nicht von gar zu ſtarken
Leidenſchaften dahin reiſſen laſſen. Haͤtte Ro-
binſon
ſich nicht ſo ausſchweifend gefreut: ſo
wuͤrd' er ſich nun auch nicht ſo ausſchweifend be-
truͤben; und haͤtte die Betruͤbniß nicht ſeinen
ganzen Verſtand ſo ſehr umnebelt gehabt: ſo
wuͤrd' er erkant haben, daß er auch dieſe goͤtli-
che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung
ſich muͤſſe gefallen laſſen, ſo ſehr auch immer
ſeine beſten Hofnungen dadurch vereitelt wur-
den. Beſonders wuͤrd' er bedacht haben, daß
die goͤtliche Vorſehung auch dan noch Mittel zu
unſerer Rettung weiß, wenn wir ſelbſt kein ein-
ziges mehr fuͤr moͤglich halten; und dieſer Ge-
danke wuͤrde ihn beruhiget haben. Seht, Kin-

der,
Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0351" n="345"/>
Empfindung des Mitleids u&#x0364;ber des armen <hi rendition="#fr">Ro-<lb/>
bin&#x017F;ons</hi> abermahliges Unglu&#x0364;k da&#x0364;mpfte die&#x017F;e<lb/>
freudige Aufwallung, und ließ &#x017F;ie nicht zum<lb/>
Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein<lb/>
tiefes Stil&#x017F;chweigen; und der Vater fuhr fort:)</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;er <hi rendition="#fr">Robin&#x017F;on</hi> giebt uns hier ein Bei&#x017F;piel,<lb/>
welches uns lehren kan, wie &#x017F;ehr auch gute,<lb/>
&#x017F;chon gebe&#x017F;&#x017F;erte Men&#x017F;chen auf ihrer Hut &#x017F;ein<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht von gar zu &#x017F;tarken<lb/>
Leiden&#x017F;chaften dahin rei&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en. Ha&#x0364;tte <hi rendition="#fr">Ro-<lb/>
bin&#x017F;on</hi> &#x017F;ich nicht &#x017F;o aus&#x017F;chweifend gefreut: &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rd' er &#x017F;ich nun auch nicht &#x017F;o aus&#x017F;chweifend be-<lb/>
tru&#x0364;ben; und ha&#x0364;tte die Betru&#x0364;bniß nicht &#x017F;einen<lb/>
ganzen Ver&#x017F;tand &#x017F;o &#x017F;ehr umnebelt gehabt: &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rd' er erkant haben, daß er auch die&#x017F;e go&#x0364;tli-<lb/>
che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung<lb/>
&#x017F;ich mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gefallen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;ehr auch immer<lb/>
&#x017F;eine be&#x017F;ten Hofnungen dadurch vereitelt wur-<lb/>
den. Be&#x017F;onders wu&#x0364;rd' er bedacht haben, daß<lb/>
die go&#x0364;tliche Vor&#x017F;ehung auch dan noch Mittel zu<lb/>
un&#x017F;erer Rettung weiß, wenn wir &#x017F;elb&#x017F;t kein ein-<lb/>
ziges mehr fu&#x0364;r mo&#x0364;glich halten; und die&#x017F;er Ge-<lb/>
danke wu&#x0364;rde ihn beruhiget haben. Seht, Kin-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0351] Empfindung des Mitleids uͤber des armen Ro- binſons abermahliges Ungluͤk daͤmpfte dieſe freudige Aufwallung, und ließ ſie nicht zum Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein tiefes Stilſchweigen; und der Vater fuhr fort:) Unſer Robinſon giebt uns hier ein Beiſpiel, welches uns lehren kan, wie ſehr auch gute, ſchon gebeſſerte Menſchen auf ihrer Hut ſein muͤſſen, daß ſie ſich nicht von gar zu ſtarken Leidenſchaften dahin reiſſen laſſen. Haͤtte Ro- binſon ſich nicht ſo ausſchweifend gefreut: ſo wuͤrd' er ſich nun auch nicht ſo ausſchweifend be- truͤben; und haͤtte die Betruͤbniß nicht ſeinen ganzen Verſtand ſo ſehr umnebelt gehabt: ſo wuͤrd' er erkant haben, daß er auch dieſe goͤtli- che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung ſich muͤſſe gefallen laſſen, ſo ſehr auch immer ſeine beſten Hofnungen dadurch vereitelt wur- den. Beſonders wuͤrd' er bedacht haben, daß die goͤtliche Vorſehung auch dan noch Mittel zu unſerer Rettung weiß, wenn wir ſelbſt kein ein- ziges mehr fuͤr moͤglich halten; und dieſer Ge- danke wuͤrde ihn beruhiget haben. Seht, Kin- der, Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson02_1780/351
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 2. Hamburg, 1780, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson02_1780/351>, abgerufen am 28.11.2024.