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Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 2. Hamburg, 1780.

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genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un-
seren Meinungen sei; er allein weiß auch ganz
genau, wie redlich, oder wie leichtsinnig wir bei
der Erforschung der Wahrheit zu Werke gegan-
gen sind; er allein weiß auch also nur, in wie
fern wir an unserm Irthume schuldig, oder un-
schuldig sind.

Unser Robinson stelte sich die Sache ohn-
gefähr eben so vor. Verwünscht, rief er daher
aus, verwünscht sei der unvernünftige Eifer,
jemanden mit Gewalt zu seinem Glauben bekeh-
ren zu wollen! Verwünscht die blinde Wuth,
seinen Bruder zu verfolgen und zu quälen, blos
weil er so unglüklich ist zu irren und so tugend-
haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen,
wovon er in seinem Herzen noch nicht überzeugt
ist! Auf meiner Insel wenigstens sol diese Un-
menschlichkeit nie stat finden. Zwar wil ich
thun, was ich kan, um meine neuen Mitbür-
ger zu belehren: aber solt' ich nicht so glüklich
sein, sie von ihrem Irthume und von der Wahr-
heit meiner Religion zu überzeugen: so mögen
sie glauben, was sie können und nicht mir --

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genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un-
ſeren Meinungen ſei; er allein weiß auch ganz
genau, wie redlich, oder wie leichtſinnig wir bei
der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan-
gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie
fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un-
ſchuldig ſind.

Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn-
gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher
aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer,
jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh-
ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth,
ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos
weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend-
haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen,
wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt
iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un-
menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich
thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr-
ger zu belehren: aber ſolt' ich nicht ſo gluͤklich
ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr-
heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen
ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir —

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[291/0297] genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un- ſeren Meinungen ſei; er allein weiß auch ganz genau, wie redlich, oder wie leichtſinnig wir bei der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan- gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un- ſchuldig ſind. Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn- gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer, jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh- ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth, ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend- haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen, wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un- menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr- ger zu belehren: aber ſolt' ich nicht ſo gluͤklich ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr- heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir — ih- T 2

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 2. Hamburg, 1780, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson02_1780/297>, abgerufen am 25.11.2024.