genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un- seren Meinungen sei; er allein weiß auch ganz genau, wie redlich, oder wie leichtsinnig wir bei der Erforschung der Wahrheit zu Werke gegan- gen sind; er allein weiß auch also nur, in wie fern wir an unserm Irthume schuldig, oder un- schuldig sind.
Unser Robinson stelte sich die Sache ohn- gefähr eben so vor. Verwünscht, rief er daher aus, verwünscht sei der unvernünftige Eifer, jemanden mit Gewalt zu seinem Glauben bekeh- ren zu wollen! Verwünscht die blinde Wuth, seinen Bruder zu verfolgen und zu quälen, blos weil er so unglüklich ist zu irren und so tugend- haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen, wovon er in seinem Herzen noch nicht überzeugt ist! Auf meiner Insel wenigstens sol diese Un- menschlichkeit nie stat finden. Zwar wil ich thun, was ich kan, um meine neuen Mitbür- ger zu belehren: aber solt' ich nicht so glüklich sein, sie von ihrem Irthume und von der Wahr- heit meiner Religion zu überzeugen: so mögen sie glauben, was sie können und nicht mir --
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genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un- ſeren Meinungen ſei; er allein weiß auch ganz genau, wie redlich, oder wie leichtſinnig wir bei der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan- gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un- ſchuldig ſind.
Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn- gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer, jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh- ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth, ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend- haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen, wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un- menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr- ger zu belehren: aber ſolt' ich nicht ſo gluͤklich ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr- heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir —
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genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un-
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der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan-
gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie
fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un-
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Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn-
gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher
aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer,
jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh-
ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth,
ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos
weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend-
haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen,
wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt
iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un-
menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich
thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr-
ger zu belehren: aber ſolt' ich nicht ſo gluͤklich
ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr-
heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen
ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir —
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Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 2. Hamburg, 1780, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson02_1780/297>, abgerufen am 25.11.2024.
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