Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779.Vorbericht. meine das leidige Empfindsamkeitsfieber.Zwar hat -- dem Himmel sei Dank! -- die Wuth dieser moralischen Seuche in so fern wieder nachgelassen, daß sie nicht mehr eine Pestilenz ist, die am hellen Mittage ver- derbet, weil wohl keiner mehr das Schild der Empfindsamkeit öffentlich auszuhängen wagt: aber nichts destoweniger ist sie noch bis auf diesen Tag eine Seuche geblieben, die im Finstern schleicht, und gleich andern Krankheiten, deren man sich schämt, an der Gesundheit der menschlichen Sele im Verbor- genen nagt. Nichts hat mich mehr dabei ge- jammert, als zu sehen, daß man das süße einschmeichelnde Gift dieser Krankheit auch unserer jungen Nachkommenschaft anzuhauchen und also auch das kommende Geschlecht eben so an Leib und Sele kränkelnd, eben so ner- venlos, eben so unzufrieden mit sich selbst, mit
Vorbericht. meine das leidige Empfindſamkeitsfieber.Zwar hat — dem Himmel ſei Dank! — die Wuth dieſer moraliſchen Seuche in ſo fern wieder nachgelaſſen, daß ſie nicht mehr eine Peſtilenz iſt, die am hellen Mittage ver- derbet, weil wohl keiner mehr das Schild der Empfindſamkeit oͤffentlich auszuhaͤngen wagt: aber nichts deſtoweniger iſt ſie noch bis auf dieſen Tag eine Seuche geblieben, die im Finſtern ſchleicht, und gleich andern Krankheiten, deren man ſich ſchaͤmt, an der Geſundheit der menſchlichen Sele im Verbor- genen nagt. Nichts hat mich mehr dabei ge- jammert, als zu ſehen, daß man das ſuͤße einſchmeichelnde Gift dieſer Krankheit auch unſerer jungen Nachkommenſchaft anzuhauchen und alſo auch das kommende Geſchlecht eben ſo an Leib und Sele kraͤnkelnd, eben ſo ner- venlos, eben ſo unzufrieden mit ſich ſelbſt, mit
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Vorbericht.
meine das leidige Empfindſamkeitsfieber.
Zwar hat — dem Himmel ſei Dank! — die
Wuth dieſer moraliſchen Seuche in ſo fern
wieder nachgelaſſen, daß ſie nicht mehr eine
Peſtilenz iſt, die am hellen Mittage ver-
derbet, weil wohl keiner mehr das Schild
der Empfindſamkeit oͤffentlich auszuhaͤngen
wagt: aber nichts deſtoweniger iſt ſie noch
bis auf dieſen Tag eine Seuche geblieben,
die im Finſtern ſchleicht, und gleich andern
Krankheiten, deren man ſich ſchaͤmt, an der
Geſundheit der menſchlichen Sele im Verbor-
genen nagt. Nichts hat mich mehr dabei ge-
jammert, als zu ſehen, daß man das ſuͤße
einſchmeichelnde Gift dieſer Krankheit auch
unſerer jungen Nachkommenſchaft anzuhauchen
und alſo auch das kommende Geſchlecht eben
ſo an Leib und Sele kraͤnkelnd, eben ſo ner-
venlos, eben ſo unzufrieden mit ſich ſelbſt,
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